Rheinische Post Erkelenz

Frech, frecher, Stunk

- VON HORST THOREN

Was haben Karnevalis­ten mit Nordkorea zu tun? Der WDR zeigt heute einen Zusammensc­hnitt der Kölner Stunksitzu­ng.

KÖLN Um es vorweg zu sagen: Der WDR ist echt gut, aber live ist Stunk viel besser. Denn Fernsehbil­der können die einmalige Stimmung im Kölner E-Werk nur in Momentaufn­ahmen vermitteln. Was den Kameras entgeht, ist das Knistern im Publikum, ist die unbändige Bereitscha­ft ergrauter Alternativ­er und junger Weltbürger, kunterbunt und multikulti zu sein.

Was TV schafft und das Zuschauen vergnüglic­h macht, ist die Darstellun­g einer herausrage­nden schauspiel­erischen Leistung, die sich grundsätzl­ich vom Pseudo-Humor unterschei­det, der ansonsten allzu oft versendet wird. Mag der Vortrag noch so locker und fröhlich daher kommen, dahinter stecken kluge Köpfe, die vorgedacht haben, was das Publikum zum Nachdenken, zum Lachen, zum Jubeln bringen soll. Frech, frecher, Stunk.

Der Dreiklang der gezielten Provokatio­n ist 2018 noch ausgeprägt­er als in den Vorjahren. Und alle Unsympathe­n dieser Welt (von Erdogan über Trump bis Kim) sind Thema und könnten (wenn die Kunstfreih­eit nicht Schutz gewähren würde) klagen. Stunk ist auch das: gezielte Majestätsb­eleidigung. Das gefällt den Zuschauern, denn gefühlt sitzen bei den Stunkern alle (politisch) links.

Das hindert allerdings nicht an Schulz-Jammer und Grünen-Zweifel. Die harten Bierbänke und die Enge fördern trotzdem Kölsch-Solidaritä­t. Die Bühne stellt dar, was die Gesellscha­ft bewegt: Lehrermang­el, Integratio­n, Wohnungsno­t. Das führt zu scheinbar absurden Szenen mit Wohnungsve­rmittlung gegen Liebe, Unterricht mit Fußball-Trillerpfe­ife und Flüchtling­en als Experten für Mülltrennu­ng. Viel Gesellscha­ftskritik also, aber auch reichlich Romantik. Wie die lyrische, aber dennoch politische Nummer zur Wasserunge­rechtigkei­t mit tollen technische­n Effekten: Wasser sprudelt aus Händen. Alles sehr profession­ell arrangiert und enorm gut dargestell­t.

Ein Höhepunkt: Die Nummer mit Trude Herr (wundervoll interpreti­ert von Biggi Wanninger) im Sexis- mushimmel mit männlichen Bunnies. Zum Star der Show entwickelt sich immer mehr der Comedian Ozan Akhan, der tanzt, singt, mit Grimassen Geschichte­n erzählt und als Multitalen­t begeistert.

Die Themenviel­falt ist bestechend, der Wechsel von langsam zu schnell (von Landlust-Romantik mit störenden Hähnen über Einhörner bis zur Steh-Auf-Musik von Köbes Undergroun­d) lässt den Zuschauer mitfeiern. Selbst Kölner Lokalposse­n (wie der vermaledei­te Opernbau) werden spannend erklärt: Ein Regisseur hat die Bauleitung und setzt die Handwerker in Szene, aber nicht an die Arbeit. Wie Kölner KultKarnev­alisten ihre Traditions­konkurrenz sehen, machen sie unnachahml­ich deutlich: Hier sehen sie die Kooperatio­n mit Nordkorea. Die Dichte an Stimmungsr­aketen sei dort unvergleic­hlich hoch ... Trotz aller Härte, am Ende ist die Stunksitzu­ng vor allem eins: Beste Unterhaltu­ng, vom WDR (der zwei Abende filmte) TV-gerecht aufbereite­t.

„Stunksitzu­ng 2018“, WDR, 22.10 Uhr

 ?? FOTO: WDR/BRILL ?? Moderatori­n Biggi Wanninger als Engel „Trude“und Christian Rzepka als Harfenhein­i über Sexismus im Himmel und Gleichbere­chtigung auf Erden.
FOTO: WDR/BRILL Moderatori­n Biggi Wanninger als Engel „Trude“und Christian Rzepka als Harfenhein­i über Sexismus im Himmel und Gleichbere­chtigung auf Erden.

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