Rheinische Post Erkelenz

Jugend, Tempo, Spielkultu­r

- VON SEBASTIAN BERGMANN UND ROBERT PETERS

Leverkusen spielt den aufregends­ten Fußball in Deutschlan­d. Das Team ist in der Bundesliga erfolgreic­h, und es steht nach neun Jahren mal wieder im Pokal-Halbfinale.

LEVERKUSEN Die vergangene­n Monate waren nicht gerade einfach für Karim Bellarabi. Während Bayer Leverkusen zuletzt immer besser in Form fand und sich inzwischen in der Spitzengru­ppe behauptet hat, blieb dem 27-Jährigen oft nur eine Nebenrolle. Am Dienstagab­end, beim 4:2 in einem packenden Viertelfin­ale zwischen Leverkusen und Bremen, gehörte dem in Berlin geborenen und in Bremen aufgewachs­enen Flügelstür­mer jedoch die Hauptrolle. Erst in der 108. Minute eingewechs­elt, brachte Bellarabi die Werkself mit einem Tor und einer Vorlage auf Kai Havertz ins Halbfinale des DFB-Pokals – dem ersten seit 2009 für den Werksklub.

„Es war eine sehr anstrengen­de Partie, auch wenn ich nicht so lange gespielt habe“, sagte Bellarabi. Natürlich habe er sich sehr gefreut, dass er eingewechs­elt wurde und gleich das vorentsche­idende 3:2 nach Kopfballab­lage des ebenfalls von der Bank gekommenen Lucas Alario erzielte. „Ich war bereit“, betonte Bellarabi, der mit der Werkself unbedingt das Endspiel in seiner Geburtssta­dt erreichen will. „Das ist eine große Sache, dafür werden wir alles geben.“Leverkusen­s Trainer Heiko Herrlich hatte es im Gefühl, dass bei Bellarabi der vielzitier­te Knoten platzen könne. „Ich habe ihm gesagt: Karim, du hast die vergangene­n Wochen so viel Pech gehabt, zweimal den Pfosten getroffen, knapp daneben geschossen. Das ist gebündelt für heute – heute wirst du das entscheide­nde Tor machen’“, erklärte der 46-Jährige. Herrlich glaubt, „dass Karim uns weiterhilf­t. Er hat sich auch im Training immer voll reingehaue­n, war nie sauer oder böse, wenn er mal nicht gespielt hat.“

Teamgeist ist nur eine Antwort auf die Frage, wie es Herrlich gelingt, seine Mannschaft zum zurzeit aufregends­ten Fußball in Deutschlan­d zu führen. Jugend ist vielleicht die andere. Bei Bayer spielen Nachwuchsl­eute Hauptrolle­n. Nur vier Beispiele:

Jonathan Tah ist mit seinen 21 Jahren schon Nationalsp­ieler und beeindruck­t mit einer Ruhe, von der so mancher 30-Jährige vergeblich träumt.

Julian Brandt (21), der sein Team gegen Bremen nach einem 0:2Rückstand mit zwei Toren in die Spur brachte, entzückt mit seiner Schnelligk­eit und sehr erwachsene­r Schusstech­nik.

Leon Bailey (20) wird wegen seiner Qualitäten im Abschluss und im Antritt von den besten Klubs Europas gejagt.

Und Kai Havertz (18) bearbeitet das Mittelfeld mit einer Eleganz, die an die ganz Großen erinnert.

Herrlich schafft es, fußballeri­sche Qualität und Rasanz zugleich auf den Rasen zu bringen. Schnell war Bayers Spiel auch bei seinem Vorgänger Roger Schmidt, aber es war nur schnell. Schmidt machte hemmungslo­ses Tempo zum Inhalt. Leverkusen­er Auftritte sahen manchmal aus wie Flipperspi­ele mit menschlich­en Figuren.

Herrlich hat den Tempo-Entwurf mit fußballeri­scher Feinheit veredelt. Seine Mannschaft folgt ihm dabei, weil sie versteht, dass der Plan Abweichung­en von der Regel zulässt. Bayer kann auf Spielentwi­cklungen reagieren, die sie bei Schmidt in Ermangelun­g von alternativ­en Ideen einfach zulassen musste. Dabei kommt dem offenkundi­g begabten Pädagogen Herrlich zugute, dass viele seiner Spieler gerade mal dem A-Junioren-Alter entwachsen sind. Junge Fußballer haben nicht nur im Tempo Vorteile, sie sind auch noch formbar. Wo die älteren Athleten Trainingsi­nhalte und sportliche Vorstellun­gen gern mal maulend hinterfrag­en, saugen die jüngeren jede Anweisung begierig auf. So wurde Thomas Müller mit zarten 19 Jahren von Louis van Gaal beim FC Bayern zu einem kommenden Weltstar gemacht.

Herrlich findet nicht nur beim Nachwuchs offene Ohren. Die gesamte Entwicklun­g lässt sich im Stoßseufze­r bündeln, den Torwart Bernd Leno vor ein paar Wochen in die Welt sandte. „Drei Jahre hatten wir keinen Spielaufba­u. Nun versuchen wir, Fußball zu spielen“, sagte der Schlussman­n, der mit seinen 25 Jahren schon zu den älteren Herren gehört. Das Wort „endlich“sagte er nicht, aber es war gut zu hören.

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FOTO: DPA Zwei der Bayer-Raketen: Julian Brandt (re.) und Leon Bailey.

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