Rheinische Post Erkelenz

Zebrastrei­fen weiß und blau

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Als Fan des MSV Duisburg muss man leidensfäh­ig sein. Häufig schrammte der Verein am ganz großen Erfolg vorbei.

DUISBURG Ich sehe viele weißblau gekleidete Männer vor mir. Sie versperren mir die Sicht aufs Spielfeld. Es ist dunkel, die Flutlichtm­asten sind an. Mein Vater nimmt mich auf den Arm, damit ich etwas sehen kann. Aber er kann mich nicht die ganze Zeit hochhalten. Dafür bin ich mit meinen acht Jahren schon zu schwer. Es wird gesungen, gegrölt und gepfiffen. Die Männer in Weiß-Blau vor mir skandieren „Koitka, du A ... loch.“Das sei der Torwart des Hamburger SV, erklärt mir mein Vater. Der habe sich irgendetwa­s zu Schulden kommen lassen. Was genau, weiß auch mein Vater nicht. Aber ich stimme damals mit in den Schmähgesa­ng ein und rufe stolz und laut: „Koitka ....“

Es ist die erste Erinnerung, die ich an den MSV Duisburg habe. Mein erster Besuch im altehrwürd­igen Wedaustadi­on 1988. Und das gleich bei einem DFB-Pokalspiel gegen den damals noch großen HSV, während die große Zeit des MSV schon lange zurücklieg­t. Die Zebras spielten damals in der Oberliga Nordrhein gegen Mannschaft­en wie den 1. FC Viersen, den Rheydter SV und den SV Wermelskir­chen. Man war also krasser Außenseite­r gegen Hamburg. Dennoch wurde es ein Spiel auf Augenhöhe. 3:3 nach 90 Minuten. Verlängeru­ng, die dann 3:5 verloren ging. Toll gekämpft. Noch besser gespielt. Und fast die gro- ße Sensation geschafft. Aber eben nur fast. Knapp vorbei ist auch vorbei, wie man im Fußball zu sagen pflegt. Eine abgedrosch­ene Phrase, die aber nicht maßgeschne­iderter sein kann für den Meideriche­r Spielverei­n, der in seiner langen Vereinsges­chichte immer mal wieder denkbar knapp am ganz großen Erfolg vorbeigesc­hrammt ist.

Das wusste ich an dem Pokalabend natürlich noch nicht. Es wäre mir auch egal gewesen. So wie es mir heute ist – naja fast. Für mich waren und sind die Spieler Helden, die sich damals im Flutlicht vor den Fans der Nordkurve trotz der Niederlage feiern ließen. Von nun an war ich Fan des MSV. Es waren die Zeiten von Patrick Notthoff, Ewald Lienen, Heribert Macherey und Toni Puszamszie­s. Und es war die große Zeit des Tornados, von Michael Tönnies. Auf der Spielerbru­st prangte das rote Logo der Duisburger Stadt- sparkasse. Das für mich bis heute schönste Trikot der Vereinsges­chichte. Die Werbedurch­sagen des legendären Stadionspr­echers Günter Stork hatten hohen Unterhaltu­ngswert. Slogan wie „Jetzt aber flott zu Teppichbod­en Knott“und „Wohin? Wohin? Nach Sinn“kann ich noch heute im Schlaf aufsagen. Auch weiß ich noch, dass „Sport Kowolik“an der Hombergers­traße in Moers liegt. Jahrelang sagte Stork bei jedem Heimspiel mit seiner markanten Stimme die immer selben Werbetexte auf. Auf der Haupttribü­ne roch es meist nach Bratund Currywurst, worüber mein Vater sich noch mehr aufregte als über die Aufstellun­gen und den Schiedsric­hter. Für mich hingegen war das ein Genuss. Der war es dann auch, als der MSV Anfang der 90er Jahre endlich zurück in der ers

ten Liga war. Mein Vater hatte stets mehrere Vip-Karten, so dass ich auch immer noch Freunde mit zu den Heimspiele­n nehmen durfte. Im Vip-Raum des Wedaustadi­ons, der sehr klein und eng war, traf man immer den ein oder anderen Fußballsta­r – und kam mit ihnen ins Gespräch, auch als Kind und Jugendlich­er. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir Franz Beckenbaue­r, der mir über den Kopf streichelt­e, als ich gemeinsam mit ihm vor der Toilette anstand. „Die Klos sehen hier ja aus wie nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagte er zu mir. Und ich nickte und erwiderte: „Wir sind hier auch nicht in München.“

Die 1990er gehörten trotz mehrerer Abstiege zu den erfolgreic­hsten der Zebras. Es waren die Jahre, die mich als Fan besonders prägten. Sieben Jahre spielte man in der Bundesliga. Spielzeite­n, in denen man häufig am ganz großen Erfolg kratzte. So reiste man etwa am 22. Spieltag der Saison 93/94 als Tabellenfü­hrer mit einem negativen Torverhält­nis voller Zuversicht zu den Bayern nach München – und holte sich eine böse Klatsche ab. Schon zur Halbzeit stand es 0:4. Davon erholte sich die Mannschaft nicht mehr – und man flog sogar noch aus den Europapoka­lrängen. Aber damals waren viele Fans, insbesonde­re auf der Haupttribü­ne, wo auch ich saß, nicht mehr mit Mittelmaß zufrieden. Immer häufiger waren Pfiffe zu hören – selbst wenn die Mannschaft führte. Eine 1:0-Führung war für manche zu der Zeit eben nicht genug. Fanlieblin­g Peter Közle zerstörte man sogar seine Kneipe, weil er gegen die Bayern mal einen Elfmeter verschoss.

Unvergesse­n bleibt für mich das DFB-Pokal-Endspiel 1998. Der MSV führte 1:0 gegen die Bayern – und alles sah bis Mitte der zweiten Halbzeit nach Pokalsieg aus. Auch wenn man es heute kaum glauben mag: Duisburg war die bessere Mannschaft und hatte das Spiel im Griff. Dann aber foulte ausgerechn­et der ehemalige MSVSpieler Michael Tarnat Baschirou Salou, als dieser allein aufs Tor zulief. Salou musste verletzt vom Platz, Tarnat bekam nur die gelbe Karte. Kurz darauf fiel der Ausgleich, in der Schlussmin­ute der Siegtreffe­r für die Bayern. Und alles war wie immer. Man war dicht dran.

So wie aktuell auch an den Aufstiegsr­ängen zur Bundesliga. Völlig überrasche­nd steht der MSV in der Zweiten Liga auf Platz vier. Dennoch wollen die meisten Fans noch nicht von Aufstieg reden. Nach dem Zwangsabst­ieg in die dritte Liga vor fünf Jahren und der Beinahe-Insolvenz des Vereins herrscht im Fanlager eine neue, sehr angenehme Bescheiden­heit. Die Bundesliga käme noch zu früh, meinen nicht wenige. Ich gehöre nicht dazu. Ich sehne mich nach Erstligafu­ßball in Duisburg. Was Mainz und Augsburg können, das kann der MSV auch. Aber vermutlich wird es am Ende der Saison heißen wie immer. Man war dicht dran.

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FOTO: DPA FOTO: IMAGO „Ennatz“heißt das Plüschzebr­a, das Maskottche­n des MSV Duisburg ist. DFB-Pokalfinal­e 1998: Duisburgs Bachirou Salou zieht aus vollem Lauf ab und erzielt das 1:0. Bayern Münchens damaliger Kapitän Lothar Matthäus kann nicht mehr eingreifen. Am Ende aber...
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