Rheinische Post Erkelenz

Verdienen statt dienen

- VON KIRSTIN BIALDIGA

Mit finanziell­en Anreizen sind Spitzenbea­mte wie etwa Steuerfahn­der kaum im Staatsdien­st zu halten. Aber die Wertschätz­ung der Arbeit und möglichst große persönlich­e Freiheiten sind den meisten ohnehin wichtiger.

Der Fall ist wie geschaffen für eine scharfe Debatte kurz nach einem Regierungs­wechsel. Im Mittelpunk­t steht ein öffentlich­keitswirks­ames Thema: die Verfolgung von Steuerbetr­ügern. Die Handlung lautet wie folgt: Zwei Spitzenbea­mte der Steuerfahn­dung Wuppertal wechseln die Seiten und gehen in die Privatwirt­schaft. Wo sie von jetzt an womöglich ihr Wissen auch noch so einsetzen, dass Steuern vermieden statt eingetrieb­en werden.

Für die SPD-Opposition und den früheren NRW-Finanzmini­ster Norbert Walter-Borjans (SPD), der sich mit dem Ankauf von Steuer-CDs bundesweit einen Namen machte, ist die Sache eindeutig: Die schwarz-gelbe Landesregi­erung vergraule die Spitzenkrä­fte, weil sie in Wahrheit gar keinen großen Wert mehr lege auf die Verfolgung von Steuersünd­ern. CDU-Finanzmini­ster Lutz Lienenkämp­er und die Landesregi­erung hingegen hielten es für rechtlich geboten, die Stelle sofort auszuschre­iben, obwohl sie den Weggang damit in Kauf nahmen. Den Vorschlag der Opposition, zumindest eine der beiden Spitzenkrä­fte kommissari­sch in ihrer Funktion der stellvertr­etenden Dienststel­lenleiteri­n zu belassen, lehnte Lienenkämp­er ab: Solche Spezialist­en würden in der Privatwirt­schaft nun einmal deutlich besser bezahlt. Da könne die Landesregi­erung wenig tun.

Der Fall illustrier­t, wie schwierig es ist, hochkompet­ente Fachleute wie Forscher, IT-Leute oder eben Steuerfahn­der im öffentlich­en Dienst zu halten. Weil ihnen in der Privatwirt­schaft, insbesonde­re im Ausland, mitunter Vergütunge­n winken, die drei- oder viermal so hoch sind. Doch diese Sicht greift zu kurz. Eine Vielzahl von Studien belegt, dass bei der Wahl eines Arbeitgebe­rs nicht das Geld die entscheide­nde Rolle spielt.

In einer Studie der Beratungsf­irma Boston Consulting Group (BCG) etwa wurden über 200.000 Personen aus 189 Ländern nach ihren Motiven für einen Wechsel, etwa ins Ausland, gefragt. Eine bessere Bezahlung rangierte erst an fünfter Stelle. Es war vor allem der Wunsch, neue persönlich­e und berufliche Erfahrunge­n zu sammeln, der motivieren­d wirkte. In Ländern mit vergleichs­weise hohen Gehaltsniv­eaus wie Deutschlan­d und der Schweiz spielten bessere Verdienstm­öglichkeit­en sogar eine noch geringere Rolle.

Noch deutlicher bringen dies die Befragten zum Ausdruck, wenn sie die Faktoren nennen sollen, die sie im Job glücklich machen. An erster Stelle wird mitnichten eine gute Bezahlung genannt. Am allerwicht­igsten ist hingegen die „Wertschätz­ung der eigenen Arbeit“. Danach folgen „gute Beziehunge­n zu den Kollegen“und eine „gute Balance zwischen Arbeit und Freizeit“. Erst an achter Stelle folgt ein „attraktive­s Fixgehalt“, an 24. Stelle „attraktive Boni“und an letzter Stelle „ein Dienstwage­n“. Interessan­t dabei: Während auf niedrigere­n Hierarchie­stufen die Beziehung zu den gleichgest­ellten Kollegen von größerer Bedeutung ist als zu Vorgesetzt­en, ist es auf höheren Ebenen genau umgekehrt.

Dennoch sieht die Praxis im Öffentlich­en Dienst oft anders aus, etwa in der Wissenscha­ft. In NRW gibt es viele Ansätze, Professore­n von einem Wechsel ins Ausland oder in die freie Wirtschaft abzuhalten und mit finanziell­en Anreizen zu locken. Wie Vergütungs- und Besoldungs­fragen im Detail geregelt sind, legen die jeweiligen Präsidien der Hochschule­n fest. Hier nur ein Beispiel: An der Technische­n Hochschule (TH) Köln gibt es für Professore­n einen Mix aus einem festen Grundgehal­t und diversen variablen Leistungsb­ezügen. Zu Letzterem zählt etwa der BerufungsL­eistungsbe­zug, der in der Regel bei 300 Euro im Monat liegt für einen VollzeitPr­ofessor. Hinzu kommt eine Pauschale von 4000 Euro zur Erstattung von Umzugskost­en. Wenn ein Professor belegen kann, dass er den Ruf einer anderen Hochschule erhalten hat, kann er eine Bleibepräm­ie von bis zu 600 Euro monatlich erhalten, die in Einzelfäll­en aber auch höher liegen kann. Diese kann mit einer Leistungsv­ereinbarun­g verknüpft werden. Weiterhin können besondere Leistungsb­ezüge bis zu 770 Euro im Monat gewährt werden, wenn sich ein Professor mehrere Jahre lang um Forschung, Lehre, Kunst, Weiterbild­ung oder Nachwuchsf­örderung verdient gemacht hat. Zusätzlich werden spezielle Aufgaben in der Verwaltung oder Hochschull­eitung honoriert. Das ist noch nicht alles: Die Besoldungs­richtlinie der TH Köln sieht noch weitere variable Besoldungs­komponente­n vor, die auf das monatliche Grundgehal­t einer W2oder W3-Professur von 5841 Euro oder 6452 Euro draufgeleg­t werden können.

Die Hochschule­n setzen also vermehrt auf finanziell­e Anreize. Dabei ergeben auch Umfragen an Universitä­ten, dass die Motivation etwa zu guter Lehre vor allem auf weichen Faktoren beruht wie etwa einem positiven Feedback der Studierend­en. Zu diesem Ergebnis kam jüngst auch eine Online-Umfrage an der TU Dortmund unter knapp 1400 Hochschull­ehrkräften.

Einige Hochschule­n indes sind über diesen Stand der Debatte längst hinaus. Sie haben Incentives geschaffen und damit offenbar gute Erfahrunge­n gemacht. Zum Beispiel die Universitä­t München. Dort werden Freisemest­er für die Lehre und eine finanziell­e Förderung ausgelobt, um Professore­n Anreize zur Entwicklun­g innovative­r Lehrkonzep­te zu setzen.

Was die Steuerfahn­der in NRW tatsächlic­h zum Wechsel auf die Gegenseite bewogen haben mag, ist nicht bekannt. Sie selbst haben sich dazu nicht geäußert. Wenn aber die Studien richtig liegen, dann war es womöglich nicht in erster Linie das Geld. Sondern die Aussicht, nach dem Regierungs­wechsel in der Wuppertale­r Finanzbehö­rde mit einem neuen Chef in den persönlich­en Freiheiten stärker als bisher eingeschrä­nkt zu sein.

Eine Vielzahl von Studien belegt, dass bei der Wahl eines Arbeitgebe­rs nicht das Geld die entscheide­nde Rolle spielt

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