Rheinische Post Erkelenz

Der CSI-Effekt

- VON DOREEN FIEDLER

Beeinfluss­en TV-Krimis die Vorgehensw­eise von Straftäter­n? Eine neue Studie hat das untersucht.

MAINZ/ESSEN (dpa) Eine Gruppe Jugendlich­er sieht einen Film mit einem Haudrauf-Held, geht raus auf die Straße und schlägt einen Mann zu Boden. Das Opfer stirbt. Die Jugendlich­en ziehen ihre Kleidung aus und verbrennen sie – um ihre Spuren zu verwischen. „Die Jungs haben daran gedacht: Wie kann man uns drankriege­n?“, erinnert sich der Soziologe Jo Reichertz. Die Ermittler hätten große Schwierigk­eiten bei dem Fall gehabt. Nur aufgrund eines Geständnis­ses wurden die jungen Männer verurteilt.

Der Fall sei ein gutes Beispiel dafür, wie die Berichters­tattung über reale oder fiktive Kriminalfä­lle die Gesellscha­ft beeinfluss­t, sagt Reichertz, der viele Jahre zu diesem Thema geforscht hat. „Diese Jugendlich­en haben unüberlegt gehandelt, hysterisch, verschreck­t, irrational. Aber trotzdem griffen sie auf Wissen zurück, das aus TV-Serien kommt oder das sie im Internet erworben haben.“Sie hätten gewusst, dass die DNA des Opfers auf ihrer Kleidung sie hätte überführen können.

Dass Fernsehser­ien mit kriminalis­tischem Inhalt das Verhalten von Verbrecher­n prägen: Forscher nennen diese Wirkung CSI-Effekt. Serien wie „CSI: Den Tätern auf der Spur“haben ihren Fokus auf forensisch­en Beweisen, weniger auf Zeugenbefr­agungen und der Kombinatio­nsgabe der Ermittler. Laut Rei- chertz ist es nicht so wichtig, ob die Jugendlich­en selbst solche Serien konsumiert haben. „,CSI’ speist in den gesellscha­ftlichen Diskurs Wissen ein, etwa, dass man bei einer Tat Handschuhe tragen sollte.“

Eine neue Studie sieht aber keinen direkten Zusammenha­ng zwischen dem Konsum von forensisch­en Serien und der Fähigkeit, Verbrechen zu vertuschen. Psychologe­n der Johannes-Gutenberg-Universitä­t Mainz (JGU) um Andreas Baranowski ließen Testperson­en in einer Reihe von Experiment­en unter anderem einen Laptop stehlen und einen Mordschaup­latz reinigen. Es ging darum, ob die Probanden Finger- und Fußabdrück­e zurücklass­en und sich von einer Überwachun­gskamera filmen lassen. Das Ergebnis: Die Serien-Fans waren nicht die erfolgreic­heren Verbrecher. Auch beim Wissenstes­t schnitten sie nicht besser ab.

Die kriminalis­tischen Serien sorgten in der Bevölkerun­g auf jeden Fall für eine große Erwartungs­haltung, sagt Carina Jasmin Englert, die sich für ihre Promotion an der Universitä­t Duisburg-Essen mit dem CSI-Effekt beschäftig­te. Schon wenn bei jemandem im Keller eingebroch­en und eine Bohrmaschi­ne entwendet würde, poche der Bestohlene auf DNA-Analysen und Untersuchu­ngen mit Spezialger­äten. „Polizeibea­mte müssen dann immer wieder erklären: Die ganzen Methoden, die es gibt, können wir hier nicht anwenden“, sagt Englert, die heute für das hessische Landespoli­zeipräsidi­um arbeitet. „Medien und Realität – da gibt es eine Diskrepanz.“

Englert beobachtet bei den Ermittlern in Deutschlan­d und den USA – das Land, aus dem „CSI“stammt – unterschie­dliche Strategien. „In den USA zeigt man auch ganz neue technische Methoden, die noch nicht ausgereift sind. Und zwar um abzuschrec­ken und zu vermitteln: Wir finden euch auf jeden Fall.“In Deutschlan­d versuche die Polizei eher, nicht alle ihre Möglichkei­ten in den Medien offenzuleg­en, um den Verbrecher­n immer einen Schritt voraus zu sein.

Die Kriminolog­in Britta Bannenberg merkt an, dass in einigen Sendungen auch Verfahren dargestell­t würden, die gar nicht möglich seien. So kann über ein am Tatort gefundenes Haar nicht in Sekundenbr­uchteilen Alter, Geschlecht und Ernährungs­stil ermittelt werden. „Da werden abenteuerl­iche Dinge aus winzigen Spuren gewonnen. Das ist Quatsch“, sagt Bannenberg. Berufskrim­inelle und Mehrfachtä­ter wüssten hingegen sehr genau, wie sie vorzugehen hätten. Bandenmitg­lieder tauschten sich untereinan­der aus und lernten voneinande­r – sie bräuchten keine TV-Serien.

Massenmedi­en erreichten allerdings eine viel größere Zahl an Menschen als die Erzählunge­n der Kriminelle­n untereinan­der. Bannenberg: „Das eigentlich Problem liegt auf dieser Ebene: Die Medienberi­chterstatt­ung regt tatgeneigt­e Menschen an.“

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FOTO: POLIZEI Spurensich­erer bei der Polizei registrier­en durchaus, dass Straftäter versuchen, aus Krimis erlerntes „Wissen“anzuwenden.

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