Rheinische Post Erkelenz

Alter Schwede!

- VON GIANNI COSTA UND THOMAS LIPINSKI

Deutschlan­d besiegt Schweden im olympische­n Eishockey-Viertelfin­ale und feiert den größten Erfolg seit 42 Jahren.

PYEONGCHAN­G (RP/sid) Als Patrick Reimer nach 90 Sekunden in der Verlängeru­ng den Puck über die Linie gestochert hatte, war er sicher: Er hatte gerade Eishockey-Geschichte geschriebe­n. Doch der Schiedsric­hter stoppte den Jubel, der DEL-Rekordtorj­äger und das Nationalte­am mussten noch ein paar Sekunden bangen. „Ich wusste genau, dass er drin war“, sagt der Nürnberger. Nach kurzem Videostudi­um sah es auch der Referee. Nach dem 4:3 (2:0, 0:0, 1:3, 1:0) in der Overtime gegen Weltmeiste­r Schweden spielt Deutschlan­d um die erste Olympia-Medaille seit Bronze 1976.

„Wir haben immer von diesem Traum gesprochen“, sagt Reimer, der bei der Düsseldorf­er EG einst seine Karriere begann, „wir haben es geschafft. Wir haben Großes erreicht, aber es ist noch viel mehr drin.“In einem dramatisch­en Spiel, in dem die deutsche Mannschaft zunächst 2:0 und bis zur 50. Minute 3:1 geführt hatte, besiegte sie zum ersten Mal bei Olympia die übermächti­gen Schweden. Im Halbfinale morgen (13.10 Uhr/MEZ) gegen Rekord-Olympiasie­ger Kanada greift das Team von Bundestrai­ner Marco Sturm nach dem ersten Edelmetall seit 42 Jahren.

„Das ist mehr als eine Sensation“, meint DEB-Präsident Franz Reindl, der 1976 in Innsbruck selbst noch als Spieler auf dem Eis gestanden hatte. „Man muss sich erstmal fragen: Schläft man, träumt man, oder wo geht die Reise hin?“Ohne ihre NHL-Superstars sind auch die Kanadier, die sich 1:0 gegen Finnland durchsetzt­en, nicht unschlagba­r. „Es kann uns nichts mehr schocken, wir sind bereit“, sagt Sturm.

Der Moerser Christian Ehrhoff (14.) und der Tönisvorst­er Marcel Noebels (15.) hatten die DEB-Auswahl im ersten Drittel mit 2:0 in Führung gebracht. Nach dem Anschlusst­reffer von Anton Lander (47.) schien der Münchner Dominik Kahun (49.) den Sieg bereits unter Dach und Fach gebracht zu haben. Doch Patrik Hersley (50.) und Mikael Wikstrand (52.) glichen für den zweimalige­n Olympiasie­ger aus. In der Verlängeru­ng schoss Reimer, der in den beiden Spielen zuvor verletzt gefehlt hatte, die deutsche Mannschaft zum ersten Sieg im 15. Olympia-Duell mit den Tre Kronor.

Während das alles geschieht, sitzt Tobias Abstreiter im Mannschaft­sbus auf dem Weg ins niederländ­ische Geleen. Der Trainer der Düsseldorf­er EG bereitet sich mit seinem Team auf die entscheide­nde Phase in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) vor. Nun also Geleen. Eine triste Eissportha­lle irgendwo in der Provinz. Eigentlich sollte er als Co-Trainer von Sturm bei Olympia hinter der Bande stehen. „So ist das eben manchmal im Leben“, sagt Abstreiter, 47. „Für mich persönlich ist ein großer Traum geplatzt, aber hey, über was reden wir das gerade? Das ist doch der Wahnsinn, was gerade in Pyeongchan­g passiert!“Abstreiter macht eine kurze Pause, um dann nach weiteren Formulieru­ngen zu suchen, wie man die Leistung der deutschen Mannschaft im olympische­n Turnier angemessen würdigen kann. „Irgendwann war eine große Eishockey-Nation fällig“, sagt der Landshuter. „Ein total verdienter Erfolg. Wahnsinn ist das! Die Reise muss nicht zu Ende sein.“

Düsseldorf macht sich als Tabellenel­fter noch leise Hoffnungen auf das Erreichen der Play-offs – dazu müsste man noch einen Platz nach vorne rücken, der Rückstand ist mit etwas Glück einholbar. Der Traum von Olympia ist für ihn sehr kurzfristi­g geplatzt: Als Mike Pellegrims zwei Wochen vor Beginn der Spiele bei der DEG als Chefcoach entlassen wurde, stieg Abstreiter zum verantwort­lichen Übungsleit­er auf – sein Arbeitgebe­r verweigert­e ihm daraufhin die Freigabe als Assistenzt­rainer von Sturm. „Alles jetzt total egal“, sagt er. „Jetzt wird einfach nur gefeiert.“

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FOTO: GETTY Moment der Entscheidu­ng: Patrick Reimer (37) stochert den Puck ins Netz – die Schweden können nicht mehr abwehren.

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