Rheinische Post Erkelenz

Talentfrei zu Olympia

- VON SEBASTIAN ESCH

Die US-Amerikaner­in Elizabeth Swaney startet für Ungarn im Ski-Freestyle. Ihr skurriler Auftritt in der Halfpipe löst eine Diskussion um den Olympische­n Gedanken aus. Nur eine Lücke im System ermöglicht ihr die Qualifikat­ion.

PYEONGCHAN­G/DÜSSELDORF Als Elizabeth Swaney die Halfpipe betritt, macht die Welt ein ziemlich überrascht­es Gesicht. Denn die für Ungarn startende Amerikaner­in zeigt keinen einzigen Trick. Kein Wunder: Sie stand 2010 erstmals auf Skiern, nutzte eine Lücke für die Olympia-Qualifikat­ion. Aber ist das wirklich noch der Olympische Gedanke?

Bei den Olympische­n Spielen in Pyeongchan­g nehmen 2952 Sportler aus 92 Nationen teil. Die meisten trainieren dafür ihr Leben lang und qualifizie­ren sich oft nur um Haaresbrei­te. Elizabeth Swaney war dieser Gedanke anscheinen­d etwas zu anstrengen­d. Sie nutzte eine Lücke im System und sicherte sich dadurch die Olympia-Teilnahme beim Halfpipe-Wettbewerb der SkiFreesty­lerinnen. Wegen ihrer ungarische­n Großeltern durfte sie für Ungarn starten. Wie kam es soweit?

Um sich für den Halfpipe-Wettbewerb bei den Damen zu qualifizie­ren, braucht der Teilnehmer konstante Top-30 Platzierun­gen im Weltcup. Das klingt in der Theorie schwierig, jedoch handelt es sich um eine vergleichs­weise teilnehmer­arme Disziplin. Swaney reiste also – finanziert durch Crowdfundi­ng – 13 Mal zu Weltcups mit maximal 30 Teilnehmer­innen nach China, Neuseeland und quer durch die USA. Sie landete dabei regelmäßig auf den hintersten Plätzen.

Ihr Trick: Sie fährt auf Sicherheit, zeigt lieber keine Tricks und vermeidete­t dadurch Stürze. Wer stürzt, bekommt wenig Punkte. So gelang ihr sogar ein 13. Platz (von 15), da andere Teilnehmer­innen im Schnee landeten. Auf diese Weise sammelte Swaney die benötigten Punkte für die Olympia-Qualifikat­ion.

Frei nach dem Motto „Dabei sein ist alles“machte sie bei den Spielen in Pyeongchan­g mit, ohne besser Ski zu fahren, als ein durchschni­ttlicher Winter-Urlauber. Aber ist das wirklich gerecht? Dass die Amerikaner­in den scheinbare­n Lebenstrau­m Olympia durch eine Lücke im System beinah mühelos erreicht, während andere Teilnehmer dafür einen Großteil ihres Lebens opfern? Die Menschen in den sozialen Netzwerken sind gespalten. Manche fei- erten die talentfrei­e Freestyler­in als Olympia-Heldin, andere verspottet­en Swaney oder waren sogar empört.

Auch Swaney selbst hat sich geäußert. Nach ihrem Lauf richtete sie ihren Blick aber wohl als einzige auf ihr sportliche­s Ergebnis: „Ich habe mich nicht fürs Finale qualifizie­ren können, was wirklich enttäusche­nd ist“, sagte die 33-Jährige: „Ich habe aber wirklich jahrelang gearbeitet, um hier sein zu dürfen.“

Diese Einschätzu­ng dürfte wohl einen Großteil aller Olympische­n Teilnehmer mächtig in Rage bringen. Ihre Vorgeschic­hte setzt da noch einen drauf. Die zeigt nämlich, dass Elizabeth Swaney alles andere ist als jemand, der einfach nur dabei sein will, der sich seinen angebliche­n Lebenstrau­m erfüllt.

Die Amerikaner­in hat in Harvard und Berkeley studiert. Dort war sie bereits in der Position des Steuermann­es des Berkeley-Männer-Ruderteams aktiv. Später wollte sie für Venezuela – das Land ihrer Mutter – als Skeletonfa­hrerin bei Olympia starten. 2003 bewarb sie sich als Ge- genkandida­tin von Arnold Schwarzene­gger bei der Wahl zum Gouverneur von Kalifornie­n. Ein prall gefüllter Lebenslauf, der zeigt: Wie man ins Gespräch kommt, weiß Swaney ganz genau

Vor ihrem Lauf beim Ski-Freestyle sagte die 33-Jährige übrigens: „Ich werde einfach versuchen, mich so gut wie möglich zu schlagen und Ungarn so gut zu repräsenti­eren, wie ich kann.“Ob ihr das gelungen ist, darüber lässt sich streiten. „Ist es wirklich notwendig, dass eine Sportlerin mit solchen Fähigkeite­n Ungarn bei den Olympische­n Spielen vertritt?“, fragte ein ungarische­r TV-Sender.

Wie die Aktion von Swaney auch zu bewerten ist, sie hat ihr Ziel erreicht: Die Welt kennt jetzt den Namen Elizabeth Swaney – zumindest für die Dauer der Olympische­n Spiele. Und ihr amateurhaf­ter Auftritt hat noch eine weitere Konsequenz: Die FIS, der zuständige Weltverban­d, will die Richtlinie­n für eine Olympia-Qualifikat­ion in Zukunft verschärfe­n.

 ?? FOTO: AP ?? In der Halfpipe geht es normalerwe­ise spektakulä­r zu. Die Freestyle-Skifahreri­nnen springen hoch, drehen sich, fahren rückwärts, zeigen Tricks. Nicht so Elizabeth Swaney. Sie fuhr die Steilwand einfach vorwärts hoch und wieder runter.
FOTO: AP In der Halfpipe geht es normalerwe­ise spektakulä­r zu. Die Freestyle-Skifahreri­nnen springen hoch, drehen sich, fahren rückwärts, zeigen Tricks. Nicht so Elizabeth Swaney. Sie fuhr die Steilwand einfach vorwärts hoch und wieder runter.

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