Berlinale irritiert mit Bärenvergabe
Der wenig spektakuläre Film „Touch Me Not“gewinnt den Goldenen Bären.
BERLIN Warum hast Du mich nie gefragt, worum es in diesem Film geht? Diese Frage stellt die rumänische Künstlerin Adina Pintilie an den Anfang ihres Films „Touch Me Not“. Zu intim, soll die Antwort des Zuschauers wohl lauten, denn bald wird er Menschen kennenlernen, die über ihre Körper sprechen und über Sexualität, über Lust und Angst, über Scham und Begierde. Es werden ungewöhnliche Menschen darunter sein, einer, der seit seiner Jugend keine Haare mehr am Körper hat und lernen musste, das nicht als Makel zu sehen. Wie die anderen. Oder einer, der einen kleinen Körper hat, der seitlich neben ihm ruht, wenn er nicht im Rollstuhl sitzt. Und sehr schöne Augen. Und eine frappierend offene Art, über seine Sexualität zu sprechen.
Der beste Film der 68. Berlinale befand die Jury unter Tom Tykwer und gab den Goldenen Bären an „Touch Me Not“. Eine eigenwillige Entscheidung, denn der Film ist zwar berührend in seiner Ehrlichkeit und Direktheit, die nichts Anmaßendes oder Obszönes hat, sondern etwas Zärtliches. Doch sollte das wohl bei jeder besseren Doku über ein sensibles Thema so sein. Inhaltlich wie ästhetisch zeigt „Touch Me Not“in Wahrheit nichts Neues, auch wenn die Filmemacherin in einer Sequenz die Kamera dreht und über eigene Ängste spricht. Experimenteller wird es in dem als Experimentalfilm deklarierten Werk nicht. Es gibt also Rätsel auf, was die Jury an diesem zwischen Doku und therapeutischen Gesprächen changierenden Film derart fasziniert hat. Zumal JuryPräsident Tykwer bei der Abschlussgala der Filmfestspiele in Berlin noch verkündet hatte, die Entscheidung werde ein Zeichen dafür sein, wohin sich der Film entwickeln könnte. Ja, wohin? Mehr Doku, mehr Therapiezimmer, mehr künstlerische Pose der Filmemacher?
Der große Preis der Jury ging an die polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska, die mit „Twarz“einen kritisch-komischen Film über Borniertheit, aber auch Warmherzigkeit der Menschen auf dem Land gedreht hat. Der Amerikaner Wes Anderson wurde für seinen traurigverspielten, technisch höchst anspruchsvollen Animationsfilm „Isle of Dogs“als bester Regisseur ausgezeichnet. Alle vier deutschen Kandidaten gingen also leer aus.
Die wundervolle Ana Brun aus Paraguay bekam den Bären als beste Darstellerin. Sie spielt in „Las herederas“eine ältere Frau aus der Oberschicht, die ihren wirtschaftlichen Absturz als Befreiung erlebt. Dazu bekam der mit Deutschland koproduzierte Film von Marcelo Martinessi auch den Alfred-BauerSonderpreis. Der Franzose Anthony Bajon wurde als bester Hauptdarsteller geehrt für seine feinfühlige Darstellung eines Drogensüchtigen, der zum Glauben findet.
Eine Berlinale mit vielen berührenden Momenten, starken Schauspielern, vielfältigen Geschichten ging damit zu Ende. Allerdings auch eine, der überragende Filme fehlten. Auch dafür steht in diesem Jahr der Goldene Bär.