Rheinische Post Erkelenz

Eine Super-Metro soll die Pariser Vorstädte befreien

- VON CHRISTINE LONGIN

Die Tunnelbohr­ungen für das größte Infrastruk­turprojekt Europas haben begonnen. Es soll den Großraum Paris endlich vereinen.

CHAMPIGNY-SUR-MARNE Michel wärmt seine Hände an einem Pappbecher mit Glühwein. Es ist kalt und regnerisch an diesem Februarabe­nd in Champigny-sur-Marne, doch der 43-Jährige ist zusammen mit seinem kleinen Sohn Roméo zur Großbauste­lle an der Rue de Bernaü gekommen, um einen Blick auf ein riesiges, blau lackiertes Rad zu werfen, das bald seine stählernen Zähne in die Erde schlagen soll. Ab Ende März wird die Vortriebsm­aschine in der Pariser Vorstadt den Tunnel für die neue Metrolinie 15 bohren, die spätestens zu den Olympische­n Spielen 2024 fertig sein soll. „Sie wird unsere Anbindung verbessern“, sagt Michel, der seine Arbeitsste­lle bewusst so ausgesucht hat, dass er nicht allzu lange fahren muss. Denn für die Bewohner von Champigny ist der Weg nach Paris bisher sehr beschwerli­ch.

Noch schwierige­r ist es, mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln von einer Vorstadt zur anderen zu kommen. Ein Gefühl der Isolation herrscht deshalb in vielen Banlieues, die vor allem im Norden und Osten von Paris mit hoher Kriminalit­ät und Arbeitslos­igkeit zu kämpfen haben. „Die Linie 15 wird von der Bevölkerun­g so sehnlich erwartet“, bemerkt Christian Favier, der Vorsitzend­e des Departemen­talrats.

Die Ringbahn rund um Paris, ist das Herzstück des größten Infrastruk­turprojekt­s in Europa. Vier neue Metrolinie­n, 200 Kilometer Strecke und 68 Bahnhöfe gehören zum Mammutprog­ramm Grand Paris Express, das bis 2030 den Nahverkehr im Großraum Paris mit seinen zwölf Millionen Einwohnern neu strukturie­ren soll. Die Einwohner der Banlieue können dann mit der Bahn in wenigen Minuten direkt von einem Vorort zum anderen fahren, ohne den zeitrauben­den Umweg nach Paris zu machen.

„Wenn man mit den Kindern irgendwo hin will, muss man künftig nicht mehr das Auto nehmen. Das verbessert die Luft“, freut sich Michel. Die Hauptstadt­region kämpft seit Jahren gegen die Luftversch­mutzung, die an sonnigen Tagen den Eiffelturm in eine gelb-graue Wolke hüllt. Bürgermeis­terin Anne Hidalgo will deshalb ab 2030 Verbrennun­gsmotoren in der Hauptstadt ganz verbieten. Außerdem ließ sie 2016 die Uferstraße rechts der Seine für Autos sperren – sehr zum Ärger der Vorstadtge­meinden. Denn gerade die Bewohner der Banlieue pendeln mit dem Auto in die Stadt, da es für sie bisher keine vernünfti- ge Anbindung mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln gibt.

Wo die neue Metro 15 genau verlaufen soll, zeigt eine Informatio­nstafel auf dem Parc du Plateau in Champigny. Aurore und Anaïs studieren die rote Linie genau, die irgendwann einmal ringförmig um Paris führen soll. Die beiden 25 Jahre alten Frauen freuen sich über die neue Supermetro in ihrer 75.000- Einwohner-Stadt. „Das belebt das Geschäft in den Städten entlang der Strecke. Vor allem in denen, die bisher nicht einmal einen Bahnhof hatten“, sagt Aurore. Rund um die neuen Bahnhöfe entstehen Geschäfte, Büros und Wohnungen für mehrere zehntausen­d Menschen.

Das Absenken der ersten Tunnelbohr­maschine in einen 20 Meter tiefen Graben wurde als großes Event mit Fanfarenzu­g und Maschinent­aufe inszeniert. Im Mittelpunk­t stand die imposante Tunnelbohr­maschine des süddeutsch­en Hersteller­s Herrenknec­ht. „Steffie“heißt das Ungetüm, nach einer der wenigen Frauen benannt, die unter der Erde im Tunnelbau arbeiten. Der blauen Scheibe mit zehn Metern Durchmesse­r folgt ein 100 Meter langer Zug mit Spezialvor­richtungen zum Setzen der Betonhülle, Pilotenkab­ine und Wagen zum Transport der ausgehoben­en Erde nach draußen.

„Wir haben Teams von 20 Leuten, die in drei Schichten rund um die Uhr unter der Erde arbeiten werden“, beschreibt der Ingenieur Se- bastien Trarieux die Bohrung. Wie ein riesiger Maulwurf gräbt sich „Steffie“dann jeden Tag etwa zwölf Meter durch den Boden, um 2,2 Kilometer weiter in Villiers-sur-Marne herauszuko­mmen. Danach wird die Maschine irgendwo anders eingesetzt. Die Flughäfen Orly und Charles de Gaulle sollen so ebenso an Paris angebunden werden wie die nördlichen Vorstädte.

In Clichy-sous-Bois, wo 2005 die Vorstadtun­ruhen begannen, besteht dieses Verspreche­n seit mehr als zehn Jahren. Die Umsetzung droht sich nun jedoch weiter zu verzögern, denn Grand Paris Express wird deutlich teurer als gedacht. Auf 19 Milliarden Euro waren die Kosten der „Jahrhunder­tbaustelle“2010 berechnet worden. Inzwischen kalkuliert der Rechnungsh­of mit rund 35 Milliarden Euro. Der Bau der Linie 16, die Clichy-sous-Bois endlich aus ihrer Isolation befreien sollte, wird erst einmal verschoben. Ebenso wie die Linie 17, die vorerst nur zu den olympische­n Sportstätt­en führen soll und nicht wie geplant bis zum Flughafen Charles-de-Gaulle.

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FOTO: AFP Ein Arbeiter steht auf dem Bohrrad der Tunnelvort­riebmaschi­ne.

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