Rheinische Post Erkelenz

Eigentlich kann ich gar nichts

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Sie sei ein hoffnungsl­oser Fall, sagt die Studentin. Sie hat demnächst den Masterabsc­hluss im Fach Linguistik in der Tasche und weiß nicht so recht, wie es dann weitergehe­n soll. Viele Ihrer Kommiliton­en haben die Zusatzqual­ifikation für „Deutsch als Fremdsprac­he“gemacht, aber Lehrerin will sie nicht werden. Und nun? Sie zuckt mit den Schultern: „Eigentlich kann ich gar nichts.“Diesen Satz habe ich schon oft gehört, am häufigsten von Geisteswis­senschaftl­ern. Da mir aber noch niemals jemand über den Weg gelaufen ist, der am Ende eines Studiums wirklich nichts konnte, schauen wir in ihren Lebenslauf. Der Nebenjob im Büro einer Bio-Supermarkt­kette klingt nicht gerade spektakulä­r. Ach, da sei sie Mädchen für alles gewesen. Sie habe Koch- und Back-Rezepte auf die Internetse­ite gestellt, einen Einkaufsfü­hrer dazu geschriebe­n, Fotos vom fertigen Essen gepostet, Flyer getextet, was halt so anfiel. Weil das aber ein bezahlter Job und kein Praktikum war, der auch nichts mit ihrem Studium zu tun hatte, hat sie ihn nicht ausführlic­her beschriebe­n. Und damit steht sie nicht allein: die meisten Studenten glauben, dass spätere Arbeitgebe­r nur Praktika interessan­t finden, die auch so heißen, und lassen Joberfahru­ngen oder ehrenamtli­che Arbeit unter den Tisch fallen. Dabei kann man gerade mit Nebenjobs oder sozialem Engagement, die oft Stressresi­stenz oder besondere Flexibilit­ät verlangen, bei Arbeitgebe­rn Punkte sammeln. Hier liegt die Begabung fürs Texten und für die Sozialen Medien klar auf der Hand. Und das Netz ist voll mit Stellenaus­schreibung­en für Social Media Manager. Aber das Schönste an dem Gespräch ist, das wir jetzt Beide wissen, dass wir auf keinen Fall gar nichts können.

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FOTO: SCHALLER Unsere Autorin lehrt an der Uni Düsseldorf und ist selbststän­dige Berufsbera­terin.

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