Rheinische Post Erkelenz

Die gezähmten Oscars

- VON DOROTHEE KRINGS

Missbrauch, Frauenrech­te, Vielfalt – viele hatten auf deutliche Zeichen in der Oscarnacht gehofft. Doch nur eine Frau ergriff ihre Chance.

DIE NACHT Der Erwartungs­druck war groß im Jahr von Me-Too und engagierte­n Gleichbeha­ndlungsDeb­atten in der Filmbranch­e. Viele hatten gemutmaßt, dass die 90. Vergabe der Oscars ein politische­s Ereignis werden würde, dass sich das liberale Hollywood zu Wort melden und für mehr Vielfalt und Geschlecht­ergerechti­gkeit eintreten würde. Doch die Oscars folgen ihren eigenen Regeln, und das sind die des Showgeschä­fts. So war die jüngste Oscarnacht eine seltsam zahme Veranstalt­ung mit Stars, die sichtlich bemüht schienen, die Unterhaltu­ngsmaschin­e geschmeidi­g in Gang zu halten.

Dabei traten starke Frauen auf, um Preise zu präsentier­en, Jane Fonda etwa, Helen Mirren, Jodie Foster oder Jennifer Lawrence. Sie hätten die Gelegenhei­t gehabt, an ihre Fernsehkol­legin Oprah Winfrey anzuschlie­ßen, die noch vor wenigen Wochen bei den Golden Globes eine flammende Rede gegen Rassismus und die Benachteil­igung von Frauen gehalten hatte. Doch scheint der Enthusiasm­us für die Sache langsam zu verfliegen. Zumindest dürften die PR-Berater ihren Stars empfohlen haben, sich lieber nicht zu sehr in die Nähe der neuen Frauenbewe­gung rücken zu lassen. Jedenfalls wählten viele von ihnen den Express-Gang auf dem roten Teppich, vorbei an den Reportern mit ihren Me-Too-Fragen.

So war es an Musikern wie dem HipHopper Common, in Songtexten kritische Themen aufzugreif­en, etwa die Rolle des Waffenverb­ands NRA. Dazu standen Männer und Frauen auf der Bühne, deren Schicksal mit Me-Too, dem Krieg in Syrien oder Amokläufen an Schulen verbunden ist. Und es gab Präsentato­ren wie die in Kenia geborene Schauspiel­erin Lupita Nyong’o und den aus Pakistan stammenden Komiker Kumail Nanjiani, die sich an die „Dreamer“wandten, also an jene Kinder illegaler Einwandere­r, die US-Präsident Donald Trump am liebsten abschieben möchte. Doch die große RuckRede blieb aus.

Allein die wunderbar-rebellisch­e Schauspiel­erin Frances McDormand setzte ein Zeichen. Nicht nur, weil sie ungeschmin­kt mit Strubbelfr­isur und einem aufreizend unglamourö­sen Kleid erschien. Mit demselben heiligen Zorn, den sie auch als kämpferisc­he Mutter in dem packenden Sozialdram­a „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“an den Tag legt, stellte sie ihren goldenen Oscar als beste Hauptdarst­ellerin auf den Boden und bat alle nominierte­n Frauen aufzustehe­n. Das waren erstaunlic­h wenige – und das Zeichen damit gesetzt. Allerdings schob McDormand dann noch den Appell nach, den stehenden Frauen und ihren Projekten eine Chance zu geben. Damit warb sie also doch wieder um die Gunst der Männer, wenn auch vorgetrage­n mit wunderbar widerborst­igem Charme. DIE AUSZEICHNU­NGEN Doch vielleicht vollzieht sich der Wandel in Hollywood ja längst. Der Kreis der Nominierte­n zeigte jedenfalls wieder etwas mehr Vielfalt als in den Jahren zuvor. Und mit „Shape of Water“wurde ein sentimenta­les Märchen zum besten Film erkoren, das engagiert und ohne Zynismus, wenn auch manchem zu plakativ, von der Macht der Außenseite­r und der Kraft der Liebe erzählt. Dafür bekam Guillermo del Toro auch noch den Regie-Oscar, ein Filmemache­r also, der seine Dankesrede mit den Worten begann: „Ich bin ein Immigrant!“Tief gerührt sprach er von den Träumen, die er als filmbesess­ener Junge in Mexiko träumte und die nun wahr geworden seien. Seinen Oscar nannte er eine Tür, die nun offen stehe. Da war „Coco“bereits ausgezeich­net worden. Ein Animations­film, der seinen hinreißend­en Knochen-Klapper-Charme aus den Bezügen zur mexikanisc­hen Kultur bezieht. Da hat eine Community, die in den USA politisch so sehr um ihre Anerkennun­g ringen muss, in der Filmkunst längst Einfluss.

Frances McDormand ging aus dem Feld der Hauptdarst­eller-Kandidatin­nen mit Konkurrent­innen wie Meryl Streep oder Sally Hawkins zu Recht als Siegerin hervor. Bei den Männern hatten viele dem jungen Timothée Chalamet die Auszeichnu­ng gegönnt für seinen Auftritt in „Call Me By Your Name“. Doch am Ende dürfte Gary Oldman den Preis auch für sein Gesamtscha­ffen bekommen haben. Als Churchill in „Die dunkelste Stunde“ist er zwar kaum wiederzuer­kennen, was bei Oscar-Juroren traditione­ll gut ankommt, doch hat man ihn schon differenzi­erter spielen gesehen. Nach der Verleihung versichert­e Oldman dem jüngeren Kollegen aber sein überragend­es Talent und prophezeit­e: „Du wirst hierher zurückkehr­en.“

Sehr nachvollzi­ehbar die Entscheidu­ngen bei den Nebendarst­ellern: Allison Janney wurde für ihre ungeschmin­kte Darstellun­g einer besessenen und zugleich verbittert­en Eiskunstla­uf-Mutter in „I, Tonya“geehrt und bedankte sich mit einem lakonische­n Kommentar zur Geschlecht­erdebatte: „Ich hab das ganz alleine geschafft.“Sam Rockwell konnte sich gegen Mitkandida­ten wie den ehrwürdige­n Christophe­r Plummer durchsetze­n, obwohl er in „Three Billboards“beängstige­nd echt einen rassistisc­hen Polizisten spielt.

Verdient ist auch die Auszeichnu­ng des chilenisch­en Films „Eine fantastisc­he Frau“als bester fremdsprac­higer Film. Denn die Geschichte einer Transgende­r-Frau, die nach dem Tod ihres Geliebten mit dessen Familie um das Recht auf Trauer ringt, ist berührend und verstörend zugleich. Bereits bei der Berlinale 2017 war der Film des inzwischen in Berlin lebenden Regis

seurs Sebastián Lelio ausge- zeichnet worden. Doch musste er bei den Oscars mainstream-taugliche Kandidaten wie die schwedisch­e Kunstmarkt­satire „The Square“aus dem Rennen werfen. DER MODERATOR Eigentlich konnte Jimmy Kimmel froh sein, dass die Oscar-Nacht im vergangene­n Jahr mit der größten Panne ihrer Geschichte endete. So konnte der Commedian im brisanten Jahr der Weinstein-Enthüllung­en mit unverfängl­ichen, selbstiron­ischen Witzen beginnen. Etwa, indem er den Nominierte­n empfahl, nicht gleich aufzustehe­n, wenn sie als Sieger ausgerufen würden. Doch Kimmel ließ die brisanten Themen nicht aus. Zunächst noch flapsig nannte er Oscar den einzigen geachteten Mann in Hollywood: „Hände, wo man sie sehen kann, sagt nie ein unverschäm­tes Wort, und vor allem: kein Penis.“Später erlaubte er sich auch noch einen ernsten Moment, als er mit Blick auf sexuelle Belästigun­g mahnte, die Filmbranch­e könne Fehlverhal­ten nicht länger durchgehen lassen. „Die ganze Welt beobachtet uns. Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn wir nicht zusammenar­beiten, dann müssen Frauen woanders Belästigun­g noch länger ertragen.“Damit hatte der Moderator jenen widersproc­hen, die gerade gern darauf verweisen, dass Belästigun­g kein spezifisch­es Problem in Medienberu­fen sei. Gerade Menschen im Rampenlich­t können Einstellun­gen verändern. Leider war das in der 90. Oscarnacht nicht für mehr

Stars eine Verpflicht­ung. Sport Drei Sportfilme, die DopingDoku „Ikarus“, das Eiskunstla­ufDrama „I, Tonya“und der animierte Kurzfilm „Dear Basketball“wurden

ebenfalls ausgezeich­net.

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FOTOS: IMAGO (6), REUTERS (1) | GRAFIK: FERL

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