Rheinische Post Erkelenz

Abkehr vom Turbo-Abi wird teuer

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Die NRW-Schulminis­terin erwartet Kosten von mehreren Hundert Millionen Euro. Das G 9-Gesetz soll noch vor der Sommerpaus­e verabschie­det werden. Die Opposition sieht wichtige Fragen ungeklärt.

DÜSSELDORF Die Landesregi­erung rechnet mit hohen Ausgaben für die Wiedereinf­ührung der neunjährig­en Gymnasialz­eit (G9). „Bayern liegt bei 350 Millionen bis 500 Millionen Euro“, sagte NRW-Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) gestern. Anhand dieser Zahl lasse sich in etwa hochrechne­n, wie teuer die Umstellung in NRW werden könnte. Im Landesfina­nzminister­ium rechnet man mit Kosten von bis zu einer Milliarde Euro bis 2020, je nachdem, wie viele Gymnasien bei G8 bleiben.

Durch G9 entstehen zusätzlich­e Kosten, unter anderem weil die Schulen künftig mehr Räumlichke­iten brauchen. In einigen größeren Städten müssen voraussich­tlich sogar neue Gymnasien gebaut werden. Überdies werden 2200 neue Lehrerstel­len in NRW gebraucht, die 110 Millionen Euro jährlich kosten würden.

Das Landeskabi­nett stimmte dem Gesetzentw­urf für die Rückkehr zu G9 gestern zu. Der Landtag soll ihn vor der Sommerpaus­e verabschie­den. Gleichzeit­ig soll auch das Gesetz in Kraft treten, das den Aus- gleich der Kosten zwischen Land und Kommunen regelt.

„Die Landesregi­erung hat damit eines ihrer größten und wichtigste­n Gesetzesvo­rhaben auf den Weg gebracht“, sagte Gebauer. Es markiere das Ende einer jahrelange­n emotional geführten Debatte. Die Ministerin stellte aber klar, dass das Land nur solche Kosten übernehmen werde, die den Kommunen aufgrund der Rückkehr zu G9 entstehen. Herauszure­chnen sei etwa der Bedarf an zusätzlich­en Räumlichke­iten infolge steigender Geburtenza­hlen. Darüber werde mit den Verbänden noch zu sprechen sein.

Dem Gesetzentw­urf zufolge sollen grundsätzl­ich alle öffentlich­en Gymnasien in NRW zum Schuljahr 2019/20 wieder zu G9 zurückkehr­en. Davon betroffen sind also erst Schüler, die heute im dritten oder vierten Schuljahr sind. Die Gymnasien können indes entscheide­n, beim Turbo-Abi zu bleiben. Dafür ist ein Zwei-Drittel-Beschluss der jeweiligen Schulkonfe­renzen notwendig. Die Kommunen haben in ihrer Eigenschaf­t als Schulträge­r ein Vetorecht. Privatschu­len brauchen keine Zweidritte­lmehrheit für G8. Die Schulminis­terin erwartet, dass über 90 Prozent der Schulen die neunjährig­e Gymnasialz­eit wiedereinf­ühren.

Die Pflicht-Wochenstun­denzahl soll bei 180 Stunden in Klasse fünf bis zehn liegen plus weiteren acht, die für die Gymnasien freiwillig sind. In diesen sechs Schuljahre­n fallen also jeweils 30 Wochenstun­den an, sechs Schulstund­en täglich. Die Gymnasien können wieder zum Halbtagsbe­trieb zurückkehr­en. Die zweite Fremdsprac­he, meist Französisc­h oder Latein, soll wieder im siebten Schuljahr einsetzen statt im sechsten wie bisher. Nähere Informatio­nen kündigte Gebauer noch für diese Woche an.

Aus Sicht der Grünen-Opposition bleibt die Ministerin im Gesetzentw­urf wichtige Antworten schuldig. Etwa was die Umstellung genau kostet, wer sie bezahlt und woher die zusätzlich­en Räume kommen sollen, wie die schulpolit­ische Sprecherin Sigrid Beer kritisiert­e. Auch müsse bedacht werden, was die Rückkehr zu G9 für die kommenden Ausbildung­sjahrgänge bedeute, wenn ein Abiturjahr­gang nahezu komplett ausfalle. Völlig unklar bleibe, wie die versproche­ne Wahlfreihe­it zwischen G8 und G9 zu gewährleis­ten sei, wenn sich fast alle Gymnasien für den längeren Bildungswe­g ausspräche­n. Jochen Ott, schulpolit­ischer Sprecher der SPDFraktio­n, äußerte sich ähnlich: „Ich hätte mir eine klare Entscheidu­ng G9 für alle gewünscht.“Aus Sicht der SPD bliebe dann Zeit, eine Reform der Oberstufe zu entwickeln.

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