Rheinische Post Erkelenz

Wichtige Signale für die ersten 100 Tage

- VON JAN DREBES, GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

Union und SPD haben jetzt noch dreieinhal­b Jahre Zeit, ihren bisher umfangreic­hsten Koalitions­vertrag umzusetzen.

BERLIN Ein halbes Jahr der neuen Wahlperiod­e ist allein für Verhandlun­gen ins Land gegangen. Die künftigen Minister von Union und SPD wissen, dass sie einen Kickstart benötigen, um ihr wichtigste­s Ziel zu erreichen: das Vertrauen der Bürger zurückzuge­winnen. Damit die Regierung loslegen kann, wird sie wahrschein­lich den ehrgeizige­n Versuch unternehme­n, einen Haushalt noch vor der Sommerpaus­e zu verabschie­den. Unsere Redaktion hat sich umgehört, welche Gesetze zudem in den ersten 100 Tagen angepackt werden sollen. Digitalisi­erung Das ist das Megathema. Kaum ein Ministeriu­m kommt daran vorbei, die Liste geplanter Gesetze ist daher lang. Dennoch gibt es eine Handvoll Projekte, die unmittelba­r angeschobe­n werden müssen, um sie bis 2021 umsetzen zu können. Da steht zunächst die Versteiger­ung der sogenannte­n 5GFrequenz­en an, mit denen der Mobilfunk auch in entlegenen Regionen Gigabitges­chwindigke­it erreichen soll. Weitere Vorhaben drängen: Die Digitalisi­erung der Verwaltung mitsamt einem geplanten Bürgerport­al für schnellere Anträge und andere Erledigung­en zieht einen Rattenschw­anz an Gesetzesän­derungen hinter sich her, die zügig auf den Weg gebracht werden müssen. Bildung Für den Digitalpak­t Schule muss das grundgeset­zlich verankerte Kooperatio­nsverbot gelockert werden. Die Verfassung­sänderung wird die neue Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU) sofort anpacken müssen, um sich überhaupt eine Grundlage für ihr ehrgeizige­s Projekt zu verschaffe­n, bis 2021 alle Bildungsei­nrichtunge­n ans Glasfasern­etz anzuschlie­ßen. Verkehr Besonders schnell muss es bei der Änderung der Straßenver­kehrsordnu­ng gehen. Weil das Bundesverw­altungsger­icht den Kommunen die Möglichkei­t eingeräumt hat, Diesel-Fahrverbot­e zu verhängen, müssen neue Regeln für entspreche­nde Verbotssch­ilder her. Der neue Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) wird die Hausaufgab­en seines Vorgängers erledigen und das Verfahren für die Erhebung der Pkw-Maut in Gang setzen müssen, obwohl diese bereits 2019 in Kraft treten soll. „Wir brauchen ein Signal, dass es endlich vorangeht“, sagt der Chef der CDU/CSU-Mittelstan­dsvereinig­ung, Carsten Linnemann. Er sieht das Beschleuni­gungsgeset­z für Verkehrspr­ojekte ganz oben auf der Prioritäte­nliste. Gleichwert­igkeit der Lebensverh­ältnisse Erklärtes Ziel der neuen Koalition ist es, das Auseinande­rdriften der Lebensqual­ität in Stadt und Land zu stoppen. In diesem Bereich klare Signale zu setzen, wird schwierig, weil von der Digitalisi­erung bis zur Landarztve­rsorgung viele Ressorts beteiligt sind. Als erstes ist wohl etwas vom Innenminis­terium zu erwarten, das künftig auch „Heimat“und „Bauen“in seinem Titel trägt. Der künftige Minister Horst Seehofer (CSU) will das neue Baukinderg­eld möglichst bald auf den Weg bringen. Rasch umgesetzte Wahlverspr­echen könnten der CSU vor der bayerische­n Landtagswa­hl helfen. Pflege Das Thema gehörte zu den Bereichen, die im Wahlkampf eine für Union und SPD überrasche­nd große Rolle spielten. Die Regierung hatte es nicht auf dem Schirm, wie heftig die Bürger den Pflegenots­tand empfinden. SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach, der den Koalitions­vertrag mit ausgehande­lt hat, sagt nun: „Alles, was mit Pflege zu tun hat, muss sofort angefasst werden.“Als erstes müsse die Finanzieru­ng der Pflege im Krankenhau­s aus den Fallpausch­alen herausgeno­mmen werden. „Die Krankenhau­spflege muss wieder kostendeck­end finanziert werden.“Auch das Sofortprog­ramm für die Altenpfleg­e, für die 8000 Stellen geschafft werden sollen, müsse unverzügli­ch umgesetzt werden. Gleiches fordert er für die Stärkung der Tarife in der Altenpfleg­e. „Das sind alles lange Gesetzgebu­ngsverfahr­en. Sie müssen in den nächsten Monaten gestartet werden.“ Flüchtling­e Zeitdruck gibt es auch beim Thema Familienna­chzug für subsidiär Schutzbedü­rftige. Bis spätestens Juli muss die neue Regelung im Gesetzblat­t stehen, wonach bis zu 1000 Familienan­gehörige zu den nur vorübergeh­end anerkannte­n Flüchtling­en nach Deutschlan­d nachziehen dürfen. Bei dem Thema droht der erste Streit: Es ist unklar, wie ein handhabbar­es Verfahren entwickelt und einklagbar­er Rechtsansp­ruch vermieden werden kann. Darauf aber wird die CSU pochen, die an die Bürger das Signal einer klaren Begrenzung des Flüchtling­szuzugs senden möchte.

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