Rheinische Post Erkelenz

Der Spion, den Putin hasst

- VON JOCHEN WITTMANN

Sergej Skripal, der als russischer Doppelagen­t für den Westen gearbeitet hat, wird in Südengland vergiftet vor einem Supermarkt aufgefunde­n. Die britische Regierung ist entsetzt. Steckt der russische Geheimdien­st dahinter?

LONDON Als der Name des Opfers bekannt wurde, schrillten alle Alarmglock­en. Denn Sergej Skripal ist ein russischer Ex-Spion, der als Doppelagen­t für den Westen gearbeitet hatte. Der 66-Jährige wurde am Sonntagnac­hmittag zusammen mit seiner 33-jährigen Tochter Julia bewusstlos auf einer Bank vor einem Einkaufsze­ntrum in der südenglisc­hen Stadt Salisbury aufgefunde­n. Es gab keine äußeren Verletzung­en. Im Krankenhau­s vermutet man eine Vergiftung. Zur Zeit ringen Skripal und seine Tochter auf der Intensivst­ation um ihr Leben.

Der Vorfall ereignete sich schon am Sonntag, gelangte aber erst später an die Öffentlich­keit, nachdem die brisante Identität des Opfers gelüftet worden war. Gestern erklärte die Anti-Terror-Einheit von Scotland Yard, dass sie zusammen mit der Polizei vor Ort ermittelte, wollte aber den Vorfall noch nicht als Terrortat einstufen. Dazu sei es zu früh. Fast alle Medien im Königreich zogen ihre eigenen Schlüsse: Skripal sei höchstwahr­scheinlich auf Anweisung des Kreml vergiftet worden. Die russischen Behörden bestreiten dies allerdings energisch.

Doch die Parallelen zum Fall Alexander Litwinenko sind allzu offensicht­lich. Vor elf Jahren war der russische Ex-Agent, der im britischen Asyl lebte, ermordet worden. Er hatte sich mit zwei ehemaligen Kollegen im November 2006 zum Tee in einem Londoner Hotel getroffen. Der Tee war mit dem radioaktiv­en Isotop Polonium-210 versetzt. Litwinenko starb einen langen, qualvollen Tod, als ihn das Polonium über die nächsten drei Wochen von innen verstrahlt­e. Noch auf seinem Totenbett hatte Litwinenko den russischen Präsidente­n Wladimir Putin für seine Ermordung verantwort­lich gemacht. Eine gerichtlic­he Untersuchu­ng des Falles bestätigte ihn. Sie kam vor zwei Jahren zu dem Schluss, dass der Anschlag wahrschein­lich auf Anweisung Putins erfolgte.

Nun also Litwinenko 2.0? Noch gibt es keine Beweise, aber Indizien. Sergej Skripal hatte in den 90er Jahren, als er Oberst beim russischen Militärgeh­eimdienst war, Informatio­nen an den britischen Auslandsge­heimdienst MI 6 verkauft. 2004 kamen ihm die Russen auf die Schliche, er wurde zu 13 Jahren Haft verurteilt. 2010 war Skripal Teil eines Gefangenen­austausche­s zwischen den USA und Russland und siedelte sich in Großbritan­nien an. Er kaufte ein Haus in Salisbury. Vor einigen Wochen soll er, berichtete die „Daily Mail“, gegenüber der Polizei erklärt haben, dass er um sein Leben fürchte. Sein Sohn sei unter mysteriöse­n Umständen ums Leben gekommen.

Der Fall Litwinenko hat die Beziehunge­n zwischen dem Königreich und Russland auf den tiefsten Punkt seit dem Kalten Krieg stürzen lassen, wie der Auswärtige Ausschuss des Unterhause­s 2017 befand. Der Vorsitzend­e Tom Tugendhat sagte gestern, dass der Fall „sicherlich alle Kennzeiche­n einer russischen Attacke trägt“. Er sprach von einem „weichen Krieg“, den Russland zur Zeit gegen Großbritan­nien führe, verwies auf Cyberattac­ken und „vielfältig­e Aggression­en“und verlangte Sanktionen sowie Reisebesch­ränkungen, sollte tatsächlic­h eine russische Beteiligun­g nachgewies­en werden.

Außenminis­ter Boris Johnson antwortete auf Tugendhats dringende Anfrage im Unterhaus. Russland, sagte er, fordere in vielerlei Hinsicht „die fundamenta­le Basis der internatio­nalen Ordnung heraus“, auf die die britische Regierung „mit Stärke und Entschloss­enheit“reagieren werde. Im Fall Skripal sei es zu früh, mit dem Finger auf Russland zu zeigen. Sollte der Verdacht sich erhärten, werde Großbritan­nien „angemessen und robust“reagieren. Johnson brachte auch eine Absage der britischen Teilnahme an der Fußball-WM in Russland ins Spiel. „Kein Versuch, auf britischem Boden unschuldig­es Leben zu nehmen, wird ohne Sanktionen oder ungestraft bleiben“, sagte Johnson.

Seit dem Fall Litwinenko hat es in Großbritan­nien eine Reihe von Angriffen auf Personen gegeben, die dem russischen Staat kritisch oder feindlich gegenübers­tehen. Das Internet-Magazin Buzzfeed enthüllte, dass die amerikanis­chen Geheimdien­ste von mindestens 14 Fällen ausgehen, in denen russische Akteure, seien es staatliche Dienste oder mafiose Gruppen, an der Ermordung in Großbritan­nien lebender Personen beteiligt waren. Dazu gehören der Oligarch Boris Beresowski und der russische Geschäftsm­ann Alexander Perepilich­ny, die beide mysteriös verstarben.

Es ist kein Geheimnis, dass Russland seine Feinde auch im Ausland verfolgt. Seit 2006 gibt es ein Gesetz, das dem Präsidente­n erlaubt, „Extremiste­n“auch außerhalb der Landesgren­zen eliminiere­n zu lassen. Präsident Putin sagte 2010 in einer Rede über Doppelagen­ten: „Verräter werden verrecken, glaubt mir. Die 30 Silberling­e, die sie erhielten – sie werden daran ersticken.“

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FOTO: REUTERS Sergej Skripal und seine Anwältin am 9. August 2006 in einem Militärgef­ängnis in Moskau.

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