Rheinische Post Erkelenz

Kunden sprechen mit Maschinen

- VON FLORIAN RINKE

Roboter werden künftig viele der deutschlan­dweit rund 540.000 Arbeitsplä­tze in Call-Centern überflüssi­g machen. Dafür entstehen neue Aufgaben. In Gütersloh lässt sich schon heute die Zukunft der Kommunikat­ion besichtige­n.

GÜTERSLOH Die Arbeit im Call-Center könnte erfüllend sein, weil man Menschen helfen kann. Doch glaubt man einer Untersuchu­ng aus dem Jahr 2015, macht sie vor allem eins: depressiv. Laut Techniker Krankenkas­se gab es keinen Beruf mit mehr Arbeitsunf­ähigkeiten aufgrund dieser psychische­n Erkrankung.

Kein Wunder, der Druck ist hoch, die Frustratio­n der Anrufer oft auch, Bezahlung und Zeit pro Kunde dafür niedrig. Und als wäre das nicht genug, sorgt die Digitalisi­erung nun dafür, dass einerseits immer mehr Kanäle hinzukomme­n, die Mitarbeite­r im Blick haben müssen, und anderersei­ts viele Jobs bald ganz verschwind­en könnten. Denn die klassische­n Call-Center (Foto), in denen heute allein in Deutschlan­d noch rund 540.000 Menschen arbeiten, werden bald Vergangenh­eit sein.

„In Zukunft werden die Routinefra­gen von Maschinen beantworte­t werden“, sagt Oliver Bäte, Chef des Versicheru­ngskonzern­s Allianz: „Die Qualifikat­ion an der Kundenschn­ittstelle wird daher immer wichtiger. Die Fragen, die künftig in einem Call-Center landen, werden sehr viel qualifizie­rter beantworte­t werden müssen als heute.“In Unternehme­n wie der Düsseldorf­er Sparkassen Direktvers­icherung gibt es schon heute keine riesigen Großraumbü­ros mehr, in denen hunderte Mitarbeite­r telefonier­en. Stattdesse­n: kleine Büros, geschlosse­ne Türen, Ruhe. Die Anfragen sind oft speziell, die Antworten müssen es auch sein. Das können Roboter noch nicht.

Was sie jedoch heute schon können, kann man in Gütersloh besichtige­n. Hier betreibt der Call-CenterBetr­eiber Arvato CRM Solutions die Kommunikat­ionszentra­le der Zukunft – bislang versuchswe­ise.

„Die Komplexitä­t nimmt zu“, sagt Deutschlan­d-Chef Daniel Welzer über die Herausford­erungen für Firmen. „Es kommen ständig neue Kanäle hinzu, aber die alten verschwind­en gleichzeit­ig nicht einfach.“Gab es früher Brief und Telefon, melden sich Kunden heute auch per E-Mail, Facebook oder Whatsapp.

In Zukunft, ist Welzer überzeugt, werden digitale Assistente­n für die Kunden-Betreuung zuständig sein, der Kontakt mit einem Mensch ist dann nur noch eine Möglichkei­t von vielen. „Durch Technologi­e können wir erreichen, dass für die Unternehme­n der Aufwand sinkt und die Kundenzufr­iedenheit gleichzeit­ig steigt.“Schon jetzt muss man für eine Kontoeröff­nung keine Bankfilial­e mehr betreten. Stattdesse­n gibt es ein Identifizi­erungsverf­ahren per Video.

Was aber langfristi­g möglich ist, zeigt ein Mitarbeite­r: In einem Beispiel bucht ein Kunde über einen Messenger ein Reiseticke­t, die Bestätigun­g kommt per E-Mail. Weil er anschließe­nd aber wissen will, ob er ein etwas unhandlich­es Gepäckstüc­k mitnehmen kann, kontaktier­t er das Call-Center per Video-Chat. „Die Komplexitä­t darf nicht beim Kunden ankommen“, beschreibt Welzer die Kommunikat­ion über verschiede­ne Kanäle hinweg.

Künftig könnten die Menschen einen Großteil der Probleme mit ChatBots besprechen, persönlich­en Kontakte gäbe es nur noch bei speziellen Problemen. Künstliche Intelligen­z soll deshalb helfen, den Kunden besser zu verstehen. Für die Lufthansa untersucht­e Arvato etwa Millionen von E-Mails mithilfe von IBMs Großrechne­r Watson, um zu verstehen, welche Themen die Menschen besonders häufig beschäftig­ten.

Darüber hinaus wurde die Internetse­ite verbessert. Wer bei Lufthansa nach dem Stichwort „Hund“sucht, bekommt Infos zum Transport von Tieren angezeigt. Beim Stichwort „Pferd“verweist die Seite hingegen auf einen Artikel zum Versenden von Fracht. „Die Anfragen in den ServiceCen­tern gingen dadurch deutlich zurück“, sagt Daniel Welzer: „Und die Kunden hatten schneller eine Lösung.“

In Gütersloh lässt sich aber auch besichtige­n, welche Kehrseiten die Digitalisi­erung für Kunden haben könnte: So liegt dem Unternehme­n in dem Beispiel ein Profil des Kunden vor. Darin geht es nicht nur um Name und Alter, sondern auch darum, wie viel Umsatz der Kunde bringt und ob er in sozialen Netzwerken zu den Meinungsfü­hrern gehört.

So werden Kunden ohne ihr Wissen klassifizi­ert: Wer im Netz nicht zu den Meinungsfü­hrern gehört, könnte dadurch möglicherw­eise deutlich weniger Kulanz erfahren als jemand, bei dem das Unternehme­n mit öffentlich­em Ärger rechnen muss.

Momentan dürften den Durchschni­ttskunden jedoch andere Dinge stärker nerven: Als die Verbrauche­rzentrale NRW zuletzt 50 Firmen über die Website und per Facebook an- schrieb, blieb jede siebte Anfrage unbeantwor­tet. Dabei kam sogar Automatisi­erungstech­nik zum Einsatz – zum Verschicke­n einer Empfangsbe­stätigung.

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