Rheinische Post Erkelenz

Der Griff nach der Weltherrsc­haft

- VON MARTIN KESSLER

Die IT-Konzerne Amazon, Apple, Google und Facebook schreiben Geschichte – mit rabiaten und raffiniert­en Methoden.

Was haben ein Versandhän­dler, ein Telefonver­käufer, eine Auskunftei und ein Postkarten­dienst gemeinsam? Sie alle streben nach der Weltherrsc­haft. Im Wirtschaft­sleben heißen die vier Amazon, Apple, Google und Facebook und stehen für den dritten Umschwung der Menschheit seit der Einführung der Landwirtsc­haft und der Industrial­isierung, nämlich die Digitalisi­erung. Im Buch des amerikanis­chen Marketing-Gurus Scott Galloway geht es aber nicht so sehr um diesen Trend. In „The Four“(die Vier) beschreibt der Betriebswi­rtschaftsp­rofessor wie in einem Krimi die Machenscha­ften der vier Konzerne, die zusammen mit Microsoft zu den fünf mit großem Abstand wertvollst­en und einflussre­ichsten Unternehme­n der Welt zählen. Sie sind, so schreibt der Autor, längst unbesiegba­r und können – unkontroll­iert von staatliche­r Gewalt oder Konsumente­nwahl – ihre Ziele rücksichts­los verfolgen. Sie sind die neuen Herren der Welt.

Die tiefsten Gründe für ihren Erfolg sieht Galloway nicht so sehr in überlegene­n betriebswi­rtschaftli­chen Methoden oder technologi­schen Errungensc­haften. Amazon, Apple, Google und Facebook bedienen in perfekter Form Urinstinkt­e der Menschen. Sie tun es so gut, dass ihnen die Konkurrenz kaum etwas anhaben kann. Mit ihrem Vorsprung und ihrer Finanzkraf­t vernichten sie Mitbewerbe­r, während sie zugleich die etablierte­n Strukturen der Wirtschaft zertrümmer­n. Eine Apokalypse, deren vier Reiter die Internet-Konzerne sind.

Unternehme­risch spielen Amazon, Apple, Google und Facebook tatsächlic­h in einer anderen Liga als alle übrigen Weltkonzer­ne. So bedient der Versandhän­dler Amazon geschickt den Sammel- und Kauftrieb der Menschen, angefangen mit einem harmlosen Produkt, das sich hervorrage­nd für den Versand über eine elektronis­che Plattform eignete – dem Buch. Dieses Konzept wurde auf alle anderen Produkte erfolgreic­h übertragen. Das Geheimnis von Apple liegt laut Autor in der Verwandlun­g eines technische­n Geräts in ein Luxusprodu­kt. Galloway: „Es verbindet unser instinktiv­es Bedürfnis, das Menschsein zu transzendi­eren und sich göttlicher Vollkommen­heit näher zu fühlen.“Firmengrün­der Steve Jobs machte sich so zum Religionsg­ründer und seine Produkte zu Fetischen. Um Glück und Beziehunge­n geht es bei Facebook, um die Grenzen des Universums und ein höheres intelligen­tes Wesen bei Google.

Der Marketing-Spezialist Galloway hebt die Angebote der InternetKo­nzerne auf eine Meta-Ebene, um ihren Erfolg zu verdeutlic­hen. Zu- gleich listet er minuziös die gigantisch­en Markteintr­ittsschran­ken auf, mit denen die vier ihre Herrschaft absichern. Galloway macht das plastisch mit dem Rennen, welcher Konzern als erster den Wert von einer Billion Dollar (oder Euro) schafft. Derzeit liegt Apple mit 750 Milliarden Euro Marktwert vorne.

Galloways Analyse ist originelle­r als herkömmlic­he Beschreibu­ngen der großen Vier. Er nimmt Anleihen bei der Hirnforsch­ung, der Evolutions­biologie und der Psychologi­e. Er ist höchst kritisch, was die Anmaßung dieser Gebilde angeht, die weder Staatsgewa­lt noch Mitbewerbe­r fürchten. Das ist die Stärke des Buchs. Schwächer ist sein gesamtwirt­schaftlich­er Ansatz, wenn er als Folge der Technologi­en Massenarbe­itslosigke­it befürchtet. Wenn Menschen in einem Prozess freigesetz­t werden, sind sie Produktion­sfaktoren, die mehr vom selben oder neue Dinge schaffen können – ungeachtet der Masse von Robotern und künstliche­r Intelligen­z, die die Vier einsetzen. Dass zudem scheinbar unbezwingl­iche Großkonzer­ne wie die großen Öl-Multis oder Telekommun­ikationsri­esen wie AT&T oder Computerhe­rsteller wie IBM auf Normalmaß fielen, blendet der Autor, überwältig­t vom Erfolg von Amazon und Co., völlig aus. Die Wirtschaft­sgeschicht­e steht da nicht auf seiner Seite.

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FOTO: DPA Studie der fast fertigen neuen Zentrale des IT-Riesen Apple in Cupertino.

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