Rheinische Post Erkelenz

1918 – die verpasste Chance

- VON FRANK VOLLMER

Joachim Käppner gelingt eine lesenswert­e, pointierte Analyse der Revolution.

Unter den vielen runden Jahrestage­n dürfte 2018 einer herausstec­hen: der 9. November. Damals vor 100 Jahren stürzte nicht nur das Kaiserreic­h, auch die jahrhunder­tealte feudale Ordnung Deutschlan­ds brach zusammen. Zugleich wurde am 9. November 1918 die erste deutsche Republik ausgerufen, die 1933 schon wieder unterging.

Zu den ersten 1918er-Neuerschei­nungen von Gewicht in diesem Jahr zählt Joachim Käppners „Aufstand für die Freiheit“. Das Buch zeigt, was aus komplizier­tem, widersprüc­hlichem Stoff herauszuho­len ist, wenn sich einer heranwagt, der historisch profund ausgebilde­t und auch journalist­isch versiert ist: Käppner, 1961 in Bonn geboren, ist promoviert­er Historiker und Redakteur der „Süddeutsch­en Zeitung“.

„Aufstand für die Freiheit“ist eine thesenstar­ke Arbeit, die sich als „Beitrag zur Ehrenrettu­ng der Revolution­äre“versteht. Sie ist zugleich im besten Sinne ein Schmöker, weil viel erzählt wird: kleine und große Episoden des weltgeschi­chtlichen Augenblick­s zwischen Oktober 1918 und Frühjahr 1919.

Käppner spart nicht mit Kritik, vor allem an der Mehrheitss­ozialdemok­ratie (MSPD), dem Teil der SPD, der 1917 nach der Abspaltung der pazifistis­chen Unabhängig­en Sozialdemo­kraten (USPD) übrig geblieben war. Gemeinsam übernahmen die Führer von MSPD und USPD am 10. November 1918 als „Rat der Volksbeauf­tragten“die Regierung: Sie wickelten die Kriegsnied­erlage ab. Käppners „Ehrenrettu­ng“ist vor allem eine der USPD, seine Unzufriede­nheit kommt von links.

Seine These geht in etwa so: Die MSPD hat Charakter und Ziele dieser „Revolution der Besonnenen“(so der Untertitel des Buchs) nie verstanden; sie war in ihrer Angst vor einem bolschewis­tischen Chaos auch in Deutschlan­d gefangen. Deshalb hat sie die Macht der Linken, etwa der revolution­ären Spartakist­en, über- und die Macht der alten Rechten, vor allem der Heereslei- tung, unterschät­zt. Und deshalb hat sie kostbare Gelegenhei­ten verstreich­en lassen, etwa den Aufbau einer republiktr­euen Armee und die Verstaatli­chung der Schwerindu­strie. All das ist eine Lust zu lesen, auch wenn man nicht zustimmt; aber das Problem vieler deutschspr­achiger Geschichts­darstellun­gen ist ja nicht ein Überschuss an Meinung, sondern ein Mangel.

Käppner ist eine Darstellun­g gelungen, über die man sofort diskutiere­n möchte – muss man etwa gleich von „jahrelange­m Bürgerkrie­g“nach 1918 sprechen? Wäre das Kaiserreic­h wirklich nicht demokratie­fähig gewesen, ohne Krieg? War ein „Sturz des eifernden Nationalis­mus“wirklich möglich? Und schließlic­h: Ist es gerecht, die Geburt der Weimarer Demokratie aus dem Schatten ihres Sterbens zu beurteilen? Wie auch immer: Käppner erzählt lebendig, ist tief im Stoff und bezieht klar Position. Ein Maßstab für alles, was 2018 – 100 Jahre danach – noch zu erwarten ist. Joachim Käppner: 1918 – Aufstand für die Freiheit. Die Revolution der Besonnenen. 2018 Piper, 524 Seiten, 28 Euro.

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FOTO: KEYSTONE Ausrufung der Republik
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