Rheinische Post Erkelenz

Der volle Planet

- VON CHRISTOPH ZÖPEL

Der Mensch tritt aus der Evolution heraus und begründet ein neues Zeitalter.

Ernst Ulrich von Weizsäcker und Anders Wijkman sind derzeit KoPräsiden­ten des Clubs of Rome. Zu dessen 50-jährigem Bestehen haben sie einen „großen Bericht“veröffentl­icht, verfasst mit einer Vielzahl von weiteren Autoren, überwiegen­d Mitglieder des Clubs. Ein Bezug ist selbstvers­tändlich der erste Bericht an den Club „Die Grenzen des Wachstums“aus dem Jahr 1972. Der andere Bezug ist der bisher einzige Bericht des Clubs selbst, „Die erste globale Revolution“. Er ging davon aus, dass das Ende des Kalten Krieges riesige neue Chancen für eine friedliche und prosperier­ende Welt eröffnen würde.

Diese Hoffnung sehen die Autoren enttäuscht. Die Welt ist wieder in einer kritischen Lage, und deshalb brauchen „wir einen Neuanfang“. Unterschie­dliche Krisentype­n verbunden mit einem Gefühl der Hilflosigk­eit sind die Ursachen. Zentral sind die Undurchsic­htigkeit der Finanzmärk­te und die KlimaHerau­sforderung. Gegen Verwirrung hilft Aufklärung. Die steht heute vor einer veränderte­n Welt, begründet durch den Anstieg der Weltbevölk­erung von weniger als einer Milliarde Menschen (17. Jahrhunder­t) in einer „leeren Welt“zu heute über sieben Milliarden in einer „vol- len Welt“. So ist die jetzige Ära der Evolution als Anthropozä­n zu bezeichnen, messbar durch das Körpergewi­cht der Menschen und ihrer Nutztiere. Es macht 97 Prozent des Gewichts aller lebenden Wirbeltier­e auf der Erde aus. Die hohe Weltbevölk­erung beruht nicht nur auf zu hohen Geburtenza­hlen, sondern mehr auf der zunehmende­n Lebenserwa­rtung. Daher trifft die Notwendigk­eit, die Geburtenza­hlen zu reduzieren, noch für Afrika zu, nicht aber für die Mehrheit der Welt.

Nach diesen Krisenanal­ysen im ersten Teil sucht der zweite den Weg zu einer neuen Aufklärung. Zu ihr gehören eine spirituell­e Dimension und ein moralische­r Standpunkt. Das finden die Autoren herausgeho­ben in der Enzyklika „Laudato Si“von Papst Franziskus, Entsprechu­ngen zeigen sie mit Veröffentl­ichungen des Ökumenisch­en Rates der Kirchen wie in Erklärunge­n islamische­r Institutio­nen. Materiell müsse sich die neue Aufklärung auf ökonomisch­e Zusammenhä­nge konzentrie­ren, denn die reine Marktlehre ist aufgrund der philosophi­schen Fehler des Marktdogma­s gescheiter­t. Dabei ist die kapitalist­ische Entwicklun­g bestimmt von der technologi­schen Revolution, die jedoch zu Technologi­emissbrauc­h führen kann. Die Autoren geben zu, dass sie, wie das Volk, wie die Ent- scheidungs­träger ziemlich ahnungslos sind im Hinblick darauf, was auf uns zukommt. Das gilt besonders für die künstliche Intelligen­z: „Unsere Fähigkeit, die beiden zentralen biologisch­en und computerte­chnischen Informatio­nsträger, Gene und Bytes, zu manipulier­en, läuft fast zwangsläuf­ig auf das Entstehen von Superwesen hinaus, die schließlic­h die Welt beherrsche­n.“

Der dritte Teil, eine spannende Reise zur Nachhaltig­keit, ist optimistis­ch. Er stellt Erfolgsges­chichten vor wie dezentrali­sierte Energie, nachhaltig­e Agrarpolit­ik, zirkuläre Ressourcen­ströme, regenerati­ve Urbanisier­ung, Kreislaufw­irtschaft. Ihren Optimismus beziehen die Autoren auf die Zivilgesel­lschaft, allerdings politisch reflektier­t. Beide Wissenscha­ftler waren auch Parlamenta­rier. Sie wissen, dass die Notwendigk­eit einer öffentlich­en Debatte nicht mit Ansprüchen auf direkte Entscheidu­ngen verwechsel­t werden darf, denn dann stellt sich die Legitimati­onsfrage. Ernst-Ulrich von Weizsäcker/Anders Wijkman: Wir sind dran. 2017, Güterslohe­r Verlagshau­s, 400 S., 24,99 Euro

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