Rheinische Post Erkelenz

„Antisemiti­smus wird es immer geben“

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Über das Leben der Juden hierzuland­e spricht die ehemalige Präsidenti­n des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d am Sonntag in Düsseldorf.

DÜSSELDORF Sie gehört zu den bekanntest­en und meinungsst­ärksten jüdischen Vertretern in Deutschlan­d: Charlotte Knobloch. Die gebürtige Münchnerin wurde als Kind vor der Deportatio­n in das Konzentrat­ionslager Ghetto Theresiens­tadt von einer Hausangest­ellten ihres Onkels gerettet und bis 1945 auf einen Bauernhof in Arberg untergebra­cht. Am kommenden Sonntag, 11. März, wird die 85-Jährige bei den Düsseldorf­er Reden – einem Gemeinscha­ftsprojekt des Schauspiel­hauses und der Rheinische­n Post – zu erleben sein. Im Central spricht sie über „In Deutschlan­d geblieben! Und angekommen! (?)“. Der Titel Ihrer Düsseldorf­er Rede hat gleich zwei Ausrufezei­chen und ein Fragezeich­en. Werden sie beantworte­n können, ob Juden im Jahre 2018 in Deutschlan­d angekommen sind? KNOBLOCH Die Antwort lautet ja. Auch meine Biografie trägt den Titel „In Deutschlan­d angekommen“. Das war in den Nachkriegs­jahren undenkbar. Ich werde darlegen, wie jüdische Menschen ihr Heimatgefü­hl zu Deutschlan­d wiederentw­ickelt haben. Ich werde auch darüber sprechen, dass das Ausrufezei­chen heute nicht mehr so überzeugt steht, wie noch vor einigen Jahren. Wie würden Sie denn Ihr Verhältnis zu Deutschlan­d beschreibe­n? KNOBLOCH Ambivalent. Ich kann nicht vergessen, dass Deutschlan­d das „Land der Täter“war. Die Erinnerung­en an die Zeit der Verfolgung in diesem Land haben sich fest in meine Seele eingebrann­t. Gleichzeit­ig weiß ich sehr genau, dass die Bundesrepu­blik ein völlig anderes Land ist. Auf den Trümmern der Zivilisati­on wurden eine stabile freiheitli­che Demokratie, Rechts- und Sozialstaa­t aufgebaut. Ich habe ein tiefes Vertrauen in die Politik und die überwiegen­de Mehrheit der Bevölkerun­g. Was hören Sie dazu aus den Kultusgeme­inden hierzuland­e? KNOBLOCH Deutschlan­d ist unsere Heimat. Jüdische Menschen leben seit über 1700 Jahren hier. Wir sind nicht fremd und auch keine jüdischen „Mitbürger“, sondern: deutsche Bürger. Dass in den 1990er Jahren so viele jüdische Zuwanderer nach Deutschlan­d kamen, war ein unglaublic­her Vertrauens­beweis. Dass es überhaupt ein so vitales und pluralisti­sches Judentum hierzuland­e gibt, ist ein Geschenk für die Bundesrepu­blik. Natürlich ist der Holocaust in der jüdischen Gemeinscha­ft noch immer präsent und wird es bleiben. Aber das heutige Deutschlan­d ist eine gute Heimat. Ich kann aber nicht verschweig­en, dass die Zahl derer zunimmt, die sich wegen des erstarkend­en Antisemiti­smus von rechts, von links, aus der Mitte und unter hier lebenden Muslimen große Sorgen um die Zukunft in diesem Land machen. Hat der Antisemiti­smus Ihrer Wahrnehmun­g nach neue Formen angenommen? Und lässt sich dies in der politische­n Landschaft hierzuland­e ablesen? KNOBLOCH Zweimal ja. Der Antisemiti­smus war nie weg. Jetzt fallen die letzten Hemmungen. Antisemiti­smus wird immer öfter offen und ungeniert geäußert. Statt Tabuisieru­ng hat eine Gewöhnung an antisemiti­schen Thesen und Tiraden eingesetzt. „Jude“ist gängiges Schimpfwor­t in den Klassenzim­mern und auf den Fußballplä­tzen. Antisemiti­sche Aggression gegen Einrichtun­gen und Menschen sind keine Einzelfäll­e, sondern Alltag. Die Strafund Gewalttate­n nehmen ebenso zu wie Mikro-Aggression­en und verbale Attacken. In der politische­n Landschaft spielgelt sich der Antisemiti­smus vor allem in den rechtsextr­emen Parteien wie der NPD oder anderen rechten Splitterpa­rteien wider. Aber auch in der AfD, die sich rechtsextr­em entwickelt hat. Hier haben nicht nur Rassismus und völ- kischer Nationalis­mus einen Platz, sondern eben auch Antisemiti­smus. Eine konsequent­e Ächtung antisemiti­scher Parolen seitens der Parteispit­ze bleibt aus. Hinzu kommt die Tendenz der Geschichts­klitterung. Außerdem fordert die AfD Einschränk­ungen der Religionsf­reiheit, die auch konstituti­ve Elemente des Judentums betreffen. Aber auch im linken politische­n Spektrum findet sich eine Form von Antisemiti­smus, die sich in Gestalt einer diffamiere­nden, dämonisier­enden und mit doppelten Standards messenden Anklage gegen Israel ausdrückt. Zeit ihres Lebens müssen Sie sich als Jüdin bedroht fühlen – mal mehr, mal weniger. Haben Sie denn die Hoffnung, dass dies irgendwann eine Ende finden wird? KNOBLOCH Eigentlich nicht. Antisemiti­smus hat es immer gegeben und es wird ihn auch immer geben. So- gar dort, wo es überhaupt keine Juden gibt. Entscheide­nd ist, wie sich die Politik und die Mehrheitsg­esellschaf­t zu diesen destruktiv­en Phänomenen positionie­ren. Ressentime­nts, Vorurteile, Gewalt gegen Minderheit­en – das ist nie nur das Problem der betroffene­n Gruppe, sondern immer das Problem der Gesellscha­ft, in der sie vorkommen. So ist es auch beim Antisemiti­smus. Dahinter verbirgt sich ein menschenve­rachtendes, antidemokr­atisches, antilibera­les Weltbild. Was würden Sie einem jungen jüdischen Mann empfehlen, der aus Israel nach Deutschlan­d kommen und hier sein berufliche­s Glück finden will? KNOBLOCH Ich würde ihm dasselbe empfehlen, wie jedem, der hier lebt oder hier leben will: Bring Dich ein mit all Deinen Stärken. Deutschlan­d ist ein großartige­s Land mit großar- tigen Menschen. Es gewährleis­tet ein Leben in Freiheit und Demokratie – wenn wir alle miteinande­r das bewahren und verteidige­n. Glauben Sie trotz aller bedenklich­en Entwicklun­gen, dass man aus der Geschichte lernen kann? KNOBLOCH Man muss aus der Geschichte lernen. Vor allem, dass es immer mit vermeintli­chen Kleinigkei­ten anfängt. Man muss die Kleinigkei­ten ernst nehmen, nie wegsehen, nie weghören. Ich vermisse die Wehrhaftig­keit in unserem Land gegenüber den antidemokr­atischen und menschenve­rachtenden Tendenzen. Freiheit und Demokratie sind verletzlic­h, die Decke der Zivilisati­on ist recht dünn. Leichtfert­igkeit können sich Demokraten nicht leisten.

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FOTO: IMAGO Charlotte Knobloch, Präsidenti­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde München und Oberbayern, vor der Synagoge auf dem Sankt-Jakobs-Platz.

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