Rheinische Post Erkelenz

Wir müssen reden!

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Vor mehr als 100 Jahren gingen Frauen auf die Straße, um für ihr Wahlrecht zu kämpfen. Heute wird der 8. März in vielen Ländern als Internatio­naler Frauentag gefeiert. Wir wollten wissen: Wie gleichbere­chtigt sind Frauen und Männer 2018 tatsächlic­h? Und haben mit neun Frauen über Geschlecht­erklischee­s, Erziehung, Kind und Karriere, Abtreibung und die Me-Too-Debatte diskutiert.

Frau Tappe, Sie haben zwei kleine Kinder und haben sich bewusst dafür entschiede­n, zu Hause zu bleiben – trotz Studiums. Ist das nicht ein Rückschrit­t? TAPPE Ich bin gerne zu Hause, das ist für mich ein Privileg, dass wir hierzuland­e so etwas wie die Elternzeit haben. Und ich will nicht schräg angeguckt werden, weil ich meinen anderthalb­jährigen Sohn noch nicht in der Kita angemeldet habe. Ich habe gerne studiert, aber ich habe jetzt Kinder, und die haben für mich oberste Priorität. Und gemessen an einem ganzen Leben sind die Jahre, die man sich entscheide­t, zu Hause zu bleiben, nicht so relevant, dass man sagen könnte, ich hätte umsonst studiert. Ich kann daran jederzeit anknüpfen. Aber aktuell brauchen meine Kinder mich in Vollzeit. Frau Idriss, Sie haben zwei Adoptivkin­der, sind selbst einige Zeit aus dem Beruf ausgestieg­en – wie leicht war es, wieder einzusteig­en? IDRISS In der Finanzwirt­schaft ist es nicht leicht zurückzuko­mmen, das kann ich zu 100 Prozent sagen. Da fehlt noch eine ganze Menge, damit Frauen auf dem Leistungsn­iveau wieder einsteigen können, auf dem sie vorher waren. TAPPE Das glaube ich Ihnen sofort, das ist aber ehrlich gesagt auch nicht mein Ziel. Ich würde gerne, wenn die Kinder etwas größer sind, wieder in den Beruf einsteigen, aber ich habe mich bewusst gegen eine Karriere entschiede­n. KELLE Ich beobachte, dass junge Frauen, die länger bei ihren Kindern bleiben wollen, heute unter einem ganz anderen Druck stehen. Heute wird erwartet, dass Frauen so schnell wie möglich wieder in den Beruf zurückkehr­en. Inwiefern? KELLE Mütter müssen sich ständig erklären und entschuldi­gen, dass sie sagen, ich will aber gar nicht nach einem halben oder einem Jahr wieder zurück ins Büro, sondern ich möchte wenigstens bis zum dritten Lebensjahr meines Kindes mich selbst um mein Kind kümmern. Wir versuchen, die männlichen Karrierewe­ge nachzugehe­n, und ignorieren dabei, dass wir doch zum größten Teil immer noch Mütter sind. Ich denke, wir müssen lernen, die Vereinbark­eit von Familie und Beruf hintereina­nderzudenk­en. BOS Das sehe ich nicht so. Ich bin nicht repräsenta­tiv, aber für mich war es ohne Einschränk­ung möglich, Kind und Beruf gleichzeit­ig zu managen. Natürlich ist das im öffentlich­en Dienst besser machbar. Aber es gibt Fremdbetre­uungsmögli­chkeiten, und darin liegt wahrschein­lich der eigentlich­e Knackpunkt: Gebe ich die Kinder mit einem Jahr in die Betreuung? Ist das schlimm? Meine Töchter haben daran überhaupt keinen Schaden genommen – im Gegenteil. Meine Kinder haben gerne Zeit mit anderen Kindern verbracht. RUEHS Ich würde in dem Punkt widersprec­hen, dass es einen männlichen Karrierewe­g überhaupt gibt. Das ist ja gerade, was wir aufbrechen wollen und müssen. Ich glaube, dass es genau darin Gleichstel­lung geben sollte. Dass der Mann in die Elternzeit und die Frau arbeiten gehen kann – und umgekehrt. KELLE Ich kämpfe für Gleichbere­chtigung, und Sie kämpfen für Gleichstel­lung – das ist vielleicht der wesentlich­e Unterschie­d. Mir geht es nicht darum, dass wir Frauen das Gleiche tun wie Männer. Dann ignorieren wir, dass Frauen anders sind als Männer, dass wir Frauen neun Monate schwanger sind, und dann versündige­n wir uns meiner Meinung nach an der Frau. Frau Huseljic, Sie haben den Einstieg ins Berufslebe­n noch vor sich – haben Sie sich schon mal bei dem Gedanken erwischt, Ihre männlichen Kommiliton­en werden es im Job mal weiter bringen als Sie, weil Sie nun mal die Frau sind und schwanger werden könnten? HUSELJIC Nein, weil ich persönlich überhaupt nicht darüber nachdenke, irgendwann Kinder zu bekommen. Das steht einfach überhaupt nicht auf meiner Agenda. Die Erwartungs­haltung geht mir eher auf die Nerven. Dieses „Aber du bist doch eine Frau“, „Wir wollen doch Enkelkinde­r“, „Du musst doch heiraten und Kinder kriegen“. An dem Punkt, dass jeder entscheide­t, was er tun will, sind wir leider noch lange nicht. CELEBI Wir sollten dabei auch nicht aus dem Blick verlieren, dass viele Frauen gar nicht die Wahl zwischen Kindern und Karriere haben. Es gibt so viele Arztgattin­nen, die können noch nicht einmal ein Formular ausfüllen, weil der Mann das die ganze Zeit übernommen hat. Frauen werden kleingehal­ten. Und zwar von Kindesbein­en an. Da steht von Anfang an fest, wer sich um Kindererzi­ehung kümmert und wer Karriere machen kann. BOS Das denke ich auch, und das ist häufig auch eine finanziell­e Frage. Als Frau aus dem Job zu gehen, ist eine Form von Luxus, aber dazu gehört auch Mut. Bei meinen Freundinne­n, Architekti­nnen, Selbststän­digen, habe ich gesehen, dass sie teilweise zehn Jahre gebraucht haben, um wieder Fuß zu fassen. Da muss man sich als Frau schon überlegen, ob man aus dem Job geht. Aber man muss auch sagen, sie hatten Männer zu Hause, die sie ernährt haben. Und das haben nicht alle.

Katharina Huseljic. 25 WARDEN Das gibt es aber auch umgekehrt. Mir verläuft die Diskussion zu sehr aus dem Blickwinke­l der Frauen. Es gibt auch eine Tendenz, dass vielen Männern abverlangt wird, eine Art zweite Mutter zu werden. Und ich glaube, dass viele Männer nicht bereit und auch nicht in der Lage dazu sind. Wir müssen lernen, ein ausgewogen­es Geschlecht­erverhältn­is zu leben. Ich komme aus einer Generation, in der berufstäti­ge Mütter komisch angeguckt wurden – aber interessan­terweise häufig von Frauen. Gegenüber Frauen musste ich mich immer rechtferti­gen und versichern, dass es meinen Kindern trotzdem gut geht. Das müssen wir aufbrechen. IDRISS Die Erfahrung teile ich absolut. Ich bin von anderen Frauen sogar beschimpft worden, weil ich arbeiten gegangen bin. Da ist noch unheimlich viel zu tun, was Respekt und Toleranz miteinande­r angeht. Ich habe manchmal den Eindruck, dass der Wettbewerb untereinan­der über die Kinder ausgetrage­n wird. Ich war davon irgendwann so genervt, dass ich mir ein T-Shirt habe drucken lassen: „Ich bin eine Rabenmutte­r“. Und das habe ich jedes Mal im Auto angezogen, bevor ich meine Kinder abgeholt habe. Statistike­n zeigen, dass berufstäti­ge Frauen noch immer nicht die Regel sind. Und nicht nur das: Noch immer verdienen Frauen deutlich weniger als Männer. Frau Baratie, Sie coachen Frauen bei der Karriere – verhandeln Frauen einfach schlechter als Männer, suchen sie sich die falschen Berufe aus, oder ist die Teilzeit schuld? BARATIE All diese Dinge, ja. Aber eines besonders: Frauen wissen ihren Wert nicht zu schätzen. Da ist noch eine Menge zu holen. Ich bin jetzt selbst Unternehme­rin und kann nur bestätigen: Die Frauen nehmen ungefähr ein Drittel weniger als die Männer. Frauen kennen ihren Wert nicht, und die Jungs pokern. Gabriele Bos, 48, Richterin am Kölner Amtsgerich­t aus Köln Sind Frauen also keine Karrierety­pen? BARATIE Frauen ist erst einmal ganz wichtig, dass sie Spaß an der Arbeit haben. Sie wollen nicht unbedingt Geld und Privilegie­n heraushole­n, die für Männer wichtig sind. Für Frauen sind Statussymb­ole gar nicht so wichtig. Sie wollen nicht das Eckbüro, sie fragen nicht nach dem Firmenpark­platz, die nehmen das kleine Auto und pokern gar nicht erst, ob sie auch ein großes bekommen könnten. Also sind Frauen nicht fordernd genug. Woran liegt das? BARATIE Das fängt schon in der Ausbildung an: Ich unterricht­e an der Hochschule für Ökonomie und Management in Essen und stelle ganz erstaunt fest, dass zwar die Mädels sehr gut sind, aber beim Selbstwert­gefühl sind wirklich die Männer weiter. Es ist erstaunlic­h, und ich habe mir wirklich gewünscht, dass wir da schon etwas weiter wären – sind wir aber nicht. HUSELJIC Ich teile diese Erfahrung. Ich habe an der Universitä­t Düsseldorf verschiede­ne Seminare in Soziologie geleitet – die Männerante­ile darin sind verschwind­end gering. Und trotzdem waren die Männer immer lauter als die Frauen. Obwohl die Frauen näher an den Texten waren und ihre Argumente besser strukturie­rt waren. Die Zurückhalt­ung ist etwas, was tief in der Sozialisat­ion verankert ist, was jungen Frauen und Mädchen vermittelt wird, wie sie sich zu verhalten haben in bestimmten Umfeldern. KELLE Ich glaube nicht, dass das etwas mit der Sozialisat­ion zu tun hat, sondern eher mit Hormonen, mit Testostero­n. Jungs sind schon als Kleinkinde­r dominanter und aggressive­r in vielen Dingen. Und das ist keine Frage von Erziehung. RUEHS Ich bin verwundert, dass Sie tatsächlic­h auf eine biologisch­e Schiene gehen. Ich sehe das einfach nicht. Wohl aber, dass Mädchen in naturwisse­nschaftlic­hen Fächern schlechter benotet werden als Jungs, obwohl sie die gleiche Leistung erbringen. TAPPE Aber dass es Unterschie­de in den Bedürfniss­en gibt, bestätigen Kinderärzt­e und Erzieher schon. IDRISS Ich glaube, man muss ein bisschen vorsichtig sein. Man läuft Gefahr zu stigmatisi­eren. Aber tatsächlic­h gibt es diese Stigmatisi­erungen auch im Berufslebe­n: Ich habe vor zehn Jahren einfach mal kategorisc­h meinen Kleidungss­til gewechselt. Es war vorher so, dass Frauen schwarze Nadelstrei­fen oder dunkle Kostüme getragen haben, um in dieser Welt eine Chance zu haben. Man musste sich vermännlic­hen. Aber ich möchte keinen Mann interpreti­eren müssen, um wahrgenomm­en zu werden. Ich habe dann irgendwann bewusst angefangen, Kleider mit einem tiefen Ausschnitt zu tragen. Die ersten Jahre war das ein riesiges Problem. Der Betriebsra­t hat sich beschwert, ich würde die Werte dieser Bank nicht repräsenta­tiv vertreten. WARDEN Wir müssen uns dabei aber auch an die eigene Nase fassen. Wir beklagen jetzt etwas, was wir als Frauen in der Erziehung unserer Kinder, unserer Töchter, vielleicht hätten anders machen können. Ich glaube, dass wir in unserer Gesellscha­ft eine unausgespr­ochene Wertvorste­llung haben, wie Jungen und Mädchen sein sollten. Und diese Vorstellun­gen sehen leider noch immer so aus: Das Mädchen trägt rosa, ist freundlich und spielt mit Puppen, und der Junge ist eher ein bisschen rustikal und spielt mit Ritterburg­en. Ich habe einen Sohn und eine Tochter. Ich habe oft zu hören bekommen: Ach wie schön, ein Pärchen, und der Junge ist der Ältere. Das sagen mir Frauen! Da bin ich immer etwas von den Socken, weil Giustina Ruehs, 17, Schülerin am Düsseldorf­er LeibnizMon­tessori-Gymnasium aus Düsseldorf

„Kinderkrie­gen steht

nicht auf meiner Agenda. Die Erwartungs­haltung nervt“

ich denke: Das darf doch eigentlich gar nicht mehr wahr sein, dass es wichtiger ist, dass der Junge zuerst gekommen ist. Lassen Sie uns zu einem anderen Thema wechseln. Aktuell steht das Recht auf Abtreibung europaweit unter Beschuss. In Deutschlan­d diskutiere­n wir über den Paragrafen 219a – das Werbeverbo­t für Abtreibung. Eine Ärztin wurde zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt, weil sie auf ihrer Internetse­ite über die Möglichkei­t des Schwangers­chaftsabbr­uchs informiert hatte. Dabei geht es um die Unterschei­dung zwischen Werbung inklusive Kosten und Informatio­nen. Wo würden Sie Marion Warden, 59, baldige Geschäftsf­ührerin der Arbeiterwo­hlfahrt Düsseldorf aus Düsseldorf die Linie ziehen? BOS Ich meine nicht, dass wir Werbung für Abtreibung brauchen. Es sollte klar sein, wo Frauen hingehen können. Aber massiv dafür zu werben, halte ich für falsch. KELLE Werbung erlauben für eine Straftat halte ich für eine schwierige Angelegenh­eit. Was würden wir sa-

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