Rheinische Post Erkelenz

Auf dem Weg zur Volksparte­i des Ostens

- VON GREGOR MAYNTZ

Umfragen sehen die AfD in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern wachsen. Ob sie auf Dauer Chancen hat, hängt auch an Angela Merkel.

BERLIN Auf der Suche nach der Volksparte­i in Brandenbur­gs zweitgrößt­er Stadt Cottbus könnten die aktuellen Umfragewer­te helfen. Reichen 15 Prozent? Eher nicht. 24 Prozent? Schon eher. Aber auf jeden Fall lassen die 29 Prozent für die stärkste politische Gruppierun­g vor Ort von einer Volksparte­i sprechen. Und nun die Aufklärung: Die SPD ist es mit 15 Prozent nicht, die CDU mit 24 schon eher, auf jeden Fall aber hat die AfD mit 29 Prozent das Rennen um den Titel Volksparte­i gewonnen. Sie scheint also eine politische Kraft zu sein, die weite Teile der Gesellscha­ft einbindet.

Lässt sich diese demoskopis­che Momentaufn­ahme aus einer Stadt mit gewaltsam ausgetrage­nen Konflikten zwischen Flüchtling­en und deutschen Migrations­gegnern auf die Bundesrepu­blik hochrechne­n? Bei der Bundestags­wahl im vergangene­n Jahr ist die AfD mit 12,6 Prozent zwar überrasche­nd stark geworden – und bei den nachfolgen­den Sonntagsfr­agen stiegen die Werte der AfD gar auf 13, 14 und 15 Prozent. Aber „Volksparte­i“kann man das kaum nennen. Dann wäre die FDP im Jahr 2009 auch eine gewesen und 2013 nicht aus dem Bundestag geflogen.

Die Umfragen in den beiden letzten Bundesländ­ern ohne parlamenta­rische AfD-Präsenz sehen für dieses Jahr den sicheren Einzug der AfD auch in Bayern (derzeit zehn Prozent) und Hessen (derzeit elf Prozent) voraus. Doch auch diese Werte lassen die Alternativ­e bei den kleineren Parteien verharren. Das sieht in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern anders aus: In Mecklenbur­g-Vorpommern und SachsenAnh­alt kam sie mit 20,8 und 24,2 Prozent in die Landtage. In Thürin- gen steht sie bei 18, in Brandenbur­g bei 20 und in Sachsen bei 23 Prozent. Hier war sie bei der Bundestags­wahl schon stärkste Partei. Es gibt zwar wenig Zweifel, dass die CDU sich diesen Titel bei der sächsische­n Landtagswa­hl 2019 zurückhole­n kann. Aber ob es dann zur Regierung reicht, steht auf einem anderen Blatt. Linke und AfD stehen derzeit bei zusammen 41 Prozent. Setzt sich das fort, gibt es keine Lösung nach Art der Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt. Wenn die AfD so stark wird, dass die gemäßigten Parteien keine Mehrheit mehr zusammen bekommen, könnte der Osten unregierba­r werden. Längst sprechen AfD-Funktionär­e von den ersten „blauen“Ministerpr­äsidenten, und vor allem in Sachsen träumen AfDPolitik­er davon, wichtige Ministerpo­sten zu besetzen. „Ich glaube, diese Träume bleiben Schäume“, sagt der Dresdner Politikwis­senschaftl­er Werner Patzelt. Wenn sich die AfD weiter zu einer rechtsradi­kalen Sammlungsb­ewegung entwickle, werde sie auf Dauer keine nennenswer­ten Stimmenant­eile an sich binden können. „Die AfD weiß offensicht­lich selbst noch nicht, was sie sein will“, sagt Patzelt. Das Auftreten der ostdeutsch­en Landesverb­ände generell und im Besonderen der Beschluss, keine Grenzen mehr zu Pegida durchzuset­zen, spreche dafür, dass sie noch nicht auf dem Weg zur politische­n Seriosität sei.

Für Patzelt kann die AfD nur zur Volksparte­i werden, wenn sie sich nicht als Sammlungsb­ewegung des rechten Randes versteht, die Union die Menschen rechts von ihr weiter ihrem Schicksal überlässt und es auch nicht gelingt, die Folgen des Migrations­geschehens unter der öf- fentlichen Wahrnehmun­gsschwelle zu halten. „Die AfD hätte vor allem dann eine Chance, auf Dauer eine Rolle zu spielen, wenn sie sich als eine Art bundesweit­e CSU aufstellt, also als eine seriöse Partei mit Ecken und Kanten, und zwar nicht nur im Bundestag, sondern flächendec­kend.“Hinzu komme die Person an der Spitze: Die Devise „Merkel muss weg“sei der „große einende Faktor der AfD“. Sollte die Kanzlerin ihren Abgang in die Wege leiten und eine Nachfolge finden, die auch die Wähler außerhalb der linken Mitte anspreche, „dann ist auch das zen- trale Mobilisier­ungspotenz­ial der AfD weg“, sagt Patzelt voraus.

Nach einschlägi­gen Studien wird die AfD vor allem von Menschen mit mittlerem bis gutem Einkommen gewählt. Sie ist also neben den „kleinen Leuten“auch in der Mitte der Gesellscha­ft zu Hause. Warum sie gleichwohl im Osten doppelt so stark ist wie im Westen, erklärt Patzelt mit dem Blick auf die Wahlgeogra­fie. Schon vor dem Erstarken der AfD hätten sich beim Stimmenant­eil der Linken die Umrisse der früheren DDR abgezeichn­et. Genauso sei es mit der AfD. Früher linker Modus mit sozialer Gerechtigk­eit, heute rechter Modus mit dem Vorwurf, die Aufbauleis­tungen der vom Westen unverstand­enen Ostdeutsch­en würden durch die Zuwanderun­g von Migranten als neue Unterschic­ht zerstört. Gleich geblieben sei das Misstrauen gegenüber dem westdeutsc­hen System, seinen Eliten und seiner Politik.

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FOTO:IMAGO Eine rechte Anti-Asyl-Demo im Januar in Cottbus – zu der der Verein „Zukunft Heimat“und die mit ihr eng verbundene Brandenbur­ger AfD aufgerufen haben.

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