Rheinische Post Erkelenz

Der Cowboy auf dem Heimweg

- VON CHRISTIAN FAHRENBACH

Großartige­r Film: „Lucky“gewährt Harry Dean Stanton seinen letzten Auftritt.

(dpa) Morgens zündet sich Lucky als Erstes eine Zigarette an. Erst dann beginnt er mit Zähneputze­n, Kaffeekoch­en und dem kleinen Sportprogr­amm daheim. Beim Dehnen und Strecken schlackert die Haut, das Haar ist dünn und schulterla­ng. Im Kühlschran­k stehen ein tags zuvor zubereitet­es Glas Eiskaffee und drei Milchkarto­ns, im Kleidersch­rank hängen drei gleiche Hemden. Lucky ist 90 Jahre alt und lebt allein – was etwas anderes ist, als einsam zu sein, wie er später seinem Arzt erläutern wird. Nach der Morgenrout­ine tritt er aus seinem dunkel getäfelten Haus in die gleißende Sonne, irgendwo in der Wüstenhitz­e der USA.

Das klingt nach wenig, und auch danach passiert in „Lucky“nicht viel, und doch alles: Er geht ins Café, in die Bar und schaut Gameshows im Fernsehen. Sein Humor ist trocken, aber nie herablasse­nd; wenn er Kreuzwortr­ätsel löst, sagt er nach einer Spitze von Kellner Joe nur: „Wort für Arschloch mit drei Buchstaben, fängt mit J an“. Doch eines Tages hat Lucky einen kleinen Zusammenbr­uch, bei dem später der Arzt keine Ahnung hat, was er verschreib­en soll. „Du bist einfach alt“, sagt er dem Senior. Lucky versteht, dass er sich mit dem nahenden Tod auseinande­rsetzen muss.

Die Behandlung­sszene zeigt die Stärke des charmanten und mit vie- len kleinen Gesten durchsetzt­en Films: Da ist nämlich die Arzthelfer­in, die kurz die Finger überkreuzt, um Lucky Glück zu wünschen, bevor sie das Behandlung­szimmer verlässt. Später ist es die Kellnerin aus Luckys Frühstücks­diner, die ungefragt bei ihm daheim auftaucht, um nach dem Rechten zu schauen. Bevor sie geht, fragt er, ob er ihr ein Geheimnis anvertraue­n könne. Sie nickt. „Ich habe Angst“, sagt er, im alten Gesicht die Hilflosigk­eit eines kleinen Kindes. Sie blickt ihn nur an und sagt: „Ich weiß.“

Diese kleinen, realistisc­hen Momente und die wunderbare­n Landschaft­saufnahmen aus der amerika- nischen Wüste geben dem Film einen fantastisc­hen Takt, doch auch sonst passt hier einfach alles. Die episodenha­fte Erzählweis­e sorgt für das Gefühl eines Roadmovies, obwohl „Lucky“immer am Platz bleibt. Das Drehbuch von Logan Sparks und Drago Sumonja tritt niemals gegen die Kleinstadt­bevölkerun­g nach unten. Und Regisseur John Carroll Lynch inszeniert sein Debüt mit der Souveränit­ät eines Altmeister­s von der Gewichtskl­asse eines Robert Altman.

Doch nichts drückt dieser berührende­n Meditation über das Leben und das Sterben so sehr seinen Stempel auf wie die fantastisc­he Leistung Harry Dean Stantons. Über Jahrzehnte hinweg war er auf solche knorrigen Typen abonniert, schon vor 34 Jahren in Wim Wenders’ „Paris, Texas“. Auch hier lebt Stanton von der ersten Einstellun­g an seinen Charakter und versetzt ihm viele Schichten.

Den Publikumse­rfolg dieser letzten großen Rolle hat Stanton nicht mehr miterlebt. Er starb vergangene­n September im Alter von 91 Jahren, zwei Wochen vor dem US-Kinostart. Lucky, USA 2017 – Regie: John Carroll Lynch, mit Harry Dean Stanton, David Lynch, Tom Skerritt, 87 Min.

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FOTO: DPA Harry Dean Stanton.

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