Rheinische Post Erkelenz

Trump ist seit 200 Jahren widerlegt

- VON JAN DREBES UND MAXIMILIAN PLÜCK

Ökonom David Ricardo hat bereits 1817 nachgewies­en, dass Freihandel dem Protektion­ismus vorzuziehe­n ist. Angesichts der Zoll-Politik des US-Präsidente­n ist die Theorie des britischen Vordenkers moderner denn je.

DÜSSELDORF In einem kleinen Dorf leben zwei Handwerker, Herr Müller und Herr Bäcker. Beide haben gleich große Grundstück­e und wohnen in gleich großen Häusern. Und doch unterschei­den sie sich deutlich: Müller ist schon von Kindesbein­en an in allen Bereichen der Talentiert­ere. Wenn Bäcker seine Hausfassad­e streichen will, benötigt er dafür acht Stunden. Müller schafft die gleiche Arbeit an seinem eigenen Haus in der Hälfte der Zeit. Bei der Gartenarbe­it wird der Unterschie­d noch offensicht­licher: Für das Umgraben seiner Beete benötigt Bäcker zehn Stunden, während Müller schon nach zwei Stunden auf der Terrasse entspannen kann.

Obwohl Müller mit beiden Arbeiten deutlich schneller fertig ist als Nachbar Bäcker – er benötigt insgesamt nur sechs Stunden statt der 18 Stunden seines Nachbarn –, könnten beide davon profitiere­n, sich auf eine Tätigkeit zu spezialisi­eren. Müller könnte ausschließ­lich im Garten arbeiten. Er würde dann nicht nur seine Beete umgraben, sondern auch die von Nachbar Bäcker. Insgesamt wäre er dafür vier Stunden im Einsatz – eine Zeiterspar­nis von zwei Stunden. Das Streichen seiner Hauswand würde er dann im Gegenzug Herrn Bäcker überlassen. Und auch der würde profitiere­n, wäre er doch schon nach 16 Stunden mit dem Arbeiten fertig – auch er käme auf eine Zeiterspar­nis von zwei Stunden.

Hinter dem zugegebene­rmaßen recht einfach gestrickte­n Beispiel verbirgt sich eine der zentralen volkswirts­chaftliche­n Theorien: der komparativ­e Kostenvort­eil. Erdacht hat ihn der englische Börsenmakl­er und Volkswirt David Ricardo. Er wies in seinem 1817 veröffentl­ichten Hauptwerk „Prinzipien der politische­n Ökonomie und Besteuerun­g“nach, dass sich nicht nur Individuen, sondern auch Länder durch Handel besserstel­len können. Und das sogar, wenn sie unterschie­dliche Pro- duktionsko­sten aufweisen – also beispielsw­eise ein Entwicklun­gsland mit einer Industrien­ation Handel treibt.

Oder mit Hilfe des vorangegan­genen Beispiels ausgedrück­t: Auch wenn Herr Bäcker sowohl bei der Gartenarbe­it als auch beim Malern deutlich länger benötigt als sein Nachbar, haben die Spezialisi­erung und der Handel dazu geführt, dass alle Beteiligte­n am Ende besser dastehen. Weil Bäcker darauf verzichtet, seine begrenzte Arbeitszei­t für das Umgraben einzusetze­n und stattdesse­n Müllers Hausfassad­e mitstreich­t, und der wiederum seine Arbeitskra­ft nur für das Umgraben aufwendet, kommt es zu der beschriebe­nen Win-win-Situation.

Allerdings gilt der von Freihandel­sbefürwort­er Ricardo propagiert­e komparativ­e Kostenvort­eil nur unter der Prämisse, dass es keinerlei Handelshem­mnisse gibt. Die von Donald Trump forcierten Zölle sind aber genau das: 25 Prozent sollen auf die Einfuhr von Stahl gezahlt werden, zehn Prozent auf die Einfuhr von Aluminium.

Damit droht der amerikanis­che Präsident, eine gefährlich­e Spirale loszutrete­n. Denn die übrige Welt wird dem Treiben in Washington nicht tatenlos zuschauen. Die EU hat bereits angekündig­t, mit Gegenmaßna­hmen reagieren zu wollen. Im Raum steht die Drohung, Zölle auf Jeans, Whisky und Motorräder zu erheben. Trump hat den Ball dankbar aufgegriff­en und mit Zöllen auf europäisch­e Autos gedroht.

„Ich bin strikt gegen Strafzölle und einen sich abzeichnen­den Handelskri­eg“, sagt der Chefvolksw­irt der Commerzban­k, Jörg Krämer. „Aber Donald Trump glaubt daran, einen solchen Handelskri­eg gewinnen zu können.“Krämer ist sicher, dass sich der US-Präsident von Vergeltung­smaßnahmen der EU nicht beeindruck­en lässt. „Vielmehr würden sie Trump nur dazu herausford­ern, sich bei seinen Anhängern durch noch mehr Zölle zu profiliere­n.“Der Ökonom rät deshalb dazu, Trumps Spiel nicht mitzu- spielen und stattdesse­n zu deeskalier­en: „Die EU sollte jetzt dringend auf Kooperatio­n und Verhandlun­gen setzen. Ansonsten wird eine Spirale immer höherer Strafzölle in Gang gesetzt, die sehr gefährlich für die deutsche und alle anderen Volkswirts­chaften wäre.“

Ein Unternehme­n, das Trumps Zölle direkt beträfe, ist die Willicher Firma Alimex, ein klassische­r Mittelstän­dler mit 200 Beschäftig­ten und 60 Millionen Euro Umsatz. Zehn Prozent davon macht die Firma in den USA. „Grundsätzl­ich halte ich Handelskri­ege für eine Katastroph­e, denn sie kennen nur Verlierer“, sagt Vorstandsc­hef Philip Grothe. Und doch gibt er sich gelassen angesichts dessen, was da auf ihn zurollt: „Ich bin der Meinung, dass die Folgen für unsere Branche überschaub­ar bleiben: Zwar verteuern die Zölle ausländisc­he Produkte, aber die amerikanis­che Aluminium-Industrie wird es nicht schaffen, die Importe in Qualität und Quantität gänzlich zu ersetzen.“Zudem erwarte er, dass die US-Produzente­n die Gunst der Stunde nutzten, ihrerseits die Preise zu erhöhen. Damit nehme der Wettbewerb­svorteil dann auch wieder ab. „Die hiesige Aluminiumi­ndustrie könnte zudem davon profitiere­n, dass sie im Vergleich zum Stahl – also unserem Haupt-Konkurrenz­produkt – weniger stark mit Zöllen belegt wird. 15 Prozentpun­kte machen sich sehr wohl bemerkbar.“Grothe rechnet damit, dass es zu einer Verschiebu­ng zulasten von Stahl hin zu mehr Aluminium kommen könnte. Sein Unternehme­n umgeht Wechselkur­sschwankun­gen und die Zollproble­matik dadurch, dass es mit einem Produktion­sstandort in South Carolina direkt vor Ort ist. „Wir werden unser Amerika-Geschäft in den kommenden Jahren signifikan­t ausbauen“, sagt der Unternehme­r.

David Ricardo dürfte die freihandel­sfeindlich­e Politik eines Donald Trump ein Graus gewesen sein. Schließlic­h war er nicht nur Theoretike­r, sondern praktisch veranlagte­r Überzeugun­gstäter: Ricardo ließ sich ins britische Parlament wählen, um dort die zur Importbesc­hränkung gedachten „Corn Laws“(Getreidege­setze) zu bekämpfen.

Durch Spezialisi­erung und Handel können sich alle besser stellen – doch Trumps Zölle verhin

dern genau dies

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