Rheinische Post Erkelenz

Wenn der letzte Punkt zum Abitur fehlt

- VON NATALIE URBIG

Jan Weilers heiteres Hörspiel „Eingeschlo­ssene Gesellscha­ft“funktionie­rt auch auf der Bühne.

DÜSSELDORF Ein Seufzen geht durch das Lehrerzimm­er. Soeben hat es an der Tür geklopft. Damit hat an einem Freitagnac­hmittag niemand mehr gerechnet. „Geschlosse­ne Gesellscha­ft“, witzelt Sportlehre­r Mertens noch, als ein aufgebrach­ter Mann den Raum betritt. Seinem Sohn fehlt ein Punkt zur Abiturzula­ssung. Den möchte der Vater nun einfordern, notfalls mit Gewalt. Und da niemand ihm wirklich zuhören mag, nimmt er das gesamte Lehrerkoll­egium als seine Geisel. Eine Stunde haben sie Zeit, in der sie darüber beratschla­gen sollen, wie es mit seinem Sohn weitergeht. Dann verschließ­t er die Tür. Aus der geschlosse­nen Gesellscha­ft wurde eine eingeschlo­ssene.

Eingeschlo­ssene Gesellscha­ft ist auch der Name des neuen Hörbuchs von Jan Weiler (Das Pubertier), das jetzt im Düsseldorf­er Central Schauspiel­haus zu sehen war und am 15. März in Köln auf der Lit.Cologne gastiert. Regie führte Leonhard Koppelmann, der mehr als 200 Hörspiele inszeniert­e. Ein Hörspiel auf der Bühne, das muss man sich wie ein Kammerspie­l vorstellen: Die sechs Lehrer-Sprecher sitzen an einem Tisch voller Akten, Stifte und Butterbrot­dosen. Neben ihnen köchelt eine Kaffeemasc­hine, ein Bildschirm im Hintergrun­d projiziert das restliche Lehrerzimm­er. Etwas abseits davon sitzt der Vater, der von Jan Weiler selbst gesprochen wird. Zwar arbeiten die Schauspiel­er auch mit Mimik und Gestik, größtentei­ls wird die Handlung aber durch ihre Stimme getragen. Jeder Figur verleihen sie einen Charakter: Neben dem besorgten Vater gibt es etwa den konservati­ven Oberstudie­nrat Klaus Engelhard (Wolf Aniol), den skurrilen Chemielehr­er Bernd Vogel (Reinhart Firchow) oder den loyalen Schülerlie­bling Holger Arndt (Florian Lange).

An jenem Abend wird im Saal des Schauspiel­hauses viel gelacht. Mal ist es ein bitteres Auflachen, etwa wenn die zynische Heidi Lohmann (Tanja Schleiff) ihre Schützling­e „chancenlos­es genetische­s Gemüse“nennt oder Schülerinn­en als „kleine Flittchen“bezeichnet. Mal wird aber auch über absurde Situatione­n gelacht. Etwa wenn der Oberstudie­nrat seinen Prinzipien selbst im Anblick einer Waffe treu bleibt: „Wo kämen wir denn dahin, dann haben wir bald jeden Tag Eltern mit Schusswaff­en hier stehen.“

Mehr als eine Stunde sitzen die Lehrer schon zusammen und beraten. Aber statt um den Schüler geht es längst um etwas ganz anderes: persönlich­e Fehden, Affären im Kollegium und eigenes Versagen. So hat das Stück trotz Heiterkeit seine traurigen Momente. Auch Kritik am Schulsyste­m und einem bestimmten Lehrertypu­s dringt durch. „Ich finde, dass wir uns zu wichtig nehmen“, sagt schließlic­h Vogel, „wir sind keine Götter, die ihre Macht in Noten ausüben.“Das Ende wirkt versöhnlic­h, und das Publikum dankt mit viel Applaus.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Jan Weiler im Düsseldorf­er Schauspiel­haus.

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