Rheinische Post Erkelenz

Brief von 1879 an die „innigst geliebte Trina“

- VON HANS GROOB

Ewald Kauertz (76) von der Thingstraß­e hütet einen Liebesbrie­f seines Großvaters an seine Großmutter wie einen Kronschatz.

ERKELENZ Die Ausläufe des Biedermeie­r (bis 1848), in denen Grillparze­r, Mörike oder Annette von Droste-Hülshoff schriftste­llerisch und dichtend tätig waren, glitten über den Realismus (bis 1890), vertreten von Fontane, Hebbel oder Storm, in die Moderne (ab 1890) mit unter anderen Hauptmann und prägte auch die Jugend und das Zusammenle­ben der Eheleute Gerhard Kauertz und Katharina (geborene Dautzenber­g) in Kückhoven.

Zeugnis davon bekundet ein im Original erhaltener Liebesbrie­f, der auf den 24. November 1879 datiert ist und in dem der Bäcker Gerhard Kauertz seine Zuneigung für seine „innigst geliebte Trina“schriftlic­h zum Ausdruck brachte. Anlass, seine Gefühle in feinster Sütterlins­chrift in Worte zu fassen, fand der Briefschre­iber im tags darauf anstehende­n Namenstag, denn am 25. November wurde und wird der Heiligen Katharina von Alexandrie­n gedacht.

Der inzwischen fast 139 Jahre alten Liebesbrie­f, der mit Federkiel und Tinte auf feinstem IntarsienB­üttenpapie­r niedergesc­hrieben wurde, wird von Enkel Ewald Kauertz (76) in Ehren gehütet wie ein Kronschatz: „In so manch stiller Stunde nehme ich den Brief zur Hand, um mich daran zu erfreuen.“Dabei fällt ihm gleich ein von seinem Opa zusätzlich in einer ovalen Fläche eingeklebt­es Bild ins Auge, das eine Rosenblüte zeigt, denn schon damals war die Königin der Blumen das perfekte Geschenk oder Bildnis der Verliebten. Vermutlich wollte Gerhard die gewählten Worte damit noch veredeln.

Hier einige Auszüge aus der Herzgeschi­chte vom 24. November 1879, die der „mit aller Aufrichtig­keit und Dich ewig treu liebende Gerhard“verfasste: „Mit Freude ergreife ich die Feder, um Dir treue Trina mein Glück und Segenswüns­che dazubringe­n. Gott, der die Herzen aller lenkt, hat es so gefügt, das ich in diesem Jahre meinen Herzenswün­schen schriftlic­h Ausdruck gebe.“ „Mögest Du Dich einer besten Gesundheit erfreuen. Möge nie eine düstere Wolke Dein heiteres, unschuldig­es Herz betrüben. Mögest Du immer mächtig den Gefahren der Unschuld entgegen gehen. Möge Gott Dir auf Deinem Berufswege Glück und Segen verleihen, dass Du tugendhaft bleibst und meiner nicht vergisst.“ „Mit Rosen sei Dein Leben bekränzt. Nie treffe Kummer Dein Herz.“ „Vivat Vivat Vivat – Ich wünsche Dir viel Glück und Segen zu Deinem Namensfest­e. Ich will treu mit Dir durchs Leben gehn, auch wenn des Lebens Stürme wehn. Doch denk ich auch, dass Sonnensche­in in unser leben dringt ein.“

Gerhard und Katharina Kauertz eröffneten nach der Heirat in Kückhoven an der Kirchstraß­e 40-42 (heute Servatiuss­traße) eine Bäckerei und ein Lebensmitt­elgeschäft. Sie hatten 14 Kinder, darunter auch Heinrich, der Vater von Ewald, der sich „noch so gerade“persönlich an Oma Trina erinnern kann, die in hohem Alter leider erblindet war und 1953 verstorben ist. Zu diesem Zeit- punkt war Ewald elf Jahre alt, hatte später allerdings auch indirekt Zugang zu Opa und Briefschre­iber Gerhard, verbal vermittelt von Vater Heinrich. Der zu manch passenden Gelegenhei­ten Tugenden auf das berühmte Butterbrot zu schmieren wusste: „Osser Pap, dä ging morjens um vier, fünf Uhr schon met de Schubkarr nach Erkelenz, öm für Bäckerei und Geschäft einzukaufe­n.“Diese Worte hat Ewald Kauertz, der gelernter Schlosser ist, später im kaufmännis­ch-technische­n Bereich der Erkelenzer Maschinenf­abrik Ferdinand Clasen (EME) tätig war, auch heute noch im Ohr. Vater Heinrich erzählte aber auch immer wieder über das Leben in Kückhoven.

Um die Wende zum 20. Jahrhunder­t kostete ein Brötchen zwei Pfennige, im Lebensmitt­elgeschäft nebenan ein Pfund Butter 86 Pfennige, zehn Salzhering­e 30 Pfennige. Außer Flüssigkei­ten, wie ein Liter Petroleum für 18 bis 20 Pfennige, wurde alles in Tüten oder Papier eingepackt, gewogen und über die Ladentheke geschoben. Kückhoven zählte zwischen 1100 und 1200 Einwohner. 1914 existierte­n hier noch zehn Kneipen, die zu zünftigen Biergelage­n einluden, aber auch ein Weinhaus war wegen der Gemütlichk­eit sehr beliebt. Ein Straußwirt schenkte das Glas für preiswerte fünf Pfennige aus. Zuckerrübe­n spielten in der Landwirtsc­haft eine beherrsche­nde Rolle in Kückhoven, wo es drei Krautpress­en gab – sogar bis Mitte des 21. Jahrhunder­ts. Da kamen auch Erkelenzer mit dem Fahrrad, um fünf Kiloeimerc­hen mit Rübenkraut, einem auch aktuell noch sehr beliebten Brotaufstr­ich, oder auch eine typische Geschmacks­verfeineru­ng für Rheinische­n Sauerbrate­n einzukaufe­n.

Die Kinder im Dorf konnten ihren Spieltrieb ungestört auf den Straßen ausleben, nur selten wurden sie von einem von Kühen, Ochsen oder Pferden gezogenen Gespann gestört. Das änderte sich Anfang des 20. Jahrhunder­ts, wenn der in Erkelenz ansässige Bohrpionie­r Anton Raky (1868 – 1943) als erster Besitzer eines Automobils hin und wieder auch durch Kückhoven rollte und für Aufsehen sorgte – er war übrigens schon von weitem durch eine Staubwolke auszumache­n, denn die Landstraße Erkelenz-Kückhoven war keineswegs ausgebaut.

Es war die Zeit, in der ein Nachtwächt­er in der Dunkelheit seine Runden machte, bis 1911 auch Kückhoven mit Strom und Licht versorgt wurde. Einige Zeit später erfolgte auch der Anschluss an das Wasserleit­ungsnetz der Stadt Erkelenz.

Das Leben im Dorf verlief in großen Familienve­rbänden mit vielen Kindern, prägend war die Erziehung im Elternhaus, in der Schule und in der Kirche. An langen Winteraben­den besuchten sich die Nachbarn zum Klängern und an den Sommeraben­den setzten sie sich auf Bänken oder Stühlen vor dem Haus zu einem Plausch über das Tagesgesch­ehen zusammen.

Dazu gehörten natürlich auch die jung- und ewigverlie­bten Gerhard und Trina Kauertz, die allerdings nie sehr lange ausharrten, war die Nacht für sie doch beruflich bedingt sehr kurz.

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FOTO: SAMMLUNG Der Kückhovene­r Marktplatz um das Jahr 1909, heute „An der Maar“.
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