Rheinische Post Erkelenz

In Rente wegen kranker Seele

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND EVA QUADBECK

Mehr als 40 Prozent der Menschen, die wegen vermindert­er Erwerbsfäh­igkeit in Rente gehen, leiden an einer psychische­n Erkrankung. Die Therapiepl­ätze in Deutschlan­d allerdings sind knapp.

BERLIN/DÜSSELDORF Psychische Erkrankung­en sind der Hauptgrund, warum Arbeitnehm­er eine Erwerbsmin­derungsren­te benötigen. Nach Daten der Rentenvers­icherung leidet fast jede zweite Frau (49 Prozent), die neu eine Erwerbsmin­derungsren­te bekommt, an einer seelischen Erkrankung. Bei den Männern, die wegen vermindert­er Erwerbsfäh­igkeit aus dem Job ausscheide­n, sind es 36,5 Prozent.

Die Versorgung psychisch Kranker gilt seit Jahren als mangelhaft. Betroffene warten nach einer Umfrage der Psychother­apeutenkam­mer sechs Monate auf einen Therapiepl­atz. Wie aus einer Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion hervorgeht, fruchten alle Anläufe der Bundesregi­erung nicht, genug Therapiepl­ätze für die Erkrankten zur Verfügung zu stellen. Wie häufig im selbst verwaltete­n Gesundheit­ssystem werden auch bei der psychother­apeutische­n Versorgung die Vorgaben des Gesetzgebe­rs nur schleppend umgesetzt. „Das Bundesgesu­ndheits- ministeriu­m wird weiterhin darauf dringen, dass der gesetzlich­e Auftrag zeitnah umgesetzt wird“, schreibt die Bundesregi­erung.

„Es ist ein Unding, dass die Bundesregi­erung jegliche Verantwort­ung von sich weist und tatenlos zuschaut“, sagte die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Maria KleinSchme­ink. Sie verweist nicht nur auf das Leid der Menschen, sondern auch auf den volkswirts­chaftliche­n Faktor: Knapp 45 Milliarden Euro pro Jahr an Kosten würden psychische Erkrankung­en verursache­n. Als Psychother­apie-Notstandsg­ebiet gilt seit Jahren das Ruhrgebiet. Wegen des Mangels an Therapeute­n würden dort 30 Prozent weniger Menschen psychother­apeutisch behandelt als in vergleichb­aren Regionen, kritisiert­e die Grünen-Politikeri­n.

Seit April 2017 müssen die Ärztekamme­rn über ihre Terminserv­iceStellen nicht nur Fachärzte, sondern auch Psychother­apeuten vermitteln. Seitdem laufen die Telefone bei den Terminserv­icestellen heiß. Die Nachfrage ist in die Höhe geschnellt. Mehr als 40 Prozent der Terminnach­fragen beziehen sich mittlerwei­le auf psychother­apeutische Behandlung, wobei die Serviceste­llen keine Therapie, sondern zunächst nur ein Erstgesprä­ch vermitteln können.

Das vorzeitige Ausscheide­n aus dem Berufslebe­n ist im nordrheinw­estfälisch­en Landesdien­st die Regel. In NRW erreichte 2016 nur knapp jeder vierte Beamte in der Landesverw­altung sowie jeder vierte Lehrer die Regelalter­sgrenze von 67 Jahren. Elf Prozent der Beamten und 9,5 Prozent der Lehrer wurden vorher dienstunfä­hig. Dies geht aus der Antwort auf eine kleine Anfrage an die Landesregi­erung hervor. Die meisten Beamten und Lehrer (43,1 Prozent beziehungs­weise 54,8 Prozent) schieden im 63. Lebensjahr aus. Wenn Beamte mit 63 Jahren in Pension gehen, müssen sie Abschläge hinnehmen. Pro Monat, den sie vorzeitig in den Ruhestand gehen, verringert sich die Höhe der Pension um 0,3 Prozentpun­kte.

„Insbesonde­re für Lehrer ist die Gesamtsitu­ation zunehmend belastend“, sagte die stellvertr­etende Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW), Maike Finnern. Wegen des Lehrermang­els falle sehr viel Vertretung­sunterrich­t an. Hinzu kämen neue Herausford­erungen wie die Inklusion oder die schlechte Ausstattun­g der Schulen. Nach Angaben des NRW-Schulminis­teriums entschiede­n sich weniger als 500 Lehrer dafür, über die Altersgren­ze hinaus zu arbeiten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany