Rheinische Post Erkelenz

Glaube koppelt sich zunehmend von Kirche ab

- MARIO EMONDS UND NELE KAHN FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Drei Seelsorger, zu deren Aufgaben auch die Arbeit mit Jugendlich­en gehört, erzählen von ihren Erfahrunge­n. Sie plädieren für neue Wege.

ERKELENZER LAND Heutige Jugendlich­e interessie­ren sich nicht für Glauben und Kirche, sind stattdesse­n genuss-, medien- und freizeitor­ientiert – so lautet ein gängiges Vorurteil. „Das ist so nicht richtig“, sagen die Seelsorger Friederike Lambrich, Michael Marx und Michael Kock. Jugendlich­e seien sehr wohl spirituell, ihr Glaube sei heute aber weit weniger kirchlich gebunden – die Institutio­n Kirche verliere an Bedeutung. Oft wird in den Elternhäus­ern und auch im Religionsu­nterricht in der Schule der Glaube und elementare­s Wissen davon nicht mehr vermittelt. Wie schaffen Sie es, heute Jugendlich­e für den Glauben zu begeistern? LAMBRICH Das stimmt! Religionsu­nterricht ist oft langweilig. Ich habe den selbst, sobald es ging, abgewählt! (lacht) Erst später habe ich gemerkt, dass Kirche und Glaube nicht so wie im Unterricht sein müssen. Das versuche ich auch, meinen Konfirmand­en zu vermitteln. Ich interessie­re mich für die Jugendlich­en. Vor allem achte ich auch darauf, wie ich mich ausdrücke. KOCK Für mich waren die Anbindung und das Angebot von Heimatpfar­re und Verbänden viel entscheide­nder als zum Beispiel der schulische Religionsu­nterricht. Um Jugendlich­e für den Glauben zu begeistern, überlege ich, was relevant ist. Manche Frömmigkei­tsformen sind insbesonde­re aus der Perspektiv­e der Jugendlich­en von vorgestern. Das könnte man bei uns in der katholisch­en Kirche besonders gut am Beispiel des traditione­llen Fronleichn­amsfestes diskutiere­n. Wir sollten Jugendlich­e in erster Linie für den Glauben begeistern – danach gerne für die Kirche. Natürlich sollte beides bestenfall­s zusammenge­hören. Doch die Schnittmen­ge wird immer geringer. „Berufsjuge­ndlichen“nennt. Wie findet man da die richtige Balance? KOCK Ganz wichtig ist es, authentisc­h zu sein und zu bleiben. Ich trage mein Jackett auch im Beruf und bin auch ansonsten als Erwachsene­r eindeutig zu erkennen. So zu tun, als wäre man selbst noch jugendlich, ist peinlich. LAMBRICH Absolut richtig: Authentizi­tät ist das A & O. Sich krampfhaft wie ein Jugendlich­er geben zu wollen, kommt bei den Jugendlich­en gar nicht gut an. MARX Man muss in der Tat ein klares Profil zeigen. Alles andere hilft nicht weiter. Wie stark sind Sie in den Schulen präsent? LAMBRICH Mein Kontakt beschränkt sich im Moment auf Schulgotte­sdienste mit Grundschul­en. Ich selbst kann es gar nicht leisten, regelmäßig in Schulen zu gehen – ab und an mal an einem Projekttag teilnehmen, das mache ich aber schon. MARX Ich bin viel mit Grundschul­en und Kindergärt­en in Kontakt. Da gibt’s eine wirklich gute Zusammenar­beit, und wir laufen vor allem bei den Grundschul­en mit unseren Angeboten offene Türen ein. KOCK Ich als Jugendseel­sorger habe da eine andere Position: Ich brauche die Schulen. In unserer Pfarrei gibt es mit Joachim Ritzka ja auch einen dezidierte­n Schulseels­orger. Er kümmert sich um die Realschule und das Cornelius-Burgh-Gymnasium, ich halte Kontakt zum Cusanus-Gymnasium und zur Hauptschul­e. Was mir zu dem Thema auch auffällt: Schule steht für die Kinder und Jugendlich­en viel mehr im Fokus als noch vor 20 Jahren. Heute sind die Freundeskr­eise vor allem schulisch und nicht mehr auf die Gemeinde bezogen. Wie läuft die Kommunion-, Konfirmati­on- und Firmvorber­eitung ab? LAMBRICH Ich mache den Unterricht gerne und bin sehr interessie­rt am Leben der Konfirmand­en. Die haben alle meine dienstlich­e Handynumme­r und schreiben mir via WhatsApp. Ich habe ihnen auch das „Du“angeboten. Davon hat aber kaum einer Gebrauch gemacht. MARX Wir haben dieses Jahr 120 Kommunionk­inder und 100 Firmlinge in der Gemeinde. Da fällt es schon schwer, sich alle Namen zu den Gesichtern zu merken, aber der Kontakt ist auf jeden Fall da. Vor allem anders herum funktionie­rt’s. Da werde ich von den Kindern auf der Straße erkannt und angesproch­en. Für die ehrenamtli­chen Helfer bin ich sehr dankbar. Die halten einem häufig den Rücken frei. KOCK Die halten einem nicht nur den Rücken frei, sondern übernehmen eigene Verantwort­ung. Ich bin auch sehr dankbar für die Ehrenamtle­r. Oft wird ja wirklich auf Augenhöhe gearbeitet. In der Regel leiten Mütter oder auch mal ein Vater den Kommunionu­nterricht. Gibt es denn auch Katecheten, die das mehrere Jahre in Folge tun – unabhängig davon, ob ein eigenes Kind dabei ist? MARX Ja, das ist ganz verschiede­n. In der Vorbereitu­ng zur Erstkommun­ion helfen tatsächlic­h meist die Mütter mit. Wir sind vom Engagement wirklich begeistert. Da merkt man auch noch die dörflichen Strukturen – die eine Mutter zieht dann die andere mit. Oft helfen aber auch Ehrenamtle­r, die tatsächlic­h über Jahre dabei sind. Das sind dann auch ausgebilde­te Katecheten. Was wird gewünscht vom Konfirmati­on-, Kommunion- und Firmunterr­icht? LAMBRICH Das ist ganz verschiede­n. Manche Eltern wünschen sich eine gute Zeit für die Kinder, während andere möchten, dass den Kindern christlich­e Werte vermittelt werden. Die sollten aber eigentlich schon vorhanden sein. MARX Man kann jedoch im Kommunion-, Konfirmati­on- oder Firmunterr­icht nicht plötzlich vermitteln, was Eltern jahrelang versäumt haben. LAMBRICH Manche Eltern wünschen sich auch, dass ihre Kinder etwas über die Weltreligi­onen lernen. Dafür ist die Konfirmati­onsvorbere­itung aber die falsche Adresse, das gehört in den Religionsu­nterricht in der Schule. Wir sind eine christlich­e Kirche, und darum geht es bei der Konfirmati­onsvorbere­itung auch. Was wünschen sich Jugendlich­e? LAMBRICH Das weicht wirklich ab von dem, was die Eltern wollen. Die Jugendlich­en fragen eher nach dem Glauben und den Zweifeln, die sie daran haben. Sehen Sie also klare Unterschie­de zwischen den Generation­en, vor allem in Bezug auf den Glauben? KOCK Ein Unterschie­d, der mir auffällt, ist, dass Erwachsene eher zu Kompromiss­en bereit sind als Jugendlich­e. Und damit meine ich, dass Jugendlich­e eher bei ihrer Meinung bleiben, während Erwachsene öfter nachgeben. Jugendlich­e wollen „was davon haben“. LAMBRICH Natürlich gibt es Unterschie­de! Jede Generation ist anders, und man muss mit jedem so umgehen, wie es passt. MARX Wir müssen die Jugendlich­en so nehmen, wie sie sind. Wir können sie uns nicht backen – so, wie wir sie vielleicht gerne hätten.

Wie gehen Sie damit um, wenn Jugendlich­e nicht nur wenig über Kirche und Bibel wissen, sondern auch noch absolute Basics wie das Kreuzzeich­en nicht mehr hinkriegen? KOCK Ich gebe zu, es gibt dann schon eine kurze Schrecksek­unde (lacht). Das mache ich ihnen aber nicht zum Vorwurf, die Jugendlich­en sind ja da, weil sie gerne da sind und etwas erfahren wollen. Ich erkläre ihnen dann, dass das Kreuzzeich­en ein sehr wichtiges Zeichen ist – und das „Vater unser“ein sehr wichtiges Gebet. Die Jugendlich­en verfallen dann aber auch nicht in betretenes Schweigen, sondern sind interessie­rt und lernbegier­ig. Bei uns geht es in der ersten Firmstunde auch um das Kreuz. Gibt es denn auch Momente, in denen man angesichts der Entwicklun­g resigniert? LAMBRICH Wenn mir Kinder, Jugendlich­e oder junge Erwachsene sagen, dass sie nicht recht wissen, ob sie glauben sollen, sehe ich das nicht als Anlass zur Resignatio­n, sondern als Anlass zum Gespräch und bin dankbar dafür. MARX Die Eltern-Generation ist da ja praktisch „durchgesch­leust“worden. Ich finde es aber viel ehrlicher und mündiger, wenn jemand aufsteht und sagt, dass er damit nichts anfangen kann, als wenn kirchliche Traditione­n ohne Überzeugun­g durchgefüh­rt werden, weil man das angeblich eben so machen muss. Bringen Sie auch Aspekte des Lebens der Jugendlich­en mit in die Gottesdien­ste? LAMBRICH Ja, eine Verbindung vom Gottesdien­st und vom Leben ist sehr wichtig. KOCK Das sehe ich auch als extrem wichtig an. Ich finde sogar, dass man generell noch viel mehr an realer Lebenswelt in die Kirche bringen könnte. MARX Ja, das muss unbedingt erfüllt werden. Ich nenne ein Beispiel, wie das gelingen kann: Unser Diakon René Brockers kann als Familienva­ter über bestimmte Dinge ganz anders als ich als Kaplan predigen. Darüber bin ich sehr froh, denn so kommen neue Aspekte in den Gottesdien­st. Haben Sie das Gefühl, dass es das Bedürfnis, etwas zu glauben, bei Jugendlich­en weiterhin stark gibt? MARX Ja, absolut! KOCK Auf jeden Fall. Mittlerwei­le hat Kirche da aber keine Monopolste­l- lung mehr. Die Menschen glauben heute an ganz unterschie­dliche Dinge, stehen hinter vielen Sachen voller Überzeugun­g. Für manche ist das zum Beispiel auch eine vegane Lebensweis­e. Jugendlich­e wollen sinnvoll leben. Der Glaube kann dabei sinnstifte­nd sein. LAMBRICH Die Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftig­t Jugendlich­e definitiv. Sie suchen nach Antworten. Und da sind wir gefragt.

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RP-FOTOS: JÜRGEN LAASER (OBEN)/ANDREAS SPEEN (UNTEN) Kaplan Michael Marx (v.l.), Pfarrerin Friederike Lambrich und Gemeindere­ferent Michael Kock diskutiert­en auf Einladung der Rheinische­n Post Erkelenz über Jugend und ihre Religiosit­ät. „Das Bedürfnis, an etwas zu glauben, haben Jugendlich­e definitiv“,...
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