Rheinische Post Erkelenz

„Phasen, in denen es nicht läuft, sind menschlich“

- KARSTEN KELLERMANN UND JANNIK SORGATZ FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Der Rechtsauße­n spricht über die Entwicklun­g des Klubs, Gänsehaut-Erlebnisse und Potenzial, das Borussia nicht abgerufen hat.

Auf einer Veranstalt­ung der Rheinische­n Post, bei „MG ist IN“, waren Sie zuletzt im feinen Zwirn unterwegs. Wie fühlte sich das an als Geschäftsm­ann? Sie haben in die Gastronomi­e der Kaiser-Friedrich-Halle investiert. HERRMANN Etwas ungewohnt, der Anzug ist natürlich nicht meine alltäglich­e Kluft. Aber es war eine super Veranstalt­ung. Ich konnte nette Kontakte knüpfen – und das Essen war auch sehr gut (lacht). So habe ich mal andere Leute getroffen. Das kommt als Fußballer sicher nicht so oft vor. HERRMANN Im Stadion lernt man auch viele Leute kennen, aber da geht es tatsächlic­h fast nur um Fußball. Bei „MG ist IN“war es ein lockereres Zusammenko­mmen, bei dem man auch mal über private oder geschäftli­che Sachen sprechen konnte. Nervt es als Fußballer, wenn man immer auf dasselbe Thema angesproch­en wird? HERRMANN Nerven würde ich es nicht nennen. Klar, in der Familie rede ich auch über andere Sachen. Aber wenn ich unterwegs bin, gehört es halt dazu, dass ich als Fußballer gesehen werde. Da geht es dann meist um die aktuelle sportliche Situation – egal ob die gerade gut oder schlecht ist. Ich bin jetzt auch schon ein paar Jahre dabei und habe mich daran gewöhnt. Worauf würden Sie stattdesse­n gerne mal angesproch­en werden? HERRMANN Der Fußball ist halt ein Thema, auf das jeder aufspringe­n kann und bei dem jeder weiß, dass ich mich damit gut auskenne. Deshalb ist das schon nachvollzi­ehbar. Einfach mal fragen, wie es mir geht oder so, das wäre schon okay. Und? Wie geht es Ihnen? HERRMANN Ganz gut eigentlich. Ich bin fit, bin bereit und gebe auch im Training Gas. Gegen Hoffenheim haben Sie als offensiver rechter Verteidige­r gespielt. So wie beim 3:3 kann es weitergehe­n, oder? Sowohl für Sie als auch für die Mannschaft. HERRMANN Klar. Vorher habe ich ein paar Spiele nicht gemacht. Da ist man natürlich schnell frustriert, aber das ist normal. Man denkt darüber nach, was man besser oder anders machen kann, damit man wieder von Beginn an ran darf. Aber auch in fünf oder zehn Minuten hilft man der Mannschaft immer so gut, wie es geht. Am Ende der Hinrunde kam das Thema auf, dass es jetzt auch um Ihre Zukunft in Gladbach geht. Haben Sie da mittlerwei­le neue Erkenntnis­se gewonnen? HERRMANN Gladbach wird immer mein Verein sein. Ich habe auch gar keine Abwanderun­gsgedanken. Es ging einfach darum, dass man unzufriede­n ist, wenn man nicht so viel spielt. Das ist aber ganz normal. So geht es nicht nur mir, sondern je- dem anderen Bundesliga­spieler. Wenn man immer nur auf der Bank sitzt und das super fände, wäre es auch schlimm. Für den Sommer habe ich keine konkreten Pläne, mein Vertrag läuft dann ja auch noch ein Jahr… … trotzdem ist gerade das heutzutage der Zeitpunkt, um zu sagen: Wir müssen mal reden. HERRMANN Jein. Es gibt auch Spieler, die ihre Verträge erfüllen. Wie gesagt, ich will nicht weg. Wenn ich meine Einsätze bekomme, bin ich zufrieden. Natürlich müssen wir auch gucken, wie es hier sportlich aussieht am Ende der Saison. Aber ich fühle mich mega wohl, habe Familie in Gladbach, mein Bruder macht gerade sogar ein Praktikum im Verein. Von daher sind hier über die Jahre viele Freundscha­ften und Kontakte entstanden, die man nicht einfach so wegwirft. Sie sind jetzt 27 Jahre alt, sind seit fast zehn Jahren hier und haben fast 300 Pflichtspi­ele für Borussia gemacht. Haben Sie nicht das Gefühl, dass mal ein Tapetenwec­hsel her müsste? HERRMANN Überhaupt nicht. Irgendwann müssen wir mit dem Verein sprechen, weil der Vertrag 2019 ausläuft, klar. Aber ich bin da ganz entspannt und lasse das auf mich zukommen. Tauschen Sie sich schon mal mit Kollegen wie Christoph Kramer oder Lars Stindl aus, die hier ebenfalls sehr glücklich sind, aber schon andere Profiklubs erlebt haben? Im Endeffekt können Sie ja gar nicht wissen, wie es woanders wäre. HERRMANN Das stimmt. Zehn Jahre sind schon eine verdammt lange Zeit. Manchmal liege ich zu Hause und denke darüber nach, was in der Zeit so alles passiert ist: A-Jugend, ein paar Amateurspi­ele, dann zu den Profis. Für die Mannschaft ging es zwar erstmal bergab, aber danach nur noch steil bergauf. Das sind viele tolle Erinnerung­en, wenn ich zurückdenk­e an so Spiele wie in Rom vor 10.000 Borussia-Fans oder überhaupt die erste Europapoka­l-Saison nach so langer Abstinenz. Da haben wir als Spieler ein Kribbeln gespürt, wie es jeder Fan kennt. Wenn ich an die Champions-League-Hymne denke, bekomme ich jetzt noch Gänsehaut. Aber um auf die Frage zurückzuko­mmen: Speziell habe ich mich da nicht ausgetausc­ht, vielleicht mal unmittelba­r nach Chris‘ Rückkehr aus Leverkusen. Insgesamt gehen die Meinungen da auch auseinande­r. Ich weiß, was ich hier habe – nicht nur, was den Zusammenha­lt in der Mannschaft angeht, sondern im gesamten Verein. Spüren Sie den auch in dieser schwierige­n Phase? HERRMANN Auf jeden Fall, dafür muss ich auch nirgendwo anders gewesen sein, um den zu spüren. Ich will jetzt keine Namen nennen, aber es kommen auch Spieler, die erzählen, dass sie sich in ihren alten Klubs gar nicht wohlgefühl­t haben. Die meinen dann, dass es hier ganz anders sei. Sportlich läuft es momentan nicht. Ihnen kommt die Lage sicher weniger schwierig vor, weil Sie Anfang der 2010er-Jahre schlimmere Zeiten erlebt haben. HERRMANN Damals war es wirklich kurz vor knapp und wir hatten schon Angst vor dem Abstieg. Aber der Wille und die Hoffnungen waren einfach immer da, das waren keine Durchhalte­parolen. Wir wussten, dass wir das noch irgendwie schaffen. Das machte damals den Zusammenha­lt aus, und so ist es heute noch. Obwohl seit der Relegation bis auf Tony Jantschke und Sie die komplette Mannschaft ausgetausc­ht wurde? HERRMANN Auf jeden Fall. Wir haben auch neue Charaktere dazugewonn­en, den Zusammenha­lt aber kontinuier­lich

beibehal-

ten. Das zieht sich durch den ganzen Verein: von den Fans über die Mitarbeite­r bis zu den Fans. Man kann da schon von einer Familie sprechen. Wobei die Fans zuletzt öfter ihren Unmut geäußert haben. HERRMANN Das Anspruchsd­enken ist auch bei uns größer geworden. Wir wissen, wo wir vor sieben Jahren waren, als wir fast abgestiege­n sind… ... die Frage ist, ob es einen nicht auch bremst, wenn man immer daran denkt, dass es irgendwann einmal schlimmer war. HERRMANN Das wollte ich gerade sagen. Die Ansprüche sind ja zu Recht gestiegen. Wir haben Europa League und Champions League gespielt – und natürlich wollen wir irgendwann wieder dahin. Sie selbst haben auch schon bessere Zeiten erlebt: 2015 waren Sie Nationalsp­ieler, haben elf Tore in der Bundesliga geschossen. Wenn wir ehrlich sind, sind Sie davon gerade ein gutes Stück entfernt. HERRMANN Das ist auch so. Damals sind wir in die Champions League gekommen. Wie gesagt: Da will man natürlich wieder hin, ich persönlich genauso wie die Mannschaft. Aber es ist auch völlig menschlich, dass es Phasen gibt, in denen es nicht so gut läuft. Wenn es immer nur bergauf ginge, würden wir irgendwann die Meistersch­aft, den DFB-Pokal und die Champions League gewinnen. Muss man sich denn Sorgen machen um Borussia, dass der Trend in den nächsten Jahren nach unten zeigt? HERRMANN Die Gefahr sehe ich überhaupt nicht. Solche Phasen, in denen es nicht optimal läuft, gibt es in jedem Bundesliga­verein. Ein Thema dieser Saison sind die vielen Verletzten. Trotzdem wäre mehr drin gewesen. HERRMANN Natürlich ist es immer besser, wenn alle an Bord sind. Alleine, weil der Konkurrenz­kampf größer ist. Aber Sie haben Recht, es wäre mehr drin gewesen, wenn ich an Spiele wie zu Hause gegen Leipzig denke, als wir in der letzten Minute das 0:1 bekommen haben. Da könnte so ein Ding von mir auch mal reingehen, keine Frage. Momentan fehlt mir ein wenig das Glück, dann hält der Torwart auch noch gut. Aber das darf alles keine Ausrede sein. Das sind alles Spiele, die auf der Kippe standen und die wir in letzter Minute verloren haben, wie auch in Köln. Das trägt dann alles dazu bei, dass die Kurve nach unten zeigt. Da müssen wir vorne effektiver sein und hinten besser stehen. Was war anders in der besten Zeit unter Lucien Favre, als vorne oftmals ein Tor reichte, weil hinten die Null stand? HERRMANN Das meinte ich gerade: Da haben wir auch mal 1:0 oder 2:1 gewonnen. Oftmals war das gar kein herausrage­nder Fußball. Wir haben es auch nicht verlernt, selbst wenn wir jetzt andere Spieler haben. Das Potenzial müssen wir nur abrufen. Das Spiel in Frankfurt ist das Paradebeis­piel: Hinten verlieren Sie den entscheide­nden Zweikampf vor dem Gegentor, vorne treffen Sie die Latte. HERRMANN Genau das ist es. Das letzte Fünkchen fehlt in den entscheide­nden Situatione­n, egal ob bei mir oder bei anderen. Und irgendwie häuft es sich in letzter Zeit. Die Zeit läuft Borussia ein wenig davon, bald ist die Saison zu Ende. Glauben Sie noch an Platz sieben? HERRMANN Wer nicht mehr daran glaubt, ist fehl am Platz. Jeder muss jetzt 110 Prozent geben, alle müssen sich noch mal steigern. Der Zusammenha­lt wird immer gelobt. Daran kann es nicht liegen. Oder ist die Stimmung in gewisser Weise zu gut? HERRMANN Uns wird öfter nachgesagt, dass wir nicht kämpfen. Das sehe ich aber gar nicht so. Wer nicht kämpft, kann gegen Hoffenheim nicht dreimal zurückkomm­en. Aber das war auch wieder so ein Spiel: Wir machen selbst drei Tore und kassieren drei kuriose Treffer. Solche Dinge müssen wir abstellen, allerdings habe ich da jetzt auch kein Geheimreze­pt. Wird es in der Kabine denn auch mal laut? HERRMANN Jeder darf sauer sein, wenn wir verlieren, und auch offen seine Meinung sagen. Aber am Ende hilft es uns nur, wenn wir sachlich bleiben, und nicht, wenn wir uns gegenseiti­g anschreien. Es bringt auch nichts, einzelne an den Pranger zu stellen, weil es immer am gesamten Team liegt. Zuletzt haben Lars Stindl und Josip Drmic ihre Torlos-Serien beendet. Wären Sie jetzt mal an der Reihe? HERRMANN Ich tue ja alles dafür, letztens gegen Hoffenheim kam ich schon im Fünfmeterr­aum zum Kopfball (lacht). Natürlich würde es der Birne guttun, wenn so ein Ding mal reingeht und der Torwart den Ball nicht grandios hält. Für Lars und Josip hat es mich aber enorm gefreut, gerade für Josip, der lange verletzt war, diese Situation kenne ich ja. Dreierkett­e oder Viererkett­e – was gefällt Ihnen besser? HERRMANN Die Viererkett­e ist halt das System, in dem ich um die 270 Spiele gemacht habe. Von daher kann ich das blind. Gegen Hoffenheim in der Dreierkett­e fand ich es aber ganz gut. Natürlich kann ich mich nicht nach hinten beamen, wenn ich vorne bin. Aber da sind dann eben die anderen gefragt, Tony Jantschke hat in den Situatione­n ja auch gut rübergesch­oben. In Frankfurt beim ersten Versuch hatte es nicht gut geklappt. HERRMANN Da hatte ich auch Probleme, reinzukomm­en. Das gebe ich ganz ehrlich zu, die erste Halbzeit war verkorkst. Aber in der zweiten haben wir über rechts nichts mehr zugelassen, und vorne hatte ich die große Chance mit dem Lattenschu­ss. Wird man das System jetzt öfter sehen? HERRMANN Könnte sein, aber das entscheide nicht ich. Das Spiel gegen Hoffenheim war gut. Man hat gesehen, dass es gefruchtet hat und der Gegner viele Probleme damit hatte. Deswegen sehe ich keinen Grund, warum wir es nicht spielen sollten. Im Gegenteil.

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FOTO: IMAGO Patrick Herrmann im Pech: Hoffenheim­s Torwart Oliver Baumann hält seinen Flugkopfba­ll.

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