Rheinische Post Erkelenz

Während der Zeit des Wilden Westens schossen in den USA viele Städte aus dem Boden, nur um bald wieder zu verschwind­en. Einige aber haben sich als Geisterstä­dte gehalten und locken nun Touristen an. Ein Besuch in Montana.

- VON CHRISTIAN RÖWEKAMP

Zum Showdown kommt es auf der Wiese hinter dem alten Saloon. Vier Kontrahent­en haben sich aufgestell­t, alle sind bereit, ihr Äußerstes zu geben. Angefeuert mit lautem Gebrüll von Eltern und Freunden, legen die Mädchen und Jungen los, gut 50 Meter geht es hin und zurück. Sackhüpfen ist der wohl härteste Wettbewerb beim Garnet Interpreti­ve Day, einer Art Tag der offenen Tür in dieser Geistersta­dt in den Bergen Montanas im Westen der USA.

Einmal im Jahr erwacht das gut eine Autostunde östlich von Missoula gelegene Garnet wieder vollständi­g zum Leben: Eine Band spielt auf, Besucher können Gold schürfen und sich zeigen lassen, wie einst Wolle gesponnen und Teppiche gewebt wurden. Einige Frauen tragen schwere, bodenlange Kleider mit Petticoats. Was um das Jahr 1900 herum Alltag war, kommt für ein paar Stunden als Familienfe­st zurück. Schon am Tag darauf sind Garnets Häuser wieder weitgehend verwaist.

Garnet wird als „Montanas besterhalt­ene Geistersta­dt“vermarktet. Was diesen Superlativ begründet, ist schwer zu sagen, denn es gibt in dem Bundesstaa­t noch andere, ebenfalls gut erhaltene Überbleibs­el der Jahre von etwa 1860 bis 1920. Zum Beispiel Virginia City, das mit seinen Holzhäuser­n und Postkutsch­entouren viele Reisende anzieht.

Dort allerdings leben noch einige Menschen dauerhaft, was bei anderen Geisterstä­dten in Montana nicht der Fall ist. Drei dieser wirklich von allen Seelen verlassene­n Orte liegen im Süd- westen und Westen des RockyMount­ain-Staates: Bannack ist wie Garnet ein schön gepflegtes Museum, in Granite lässt sich der Verfall besonders gut unter die Lupe nehmen.

Nahe Garnet war bereits in den 1860er Jahren Gold gefunden worden, seine größte Zeit erlebte das Städtchen von 1895 bis 1917. Eine Wildwestst­adt voller Revolverhe­lden, Bordelle und Spielhalle­n war Garnet aber nicht. Stattdesse­n prägten Familien das Ortsbild. Viele der Holzhäuser von da- mals stehen noch immer, wie Kelley’s Saloon und auch das einstmals luxuriöse „J.K. Wells Hotel“von 1897. Garnets Glück war nur von kurzer Dauer. Das Gold wurde schwerer zu finden, 1912 zerstörte ein Feuer einen Teil des Ortes. In den 1930er Jahren erlebte Garnet ein kurzes Comeback, als der Goldpreis stieg. Doch spätestens 1947 war der Ort tot.

Granite ist eine Geistersta­dt rund 50 Meilen südlich von Garnet. Der Weg ist nicht gut ausgeschil­dert. Am Ende der Straße steht man plötzlich an einem Ort voller Geschichte und schaut bald auf die Ruinen eines alten Gewerkscha­ftsgebäude­s. Die Granite Mountain Mine lief hier von 1875 bis 1893 und dann noch einmal für kur- ze Zeit 1911 und 1912. Geschürft wurde aber nicht Gold, sondern Silber. Der Staat Montana schwärmt noch heute von der einst „reichsten Silbermine der Erde“. Etwa 3000 Arbeiter lebten zeitweise in Granite.

In der Union Hall von 1890, einem früher dreigescho­ssigen Gebäude, gab es eine Bücherei, einen Tanzsaal und Theaterauf­führungen mit bis zu 500 Zuschauern. Restaurant­s säumten die Straßen. Der Ort hatte einen Zeitungsve­rlag, eine Chinatown und einen Rotlichtbe­zirk. Wenig davon ist noch übrig. Denn mit dem Ende des Silberboom­s ab 1893 kam auch das Ende von Granite – und schon nach kurzer Zeit begann die Natur, sich den Ort zurückzuer­obern.

Bannack liegt zweieinhal­b Autostunde­n weiter südlich, und hier reicht die geteerte Straße sogar fast bis ans Museumsdor­f heran. Der Ort war 1864/65 für kurze Zeit Montanas erste Hauptstadt und blieb danach als Bergarbeit­ersiedlung bestehen. Auch hier wurde Gold gesucht, auch hier mit nachlassen­dem Erfolg. Die letzten Bewohner zogen erst um 1980 weg, hatten ihre Hütten zuletzt aber nur noch als Sommerhäus­er genutzt. Der State Park zieht etwa 36.000 Besucher jährlich an.

An der Main Street steht ein 1875 als Gerichtsha­us aus Ziegelstei­nen errichtete­s Gebäude, das später zum Hotel umgebaut wurde und noch bis 1940 als solches betrieben wurde. Der Putz bröckelt, verrostete Nägel ragen aus der Holzdecke heraus, aber man kann gefahrlos in den ersten Stock steigen und sich in den früheren Gästezimme­rn umschauen. Es waren harte Zeiten damals – und auch in Bannack werden sie jedes Jahr wiederbele­bt: bei den Bannack Days am dritten Juli-Wochenende. Dann weht durch die Geistersta­dt von heute wieder der Geist von einst.

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FOTO: CHRISTIAN RÖWEKAMP Der einstige Goldgräber­ort liegt als Geistersta­dt östlich von Missoula in den Bergen des US-Bundesstaa­tes Montana.
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