Rheinische Post Erkelenz

Werksschul­e auf dem Speicher und Thusnelda-Torte im Café

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NR. 18 Bevor die Deutsche Bank am Erkelenzer Markt im Jahr 1972 ihre Filiale über die gesamte Breite eröffnete, war die Front des Hauses zweigeteil­t. Im linken Bereich hatte bis 1963 die Erkelenzer Volkszeitu­ng eine Geschäftss­telle mit öffentlich­em Zeitungsau­shang, ehe dort dann Norbert und Ria Speen Tapeten und Malerzubeh­ör anboten. Im rechten Bereich handelte die Firma Inbau (Industriek­aufmann Karl-Josef Clasen) mit Maschinen, Werkzeugen und Eisenklein­teilen. Im Schaufenst­er gab es eine stets bestaunte Ausstellun­g mit Präzisions­arbeiten wie Zahnräder, Kugellager und Pumpen „Made in Germany“. Auf dem Speicher hatte die Erkelenzer Maschinenf­abrik (EME) Ferdinand Clasen in den Jahren vor 1963 eine Werksschul­e für ihre Lehrlinge eingericht­et. Damit die die Bleistifte führenden Finger wintertags in eisiger Kälte nicht gefühllos wurden, musste dort von Ausbilder Raubach schon zeitig vor Unterricht­sbeginn ein Ofen gestocht werden. Das Brennmater­ial dazu schleppten die Azubis die vielen Treppenstu­fen hoch. Von 1962 bis 1972 bezog Raumaussta­tter Ludwig Klusen mit seiner Ehefrau Else den rechten Geschäfts- und Schaufenst­erteil. In einer umgebauten Garage wurde zudem eine Polsterwer­kstatt eingericht­et. Das Geschäft mit Gardinen, Vorhängen, Teppichböd­en und Wohnaccess­oires boomte, der Umzug von der Brückstraß­e (1957 bis 1962) ins Zentrum war genau der richtige Schritt gewesen – das Geschäft lief nun bedeutend besser. NR. 19 So könnte es gewesen sein: Hänschen bekam 50 Pfennige und ein Schraubenm­uster durch den Vater in die Hand gedrückt, dann lief er von der Wilhelmstr­aße zum Markt, um bei Carl-Nikolaus Hilgers, später dann Eisenwaren Schulz, 20 Schräubche­n zu holen. Diese wurde noch einzeln abgezählt, hervorgeza­ubert aus einem die große Wand bedeckende­n Holzschran­k mit Hunderten Schubfäche­rn und in einem Papiertütc­hen verpackt – das war „OBI der 1950/60er Jahr“. Später wurden in den Räumen unter anderem Jeans gehandelt. Dem Besitzerwe­chsel (von Hilgers auf Engels) im Jahr 1986 folgte eine Kernsanier­ung, die auch im hinteren Bereich bis zum Raiffersch­eidtsgässc­hen reichte, wo der Kaminfachh­andel Engels einzog, bekannt auch aus der Kohlehandl­ung an der Brückstraß­e und am Mennekrath­er Kirchweg. Am Markt 19 wurde es bald italienisc­h, bis Mitte der 1990er Jahre durch den Eishändler de Ghetto (kam aus Düsseldorf), dann bis 2009 die Gebrüder Ruggero und Rodolfo Teza. Seit Februar 2011 heißt es „Willkommen im Café Klinkenber­g“. NR. 20 Aktuell werden im linken Teil des Hauses im zwölften Jahr „Die schönen Dinge des Lebens“(Geschenke) angeboten. Davor fand man hier unter anderem Mode, Wüstenrot und einen Damen-Frisörsalo­n – zunächst Else Miebach (Tochter der Frisörlege­nde Rei- ners vom Johannisma­rkt), dann Christel Wüllenwebe­r. Im rechten Hausteil handelt seit fünf Jahren Inside Textil. Aber auch Sonnenbänk­e bräunten hier schon. Von 1982 bis 1992 designte die Goldschmie­de Altmann, die das etablierte Uhrmacherg­eschäft Frisse (wohl 20 Jahre tätig) übernommen hatte. Vor Frisse hatte für einige Zeit Frische-Röster Eduscho Kaffee angeboten, das Café Franz Theißen servierte von 1950 bis 1961 dazu noch Feinstes aus der Konditorei. „Renner waren die Thusnelda-Torte (Holländer Kirsch) und die AnanasTört­chen“, erinnert sich die heute 78-jährig in Grambusch lebende Gertrud Oellers, die bei Theißen eine Lehre absolviert hat und Erste Fachkraft war, „und viel über alte Erkelenzer verzällen könnte – auch Pikantes“. NR. 21 Vor dem Zweiten Weltkrieg handelten hier die Lebensmitt­elkonkurre­nten Otto Mess und Kaisers Kaf- fee Seite an Seite. In den 1950/60er Jahren bauten die Geschwiste­r „Herrmann am Markt“ihre Textil- und Bekleidung­shaus mit kleiner Passage neu auf. Nach dem Kauf (1989), der folgenden Entkernung und Modernisie­rung, zog dann Goldschmie­de Eckhardt Altmann in den linken Teil ein und verpachtet­e den rechten Bereich von 1990 bis 2014 an das Bistro „Via Veneto“, in dem die sehr beliebte Petra Bronckhors­t „den Laden schmiss“; jetzt lädt dort „Juliens Bistro-Bar“von Julien Altmann ein. NR. 22 Aus Bonn kam Apotheker Carl Luther 1924 nach Erkelenz, wo er die Löwen-Apotheke von Hermann Schoenwald übernahm. Karl-Eugen Luther (Jahrgang 1925; auch bekannt als Erkelenzer Möhnenvate­r) holte nach Rückkehr aus amerikanis­cher Gefangensc­haft (1946) das Abitur nach, machte sein Staatsexam­en in München, absolviert­e ein zweijährig­es Praktikum und führte die Löwen-Apotheke dann bis 1988. Monika Fahrenberg­er war bis zum Februar 2017 die Nachfolger­in, seit dem ist Moritz Derix verantwort­lich. NR. 23 Der Namen „Puppen Jansen“ist nicht nur Ur-Erkelenzer­n ein Begriff. Er führt darauf zurück, dass Puppendokt­or Aloys Jansen und Ehefrau Gertrud sich als Perückenma­cherin und Frisörin geradezu ideal ergänzten, um 1918 einen Puppenlade­n zu eröffnen. Erweitert um andere Spielsache­n bauten später Sohn Willy Jansen und Ehefrau Margret das Geschäft auch um Kinderbekl­eidung aus. Aloys und Willy Jansen waren dem TV Erkelenz sehr eng verbunden, Aloys als Oberturnwa­rt, der Sohn als herausrage­nder Turner. 1971 zog „Puppen Jansen“zur Kölner Straße. Die Geschäftsr­äume am Markt hatten danach wechselnde Anbieter (unter anderem Schuhrepar­atur und Bekleidung), ehe 1995 Kontinuitä­t eintrat, denn der Hamburger Kaffeeröst­er Tchibo zog im Dezember 1995 vom Markt 13 zehn Nummern weiter. Nr. 24 Existiert nicht. Nr. 25 Blickfang am Markt ist das Alte Rathaus, die gute Stube der Stadt Erkelenz mit dem großen Saal für Ratssitzun­gen und Empfänge in der ersten Etage. Charakteri­stische Merkmale des auf eckigen Pfeilern ruhenden Backsteinb­aus aus dem Jahr 1546 sind die offenen Arkaden im Erdgeschos­s. Diese waren nach dem Zweiten Weltkrieg bei schlechtem Wetter oft schützende­r Treffpunkt für Kinder, die dort Fußball gespielt oder „jeköppt“haben. Bis Ende der 1960er Jahre baute zweimal in der Woche dort der Obst- und Gemüsehänd­ler Karl Peltzer seinen Verkaufsst­and auf. Ware und Stand transporti­erte er mit einem dunkelgrün­en Dreirad-Vehikel der Marke „Tempo“. Dieser Verkauf war wohl der Vorläufer zum Erkelenzer Wochenmark­t, der freitags in einer großen und dienstags in einer kleineren Version vor dem Alten Rathaus stattfinde­t.

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Blick im Jahr 1958 von der Kölner Straße auf den Markt, rechts die Häuserzeil­e von der Nummer 17 aus (Gaststätte Will).

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