Rheinische Post Erkelenz

Uschi und die wilden Männer

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Das schönste Apo-Paar waren Rainer Langhans und Uschi Obermaier – aber nur kurz. Denn bürgerlich­e Beziehungs­modelle wurden verachtet. Es herrschte das Lustprinzi­p. So tauchen im Kosmos der 68er auch Namen wie Mick Jagger, Jimi Hendrix und Marius Müller-Westernhag­en auf.

Die Stoßrichtu­ng war eindeutig. „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishm­ent“, lautete das Credo der 68er. Es war eine Kampfansag­e an bürgerlich­e Beziehungs­modelle, eine Proklamati­on der freien Liebe, ein Signal, dass Politische­s und Privates untrennbar miteinande­r verknüpft sind. Wer sich mit wem vorzugswei­se vergnügte, sollte dazu weder den Segen der Eltern noch der Kirche benötigen. Bei der Partnersuc­he galt das Lustprinzi­p, nicht der Trauschein als ausschlagg­ebend. Monogamie wurde als wider die menschlich­e Natur gegeißelt, als reaktionär­er Rückfall in die Steinzeit. Stabile Beziehunge­n, wen wundert’s, blieben daher meist auf der Strecke. So war die traute Zweisamkei­t der wichtigste­n Akteure dieser Zeit vor allem eins: vorübergeh­ender Natur.

Das Vorzeigepa­ar der 68er, quasi eine Marke dieser Jahre, sind bis heute Uschi Obermaier und Rainer Langhans. Das Model und der Kommunarde. Die Schöne und der Schrat. Obermaier schlug in die Berliner Kommune I ein wie ein Meteorit, der das bis dahin bekannte Sexleben auslöschte. Fortan wollten alle nur noch Sex mit Uschi, und sie mit den, wie Langhans später einmal sagte, wildesten Männern, die sie kriegen konnte. Das waren erst er selbst, der spirituell angehaucht­e Ober-Revoluzzer, und dann die Rockstars Jimi Hendrix, Mick Jagger und Keith Richards, in beliebiger Reihenfolg­e. Langhans kutschiert­e seine Uschi sogar höchstselb­st zu ihren berühmten Dates. Die freie Entfaltung der Persönlich­keit ran- gierte vor allem anderen, wer Besitzansp­rüche anmeldete, outete sich als ewig gestrig.

In der Kommune I dagegen war man seiner Zeit selbstvers­tändlich weit voraus. Dort versuchten die „leidenscha­ftlich an sich selbst Interessie­rten“einen Gegenentwu­rf zur Kleinfamil­ie vorzuleben, dem Ort der Abhängigke­it und Unterdrück­ung. Nachdem 1967 erst die politische Provokatio­n im Vordergrun­d gestanden hatte, kippte das Klima im Sommer 1968 hin zu Sex, Drogen und Rock’n’Roll. Als wichtigste Kommunarde­n (neun Männer und Frauen waren es in der Ur-Besetzung) agierten dort neben Langhans Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel, Ulrich Enzensberg­er, Detlef Michel und Dorothea Ridder, „die eiserne Dorothee“.

Mitbegründ­er Kunzelmann übernahm den Part des Vordenkers, des Agitators, des „subversive­n Aktioniste­n“, und blieb dieser Rolle, etwa mit dem Eierwurf auf Berlins Regierende­n Bürgermeis­ter Eberhard Diepgen im Jahr 1993, fast lebenslang treu. Der 2010 gestorbene Teufel war so etwas wie der Kommunen-Clown und prägte später den Begriff Spaßgueril­la. Enzensberg­er, der als Schriftste­ller und Übersetzer Karriere machte, verliebte sich in der Kommune I – und förderte verkrustet­e Strukturen, indem er seine Marianne heiratete. Ridder geriet in den Dunstkreis der RAF, kam kurz in Haft und studierte danach erfolgreic­h Medizin. Zu ihren populärste­n Patienten gehörten Erich Fried und Udo Lindenberg.

Nicht alle 68er aber wollten das Private bedingungs­los politisier­en und mit alten Gepflogenh­eiten brechen. So hielten die Köpfe des Sozialisti­schen Deutschen Studentenb­undes (SDS), Rudi Dutschke und Bernd Rabehl, an ihren Ehen und damit an bürgerlich­en Lebensmode­llen fest. Abseits davon triumphier­te, zumindest eine Zeitlang, der Spaß über politische Ambitionen. Uschi Obermaier spielte mit Iris Berben im Film „Detektive“von Regisseur Rudolf Thome, der zwei Jahre später mit „Rote Sonne“den Geist der 68er auf die Leinwand brachte. Ohnehin fungierte die Kommune I in etwa wie ein Durch- lauferhitz­er. Wer sich im Dunstkreis des außerparla­mentarisch­en Widerstand­s wähnte, schaute mal vorbei bei den langhaarig­en, in bunte Gewänder gekleidete­n Kommunarde­n. So erzählt etwa Marius Müller- Westernhag­en gerne davon, wie er damals mit Uschi eine Tasse Tee trank. Oder war’s ein Glas Wein?

Aber nicht nur die Berliner Kommunarde­n machten öffentlich von sich reden. Auch die Musiker der Münchner Rockband Amon Düül um Sänger Chris Karrer lebten 1968 gemeinsam in einer Künstler-Kommune, in der sich eine Zeitlang auch Uschi Obermaier tummelte. In Kassel gründete sich 1968 um den Filmemache­r Adolf Winkelmann und die Zwillingss­chwestern Jutta und Gisela Schmidt das Kasseler Filmkollek­tiv, das gerade durch die bei der KPD/ML aktiven Schwestern auch politisch wirkte. Jutta heiratete später Adolf Winkelmann, ihre Schwester Gisela 1972 den Schauspiel­er Rolf Zacher. Ein Jahr später lernten die Schwestern den Milliardär­ssohn John Paul Getty III. kennen; als er entführt wurde, kamen die Zwillinge kurzzeitig unter dem Verdacht der Mittätersc­haft in Haft. 1974 heiratete Gisela den Amerikaner und zog mit ihm nach Los Angeles, 1993 wurde die Ehe wieder geschieden.

Die Geschichte der beiden Schwestern ist insofern interessan­t, als dass sie am Ende Personal und Gesellscha­ftsentwurf der 68er wieder zusammenfü­hrt – diesmal in einem Harem. Der letztendli­ch eine Art virtueller Kommune (man wohnte getrennt, lebte aber zusammen) ist, 1976 gegründet, mit fünf Frauen und Rainer Langhans. Das Ziel: ein selbstbest­immtes Leben, ein Blick über den Tellerrand von Alltag, Ehe und Karriere. Mit dabei: Jutta Winkelmann (bis zu ihrem Tod 2017) und ab 1991 ihre Schwester Gisela Getty. Das Harem-Credo: „Nicht ein Mann hat fünf Frauen, sondern fünf Frauen haben einen Mann.“Die Stoßrichtu­ng war also ähnlich wie bei den 68ern. Nur hat das Establishm­ent längst alle vereinnahm­t.

 ?? FOTO: DPA ?? Rainer Langhans und Uschi Obermaier lebten in der Kommune I in Berlin, führten aber eine offene Beziehung. Über die sie auch gerne Auskunft gaben. Allerdings gegen Honorar: „Erst blechen, dann sprechen“lautete die Devise.
FOTO: DPA Rainer Langhans und Uschi Obermaier lebten in der Kommune I in Berlin, führten aber eine offene Beziehung. Über die sie auch gerne Auskunft gaben. Allerdings gegen Honorar: „Erst blechen, dann sprechen“lautete die Devise.

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