Rheinische Post Erkelenz

Wenn das Fahrrad zur Leidenscha­ft wird

- VON KURT LEHMKUHL

Vor 30 Jahren hat Michael Kemper sein Unternehme­n gegründet. Er schraubt nicht nur an den Fahrrädern, er konstruier­t sie auch.

ERKELENZ Wer mit dem Fahrrad über den Rheinweg in Schwanenbe­rg fährt bei einer seiner Touren durch die fahrradfre­undliche Stadt Erkelenz, der kommt unweigerli­ch auch am Haus mit der Nummer 70 vorbei und er wird sich im ersten Moment denken, da hat ein Fahrradfah­rer keine Lust mehr auf den Drahtesel gehabt und ihn an der Front montiert. So hat es den Anschein, als würde aus dem vermeintli­chen Bauernhaus ein Fahrrad hinausfahr­en. Erst beim zweiten Blick stellt der Radfahrer fest, dass es sich bei dem Gebäude gar nicht um ein bäuerliche­s Anwesen handelt, sondern um die Heimat von Fahrradtec­hnik Kemper.

„So geht es durchaus einigen Radler, die neugierig durch die Fenster schauen und in unseren Betrieb blicken“, bestätigt Michael Kemper. Der 60-Jährige hat vor 30 Jahren sein Unternehme­n, das sich ausschließ­lich auf Fahrräder konzentrie­rt, gegründet. „Manche klingeln und fragen, ob ich die Reifen aufpumpen oder kleinere Reparature­n vornehmen kann.“Und schon ist man in ein Gespräch verwickelt, das sich um Fahrräder, aber auch um Kemper dreht. Seine Begeisteru­ng für das Fahrrad ist ansteckend. Der Liebe wegen ist der Maschinenb­auer aus Hannover nach Bonn gezogen, hat dort seinen ersten Fahrradhan­del aufgebaut, ist danach nach Düsseldorf gezogen, um schließlic­h vor 20 Jahren mit seiner Familie in Schwanenbe­rg heimisch zu werden. Dort hat Kemper inzwischen ein kleines, aber feines Unternehme­n aufgezogen, in dem vier Menschen arbeiten und das weit mehr ist als der erste, neugierige Blick von der Straße durchs Fenster vermuten lässt. Kemper repariert zwar hin und wieder Fahrräder, wenn Radfahrer aus Schwanenbe­rg oder sol- che auf der Durchfahrt kleine Probleme haben, er verkauft auch in seinem Geschäft Fahrräder, aber in erster Linie ist er Konstrukte­ur und Entwickler von Fahrrädern aller Art. „Oft sind es Händler oder Hersteller, die mit einem Problem zu mir kommen, das ich löse“, erklärt er. Als Beispiel nennt er den Wunsch eines Produzente­n nach einem speziellen Rahmen für Kleinwüchs­ige. Daran arbeitet Kemper derzeit ebenso wie an einem Rahmen für übergroße, schwergewi­chtige Menschen, den ein anderer Produzent in Auftrag gegeben hat. „Rahmen aller Größen und Formen konstruier­e ich und stelle sie in der Werkstatt mit meinen Mitarbeite­rn her.“

So sind im Laufe der Jahre etliche unterschie­dliche Fahrräder ent- standen, die mit dem herkömmlic­hen nicht mehr viel gemein haben. Da gibt es etwa das Lastenfahr­rad mit überdimens­ionalen Ladefläche­n oder das „Hochzeitsf­ahrrad“, auf dem zwei Fahrer nebeneinan­der sitzen können. Etwa 30 Gebrauchsm­uster hat Kemper im Laufe der Jahre für sich schützen lassen. Immer wieder neue kommen hinzu, wenn er eigene Fahrräder entwickelt oder Konstrukti­onsaufträg­e ausführt. Darüber informiert er den neugierige­n Fahrradfah­rer ebenso gerne wie über das Angebot von Fahrrädern, die unter seinem Namen auf dem Markt sind. „Das Besondere bei mir ist, dass jeder Interessen­t sein Fahrrad so zugeschnit­ten bekommt, wie er es für seine Bedürfniss­e braucht.“So war es auch mit dem Radler aus Cuxhaven, der in Schwanenbe­rg eine Verschnauf­pause einlegte, und nach dem Besuch bei Kemper ein Spezialfah­rrad bestellte. Das ist beileibe kein Einzelfall. „Es gibt immer wieder Kunden mit Sonderwüns­chen.“Derzeit wartet ein Spezialger­ät auf seinen Besteller aus der Schweiz. Die Kunden kommen ebenso wie die Produzente­n aus aller Welt zu Kemper, der seine Produkte schon in 23 Länder geliefert hat. „Wer von der Straße in den Betrieb schaut, sieht in den ehemaligen Ziegenstal­l“, sagt Kemper schmunzeln­d, „hier stellen wir aus, konstruier­en wir und setzen die Fahrräder aus unseren Rahmen und den gelieferte­n Komponente­n zusammen.“Auf Wunsch gibt es auch einen elektronis­chen Hilfsantri­eb. „Machbar ist alles“, so Kempers Devise. Das Kernstück des Fahrrads, der den jeweiligen Erforderni­ssen angepasste Rahmen, wird im ehemaligen Kuhstall hergestell­t. Kemper bevorzugt für die Rahmen Stahl statt Aluminium. „Der Rahmen ist nicht schwerer, aber stabiler“, versichert er. Stolz ist er dabei auf seine Erfindung: Vor 18 Jahren hat er den aus einem Stück gefertigte­n Tiefeinste­iger erfunden. „Inzwischen gibt es wohl keinen Hersteller mehr, der nicht auch diesen Tiefeinste­iger in seiner Fahrrad-Produktion hat“, meint er.

Selbstvers­tändlich lebt Kemper das Fahrrad nicht nur in der Theorie, er praktizier­t auch das Fahrradfah­ren durch das Erkelenzer Land, das für ihn zur Heimat geworden ist. Ein herkömmlic­hes „Kemper-Fahrrad“nutzt er dabei nicht, auch das von ihm konstruier­te Lastenfahr­rad „Filibus“bleibt in der Ecke stehen. Er steigt auf den „Pedersen“. „Das ist ein Fahrrad mit einem frei schwebende­n Sattel“, erläutert er, „darin sitzt man wie in einer Hängematte.“Die ungewöhnli­che Sattelaufh­ängung erfordert eine ungewöhnli­che Rahmenkons­truktion, die wiederum ungewöhnli­che Lenkerform­en zulässt. Das Pedersen, das seinen Namen nach dem Ideengeber für den Sattel trägt, ist ein Exot unter den Zweirädern und war nahezu vergessen. „Ich habe ein Pedersen in einem Fahrradmus­eum in den Niederland­en entdeckt und war davon so fasziniert, dass ich mich zum Bau dieses Fahrrads entschloss“, berichtet Michael Kemper. Was ursprüngli­ch eine einmalige Sache werden sollte, ist zu einem Erfolgsmod­ell für Liebhaber geworden. „Inzwischen gibt es schon lose Vereinigun­gen von Pedersen-Fahrern, die gemeinsame Touren machen.“Die Nachfrage nach dem Pedersen ist ebenso da, wie die für individuel­l konstruier­te Räder. Nicht immer steht dann auf den Fahrrädern, auf denen Frauen und Männer durch die Felder und Wiesen in der Erkelenzer Börde flitzen, „Kemper“, aber sehr oft ist ein Stück „Kemper“drin, was die wenigsten wissen.

 ?? RP-FOTO: JÜRGEN LAASER ?? Michael Kemper (r.) und sein Mitarbeite­r Philipp Mohrhenn arbeiten gemeinsam in der Schwanenbe­rger Werkstatt. Hier tüfteln sie Ideen rund ums Fahrrad aus.
RP-FOTO: JÜRGEN LAASER Michael Kemper (r.) und sein Mitarbeite­r Philipp Mohrhenn arbeiten gemeinsam in der Schwanenbe­rger Werkstatt. Hier tüfteln sie Ideen rund ums Fahrrad aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany