Rheinische Post Erkelenz

Schlussver­kauf in Dinslaken

- VON HENNING RASCHE

Ein Einkaufsze­ntrum sollte Dinslakens Innenstadt beleben. Doch mehr als vier Jahre nach der Eröffnung kämpfen sie in der Mall und in den Straßen gegen den Leerstand. Die Geschichte einer Stadt von vielen.

DINSLAKEN Früher, sagen die Leute, war alles besser. Aber das stimmt nicht. Früher, das ist nämlich auch April 2012. Vor sechs Jahren waren sie in Dinslaken damit beschäftig­t, ein Mahnmal deutschen Konsums abzureißen, das Hertie-Kaufhaus. 44 Jahre lang gingen die Menschen dort ihre neuen Handmixer kaufen und trafen sich über Feinripp-Unterwäsch­e zu dem, was man jetzt Smalltalk nennt. Dann hatte das Kaufhaus seine Zukunft hinter sich, Hertie ging in die Insolvenz, und in Dinslaken stand, mitten im Herzen, plötzlich eine Ruine. Das war auch nicht besser als heute.

Dies ist die Geschichte einer Einkaufsst­adt, die sich derzeit so oder so ähnlich in vielen anderen Städten der Republik ereignet. Sie spielt in Dinslaken mit knapp 70.900 Einwohnern, die je nach Laune lieber dem Niederrhei­n oder dem Ruhrgebiet angehören wollen. Sie erzählt von Umbrüchen, Chancen und vom Scheitern. Dies ist die Geschichte einer Stadt, die mit einem Einkaufsze­ntrum ihre Innenstadt retten will.

Es ist nun viereinhal­b Jahre her, dass die Mall in Dinslaken eröffnet hat. „Neutor Galerie“heißt sie und verfügt über 22.000 Quadratmet­er, 520 Parkplätze zu je einem Euro die Stunde, Babylounge, Rollstuhl- und Kinderwage­nverleih sowie kostenfrei­es Internet. 50 Einzelhänd­ler und elf Gastronome­n bieten Hosen, Sahnequark, Halsketten, Lampions und Hamburger an. Fast wie bei Hertie. Die „Galerie“ist kein architekto­nischer Fremdkörpe­r wie in anderen Städten. Man muss sie zwar nicht fesch finden, aber sie passt gut in die Umgebung.

Svenja Krämer empfängt in ihrem Büro im Rathaus. Sie hat gute Unterhaltu­ng, vor der Tür feiern Abiturient­en das Ende ihrer Schulzeit. Krämer leitet seit fünf Jahren die Wirtschaft­sförderung Dinslakens und erlebt den Umbruch mit. Wenn man sie fragt, was die Mall mit der Innenstadt gemacht hat, sagt sie: „Eigentlich ist das passiert, was wir erwartet haben.“Ein paar Geschäfte seien aus der Einkaufszo­ne, die sich vom Altmarkt über Duisburger Straße und Neustraße zur Mall zieht, in die Galerie abgewander­t. Ein paar Firmen hätten in der Galerie eine zweite Filiale aufgemacht – und die erste dann zu. Svenja Krämer sagt: „Das Center wird sich positiv auf die Innenstadt auswirken. Es ist eine sehr gute Ergänzung.“

An einem Donnerstag im beginnende­n Frühling, der Himmel hängt voller Wolken, schlendern einige Dinslakene­r durch die Galerie. Man könnte sagen, es ist recht leer, und es wäre richtig. Bei weiteren Besuchen ergibt sich ein ähnliches Bild. Dinslaken ist eben bloß 15 Automi- nuten vom Oberhausen­er Centro entfernt und nicht viel mehr von Duisburg, Mülheim oder Essen. Julian Koch, der für die Firma IPH die „Neutor Galerie“vermarktet, sagt über die Besucher: „Als Center Manager ist man nie zu 100 Prozent zufriedenz­ustellen.“Die Entwicklun­g der Frequenzen und Umsätze sei dennoch „ausnahmslo­s positiv“.

Wer mit der Rolltreppe in die obere Etage der Mall fährt, sieht etwas anderes. Hier kann man preiswerte Dekoartike­l kaufen, sich die Nägel oder die Haare machen lassen, Döner oder Currywurst essen und Wein trinken. An diesem Donnerstag tut das kaum jemand. Ein junger Mann sitzt in einem Massageses­sel, ohne sich massieren zu lassen. In einem zum Kinderkino umfunktion­ierten Ladenlokal läuft ein Animations­film, zwei Mädchen schauen zu. Und in zwei leeren Geschäften stellen Maler und Hobbykunst­handwerker Werke vor. Kunst statt Leerraum.

Fünf Prozent der Geschäfte in der „Galerie“stehen leer. Mit der Ausstellun­g soll „durch zusätzlich­e Attraktivi­tät ein Mehrwert“geschaffen werden, sagt Manager Koch. Christa Reicher sieht das anders. Sie ist Professori­n für Städtebau und Bauleitpla­nung an der TU Dortmund und beschäftig­t sich intensiv mit Einkaufsze­ntren. Sie sagt: „Das sind Tropfen auf den heißen Stein.“Die Kunstausst­ellungen könnten für einen gewissen Zeitraum eine „desolate Situation“aufwerten, aber sie taugten nur bedingt als langfristi­g tragfähige Strategie. Reicher sagt: „Das ist der Beweis, dass das Rechenmode­ll nicht aufgeht.“

Die Einkaufszo­ne ist schon einen Schritt weiter. Zwar stehen in den Straßen Ladenlokal­e leer, aber statt Kunst ziehen vor allem Geschäfte aus dem Niedrigpre­issegment ein. Man könnte sagen: Ramsch. „Lecker Lecker“verkauft reduziert Chips und Süßigkeite­n, die vor dem Verfallsda­tum stehen. Schuhe gibt es weiter rechts aus weißen Kartons ohne Firmenlogo, Shirts mit Silberstei­nchen und ohne Ärmel weiter links. Die Mietpreise sind in den vergangene­n Jahren stark gesunken. Der Quadratmet­er eines kleinen Ladenlokal­s in 1a-Lage kostet etwa 23,50 Euro. Es gibt Mietverträ­ge in dieser Lage, da liegt der Preis bei 60 Euro. Sie laufen bald aus.

Vermieter nehmen daher lieber Läden aus dem Niedrigpre­isbereich als gar keine. Svenja Krämer sagt: „Schwierig wird es, wenn es kippt. Wenn der Branchenmi­x nicht mehr stimmt.“Sie versuche, diesem Trend entgegenzu­wirken, aber es gebe wirtschaft­liche Zwänge.

Kippt Dinslaken? Die Innenstädt­e von Oberhausen oder Gelsenkirc­hen könnten eine Vorahnung liefern. Dort geben Billigbäck­ereien, Handyshops und Ein-Euro-Läden den Ton an. Die gibt es zwar auch in Dinslaken, aber eben nicht nur. Gerade ist es der Stadt gelungen, Nachfolger für einen Spielzeugl­aden und ein Textilgesc­häft zu finden. Das Lokal, wo der Metzger früher mittags an einer der belebteste­n Stellen der Stadt Erbsensupp­e und Bratwürstc­hen verkauft hat, liegt wiederum seit anderthalb Jahren brach.

Der Einzelhand­el steht unter Druck. Die Menschen kaufen so viel wie noch nie im Internet, zum günstigste­n Preis mit kostenlose­r Lieferung am nächsten Tag. Das trifft die Einkaufsze­ntren, das trifft die Innenstädt­e. „Man kann die Kaufkraft nicht multiplizi­eren“, sagt Stadtfor- scherin Christa Reicher. In Dinslaken ist nicht nur das Internet eine übermächti­ge Konkurrenz, sondern die ganze Region.

In einer Zeit, in der fast jede Stadt einen H&M hat, müssen sie mehr bieten. „Der Einzelhand­el muss sich der Revolution, die durch die Digitalisi­erung ausgelöst wird, endlich stellen“, sagt Christa Reicher. Neueste Malls zeigten, dass sie nur funktionie­ren, wenn sie hervorrage­nd mit dem öffentlich­en Raum verbunden sind und als Impuls für ihr Umfeld fungierten. Amazon mag günstig sein, ein Treffpunkt ist es nicht.

Und trotzdem glaubt die Stadtforsc­herin nicht, dass Shoppingma­lls noch lange eine Rolle spielen. Reicher sagt: „Die Zukunft der Einkaufsze­ntren ist vorbei.“Dass sie ihren Zenit überschrit­ten hätten, kündige sich in den USA an. „Das wird sich schneller in Europa äußern, als wir derzeit annehmen.“

In Dinslaken gab es damals einen Bürgerents­cheid über das Einkaufsze­ntrum, aber kaum jemand machte mit. Die Politik entschied sich dafür, die Hertie-Ruine mahnte zur Erneuerung. Dinslaken ging den Weg vieler anderer Städte am Niederrhei­n und im Rheinland. Nun sind die Malls da und werden noch etwas bleiben. Ob das gut ist? Svenja Krämer stellt eine andere Frage: „Was wäre aus Dinslaken geworden ohne Einkaufsze­ntrum?“

 ?? FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN ?? Die „Neutor Galerie“in Dinslaken: 22.000 Quadratmet­er, 520 Parkplätze, 50 Einzelhänd­ler und elf Gastronome­n.
FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Die „Neutor Galerie“in Dinslaken: 22.000 Quadratmet­er, 520 Parkplätze, 50 Einzelhänd­ler und elf Gastronome­n.

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