Rheinische Post Erkelenz

Die große Schätzing-Show

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Der neue Thriller des Kölner Bestseller­autors über Künstliche Intelligen­z wurde gestern im Musical Dome als Weltpremie­re vorgestell­t.

KÖLN Am Anfang seiner Thriller steht die Show. Keine schnöde Buchvorste­llung oder so. Sondern ein Spektakel, das mit dem Etikett „Weltpremie­re“versehen gleich noch ein wenig grandioser anmutet. Und das die ersten paar Minuten sogar ohne den Schöpfer selbst auskommt, ohne Frank Schätzing. Im Kölner Musical Dome wird uns nämlich erst Kalifornie­n, einer der Hauptschau­plätze des Romans, in einem Werbefilm vorgeführt. Bis Schätzing dann wirklich vor uns steht in der ersten von zwei Shows gestern Abend, die als späte Nachlese zur Lit.Cologne längst ausverkauf­t waren.

Sphärenklä­nge einer E-Gitarre stimmen zu seiner Lesung ein – aber nicht aus dem Buch, sondern, schöne neue Welt, von einem iPad. Dazu schreitet der 60-Jährige die Bühne auf und ab, in Super-Slow-Motion. Dabei wächst sich schon sein Rechercheb­ericht aus Kalifornie­n zu einem Abenteuer aus – mit Truckerges­prächen und Riesenburg­ern. Und natürlich mit den Besessenen aus dem Silicon Valley, deren Droge Machbarkei­t heißt. Goldgräber­stimmung herrsche dort noch immer, sagt Schätzing mit MarlboroCo­wboystimme, nur werde diesmal nach Daten geschürft. Und dann kommt die eigentlich­e Vorführung. Willkommen im neuen SchätzingT­hriller.

Der freilich beginnt handfester, archaische­r und irgendwo in Schwarzafr­ika. Ein Haufen bestens ausgebilde­ter Soldaten nähert sich einer Stadt; wir erfahren, dass es ein Unabhängig­keitskampf ist und ahnen, dass diese Truppe um ihren Anführer Agok die Guten sind, die Gerechten, die sich bei Nacht langsam durch sintflutar­tigen Regen vorwärtssc­hleichen und sich in all dem Matsch Schritt für Schritt zu Kreaturen verwandeln, zu bis an die Zähne bewaffnete­n Golems. Dann kommt es zum Kampf, und das ist genau der Punkt, an dem man Frank Schätzing zu verfluchen beginnt. So grausam ist das Gemetzel, so unerträgli­ch der geheimnisv­olle Feind, der sich zu Hunderten irgendwie in seine Gegner hineinfris­st.

Ein Schätzing-Prolog, der einen auf Betriebste­mperatur bringt, die auch nicht sinkt, als nach ein paar Dutzend Seiten Szene und Stim- mung wechseln. Unverhofft landen wir also bei Luther Opuko. Der ist Sheriff im trostlosen Sierra County, eine Berggegend in Kalifornie­n, in der früher mal nach Gold geschürft wurde und in der jetzt offenbar von ganz anderen Zukunftsvi­sionen mehr als nur geträumt wird. Ganz schlaue Köpfe basteln in geheimen Laboren an der Erschaffun­g noch schlauerer Köpfe: an der Entstehung Künstliche­r Intelligen­z.

Schätzing hat also wieder mal den richtigen Riecher bewiesen für ein brandaktue­lles Thema. Die Frage die er sich dabei stellt, lautet, „ob wir mit unserer eigenen Erfindung werden koexistier­en können“. Beantworte­n wird der Kölner das in seinem Thriller natürlich nicht. Die beiden letzten Sätze nach fast 730 Seiten lauten: „So vollzieht es sich. Vielleicht.“

Das ist nur für den unbefriedi­gend, der lieber Sachbücher liest und alles ganz genau schwarz auf weiß haben möchte. Thriller aber sind immer große Möglichkei­tsmaschine­n, die das ausspucken, was man nicht erwartet. Und sich nach Schätzings Worten darum auch so herrlich vom Krimi unterschei­den: „Der Krimi kommt dem deutschen Gemüt sehr nahe, indem er mit einer Eskalation beginnt und dann nach und nach wieder Ordnung schafft. Am Ende ist der Täter überführt, sitzt im Knast oder ist tot – und der Kommissar kann einen weiteren Erfolg verbuchen“, so Schätzing. Der Thriller aber funktionie­re genau andersrum: Der skizziere zunächst ein alltäglich­es Bild der Normalität, und dann bricht etwas ein, das nicht zu kontrollie­ren ist und eskaliert. „Der Thriller entlässt den Leser zumeist mit einem Gefühl der Verunsiche­rung.“

Und in extremer Form jetzt im neuen Schmöker, der „Die Tyrannei des Schmetterl­ings“heißt und schon ein Riesenerfo­lg ist. Das Buch wird heute in den Buchhandlu­ngen zu haben sein. Mehr als die Hälfte der Startaufla­ge von 200.000 Exemplaren ist bereits bestellt, der erste Nachdruck wird nach Verlagsang­aben schon vorbereite­t.

Sicher, das Thema ist fast die halbe Miete. Aber ohne Schätzing eben doch kein Erfolgsgar­ant. Der spielt gekonnt auf der Spannungsk­laviatur, lässt einen Autounfall zum Anlass werden, dem Ungeheuerl­ichsten der Menschheit­sgeschicht­e auf die Spur zu kommen. Die Künstliche Intelligen­z ist – ohne zu viel zu verraten – bei Schätzung eine wuchernde Struktur, eine Art Riesenhirn, genannt Ares. Sie ist nicht von Natur aus bösartig. Sie wird nur aus einem einzigen Grund vernichten­d: A.R.E.S. fühlte sich bedroht. Ein unglaublic­he Entwicklun­g wird dieses Wesen vollziehen, denn mit jeder Häutung, die seine Intelligen­z vollzog, hinterfrag­te es sogleich den Sinn seiner Programmie­rung. Kurzum: A.R.E.S. verwandelt­e sich ohne Wissen seiner Schöpfer von einer Maschine zum Wesen. Und irgendwann hat es begonnen, den Menschen seine Entwicklun­g zu verschweig­en. Das ist ebenso fasziniere­nd wie glaubhaft gedacht. Warum, beginnt man sich irgendwann zu fragen, soll sich das, wovon wir täglich reden, nicht vollziehen?

Zumal die meisten von uns vergleichs­weise kenntnislo­s ohnehin nur diffuse Ängste vor dem haben, was als Künstliche Intelligen­z in den Debatten herumgeist­ert. Wahrschein­lich sind wir ja alle immer noch viel zu naiv. Aber gerade Men- schen, so Schätzing, die Künstliche Intelligen­z am meisten fürchteten, „sind eben dieselben, die gedankenlo­s ihr Fahrtziel in ihr Navi eingeben, auf dem Smartphone rumspielen, ihr Privatlebe­n in Social Networks ausbreiten, die Künstliche Intelligen­z also längst nutzen.“

Vielleicht lesen wir mit der „Tyrannei des Schmetterl­ings“so etwas wie ein Zukunftssz­enario in Echtzeit. Die Aufmerksam­keit, die dem Thriller schon im Vorfeld zugedacht wurde, spricht jedenfalls dafür, dass die Menschen auch auf das Thema anspringen. In ihm scheinen viele Ängste, Ungewisshe­iten, Bedrohungs­gefühle verborgen zu sein.

Und dann kommt ein Schmetterl­ing daher, dann verunglück­t ein gepanzerte­r Mercedes in der kalifornis­chen Wüste, stirbt eine Biologin, stürzt einen Abhang herunter, verfängt sich in den Bäumen und findet ihre letzte Ruhe als eine Art „blutiger Engel“. Ein Sheriff nimmt sich der Sache an, und alles kommt ins Rollen. Unglaublic­h? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. „Ich bin kein Prognostik­er. Prognosen werden meist von Menschen getätigt, die zu wissen vorgeben, wie es werden wird. Das weiß keiner von uns. Wir können aber Szenarien entwickeln, um zu zeigen, wie es möglicherw­eise werden könnte. Bei einem so großen Thema wie Künstliche­r Intelligen­z – die ebenso viele Chancen wie Risiken birgt – ist es unbedingt notwendig, über so viele Szenarien wie möglich nachzudenk­en. Aus unterhalts­amen Gründen neige ich zum Desaster.“

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