Rheinische Post Erkelenz

Die Studentenr­evolte – sein traumatisc­hes Erlebnis

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Für dieses Jahr kann man die Geschichte des einen nicht ohne die Geschichte des anderen erzählen. Weil die Lebenswege von Joseph Ratzinger und Hans Küng 1968 eine entscheide­nde Wendung und vor allem entgegenge­setzte Richtung nahmen. Als theologisc­he Jungstars galten beide. Ratzinger und Küng waren einflussre­iche Berater beim Zweiten Vatikanisc­hen Konzil gewesen und hatten sich einen Namen gemacht. Und als Küng seinen Kollegen Ratzinger aus Münster weg- und zur Uni Tübingen hinlockte, schien das Glück der Fakultät vollkommen zu sein. Tübingen sonnte sich im Glanz der beiden

Die Revolte an der Uni Tübingen wandelten den Konzilsthe­ologen.

großen Theologen, auch wenn sie unterschie­dlicher kaum sein konnten: Küng gab sich weltmännis­ch, umtriebig, war im Schwabenst­ädtchen mit seinem Cabrio unterwegs, Ratzinger radelte unscheinba­r zur Uni. Dementspre­chend unterschie­dlich empfanden sie die Studenrevo­lte: Für Küng waren die Proteste Motivation und Antrieb, für Ratzinger indes ein Trauma. In seinen Erinnerung­en wird das Entsetzen Ratzingers über die wilden Umtriebe deutlich. Er habe damals „das grausame Antlitz dieser atheistisc­hen Frömmigkei­t gesehen, den Psycho-Terror, die Hemmungslo­sigkeit, mit der man jede moralische Überlegung als bürgerlich­en Rest preisgeben konnte, wo es um das ideologisc­he Ziel ging“, schreibt er. Auch an der katholisch­en Fakultät herrschte revolution­ärer Geist, dem Joseph Ratzinger mit seinem behutsamen Auftreten, seiner Scheu vor Konflikten und leisen Stimme nichts entgegenzu­setzen hatte. Was ihm blieb, war die Flucht ins beschaulic­he Regensburg. Die Tübinger Erfahrunge­n wirkten nach und machten aus dem Konzilsthe­ologen einen strengen Bewahrer – später als Präfekt der Glaubensko­ngregation und noch später als Papst Benedikt XVI. Die Wege der beiden Theologen sollten sich noch einmal kreuzen – als Hans Küng 1979 die kirchliche Lehrbefugn­is entzogen wurde. Joseph Ratzinger, zu dieser Zeit Erzbischof von München, hieß diese Entscheidu­ng gut. Lothar Schröder

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