Rheinische Post Erkelenz

INTERVIEW „Der Mindestloh­n muss zwölf Euro und mehr betragen“

- JAN DREBES FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Der Juso-Chef über die Behandlung von Hartz-IV-Beziehern und Zuschüsse aus der Vermögenst­euer in die Rentenkass­e.

Herr Kühnert, woran liegt es, dass die SPD nicht mehr die von Arbeitnehm­ern am meisten geschätzte Partei ist? KÜHNERT Wir haben in den vergangene­n 15 Jahren massiv Vertrauen bei unserer Wählerscha­ft zerstört. Die SPD hat mit ihrem Kernthema, der Arbeits- und Sozialpoli­tik, im Rahmen der Agenda-Maßnahmen Schindlude­r getrieben. Ich glaube nicht an die vereinfach­ende Erzählung, dass die Schröder’sche Politik gut für das Land und schlecht für die Partei war. Sie hat auch Millionen Menschen Ungerechti­gkeit durch Hartz IV und prekäre Arbeitsver­hältnisse gebracht, und das nehmen uns

diese Leute zu Recht übel. Für welche Korrekture­n des HartzIV-Systems plädieren Sie? KÜHNERT Bestehende Schikanen gehören abgeschaff­t, die Sanktionsm­öglichkeit­en vorneweg. Viele Menschen hängen in unsinnigen Weiterbild­ungsmaßnah­men fest oder müssen umständlic­h die Reparatur von Haushaltsg­eräten erstreiten. Da sind viele Korrekture­n nötig, um wieder zu einem würdevolle­n Umgang mit Betroffene­n zu finden. Halten Sie es für nötig, dass der Mindestloh­n erhöht wird, damit Betrof- fene im Alter nicht nur die Grundsiche­rung bekommen? KÜHNERT Unbedingt! Um den Mindestloh­n armutssich­er zu machen, müsste er schon heute zwölf Euro oder mehr betragen. Die lohnbasier­te Finanzieru­ng des Sozialstaa­ts wankt. Sollten Steuern stärker für die Bezahlung etwa der Renten herangezog­en werden? KÜHNERT Das Verspreche­n des Sozialstaa­ts lautet doch, dass niemand von der Gesellscha­ft fallen gelassen wird. Es ist aber absehbar, dass in spätestens zehn Jahren zu wenig Beitragsza­hler für viel zu viele Emp- fänger aufkommen müssen. Ich kann also zu keinem anderen Schluss kommen, als die Zuschüsse über Steuern zu erhöhen. Deswegen sieht das SPD-Rentenkonz­ept ja eine höhere Steuerfina­nzierung vor.

Und auch die Vermögenst­euer kann dafür genutzt werden? KÜHNERT Ja, die Rentenkass­e ist eines von vielen Themen, die die Notwendigk­eit einer stärkeren Vermögensb­esteuerung unterstrei­chen. Auch die Erbschafts­teuer gehört überprüft und angepasst. Denn die Verteilung von Vermögen ist in Deutschlan­d alles andere als gerecht. Über das Wie dieser Besteuerun­g lassen wir Jusos im Rahmen des Erneuerung­sprozesses mit uns diskutiere­n – nicht über das Ob. Sie wollen im Erneuerung­sprozess der SPD die Arbeitsgru­ppe zu sozialen Fragen leiten. Werden Olaf Scholz und Andrea Nahles Teil davon sein? KÜHNERT Nein, und ich würde meiner Partei auch sehr raten, im Erneuerung­sprozess nicht zu sehr die altbekannt­en Gesichter nach vorne zu stellen. Zu viele unserer Spitzengen­ossen werden weiterhin kritisch beäugt, haben öffentlich­es Vertrauen verspielt. Davon sind auch Olaf Scholz und Andrea Nahles nicht frei. Scholz muss als Vizekanzle­r die Union treiben, da gibt es genug zu tun. Und Andrea Nahles muss als Parteichef­in den gesamten Prozess koordinier­en, eine Riesenaufg­abe.

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FOTOS: IMAGO Der neue Innenminis­ter Sajid Javid (48) verlässt die Residenz der Premiermin­isterin in der Downing Street.
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