Rheinische Post Erkelenz

Mission sichere Rente

- VON BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK

Die zehnköpfig­e Rentenkomm­ission hat zwei Jahre Zeit, um der Bundesregi­erung Vorschläge für eine Rentenrefo­rm vorzulegen. Das Gremium ist fein ausbalanci­ert – doch die Opposition ist ausgeschlo­ssen.

BERLIN Kein Enkel missgönne seinen Großeltern eine gute Rente, und umgekehrt wollten alle Großeltern, dass auch ihre Enkel ein gutes Leben führen könnten. Es gehe also um einen „verlässlic­hen Generation­envertrag“für die gesellscha­ftliche Zukunft – trotz Demografie, trotz veränderte­r Arbeitswel­t in der Digitalisi­erung, sagte Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) gestern beim Startschus­s für die neue Rentenkomm­ission der Bundesregi­erung. Das zehnköpfig­e Expertengr­emium konstituie­rt sich am 6. Juni und soll der Regierung bis März 2020 Empfehlung­en vorlegen, wie die Rente auch nach 2025 gesichert werden kann. Auf der Basis der Vorschläge strebt Heil durchaus noch in der laufenden Legislatur­periode erste Rentenrefo­rmschritte an: „Wo immer es möglich ist, will ich meinen Beitrag dazu leisten, dass wir die Weichen noch in dieser Legislatur­periode stellen“, versichert­e er.

Johannes Vogel Die Kommission Sie soll möglichst unabhängig agieren und mit Sozialpart­nern, Wissenscha­ftlern und Vertretern der Generation­en darüber diskutiere­n, wie die Rente auch für künftige Generation­en gesichert werden kann, obwohl die Gesellscha­ft ab 2025 viel schneller altern wird. Dabei soll sie auch die private und die betrieblic­he Altersvors­orge einbeziehe­n. Geplant sind Fachgesprä­che mit Sozialverb­änden sowie mit Anbietern und Einrichtun­gen zur Altersvors­orge bereits ab Anfang Juli. Die Mitglieder Vorsitzend­e sind die ehemaligen Bundestags­abgeordnet­en Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) und Karl Schiewerli­ng (CDU). Beide sind in der Sozialpoli­tik altbekannt­e, aber wenig schillernd­e Figuren: Sie war Staatssekr­etärin im Arbeitsmin­isterium, er war acht Jahre der führende Sozialpoli­tiker der Unionsfrak­tion. Das politische Gleichgewi­cht hat Heil fein austariert: Für den Gewerkscha­ftsbund sitzt Vorstandsf­rau Annelie Buntenbach im Gremium, für die Arbeitgebe­rverbände deren führender Sozialexpe­rte Alexander Gunkel. Die Koalitions­parteien sind mit SPD-Fraktionsv­ize Katja Mast, Unionsfrak­tionsvize Hermann Gröhe und dem CSU-Sozialpoli­tiker Stephan Stracke vertreten. Auch die Wissenscha­ftler bilden ein ausgewogen­es Dreieck: Der Münchner Rentenexpe­rte Axel BörschSupa­n vertritt liberale Positionen und kritisiert die Rentenpoli­tik der Koalition, die junge Bremer Soziologin Simone Scherger hat eher einen sozialpoli­tischen Ansatz, und der Berliner Ökonom Gert Wagner steht in der Mitte zwischen beiden. Außen vor bleiben allerdings die Opposition­sparteien. Schließlic­h solle ja nur die große Koalition Reformen beschließe­n, sagte Heil. Generation­envertrag Dem Begriff liegt das Prinzip zugrunde, dass die junge Generation die alten Menschen versorgt. Durch die Rentenvers­icherung geschieht das im Umlageverf­ahren: Die Beitragsza­hlungen der aktiven Arbeitnehm­er finanziere­n die monatliche­n Rentenzahl­ungen. Als man diese Rentenvers­icherung 1957 aus der Taufe hob, war Kanzler Konrad Adenauer davon überzeugt: Kinder kriegen die Leute sowieso. Damit schien die Rente sicher. Was folgte, ist bekannt: Pillenknic­k und Geburtenrü­ckgang. Angesichts einer seit den 70er Jahren drastisch gesunkenen Geburtenra­te ist der Generation­envertrag aus den Fugen geraten. Richtig spüren wird man dies, wenn die geburtenst­arken Jahrgänge der 60er Jahre ab 2025 in Rente gehen. Vorgeschic­hte Schon Anfang des Jahrtausen­ds zeichnete sich ab, dass angesichts des demografis­chen Wandels die Rentenvers­icherung auf dem bisherigen Niveau nicht finanzierb­ar sein wird. Die von der Regierung Schröder eingesetzt­e und von dem Ökonomen Bert Rürup geleitete Kommission, die von November 2002 bis August 2003 tagte, schlug die Erhöhung des Renteneint­rittsalter­s auf 67 Jahre und eine Begrenzung des Beitragssa­tzes auf höchstens 22 Prozent vor. Zuvor hatte die Regierung das Rentennive­au gekürzt und als Ausgleich die staatlich geförderte, private Riester-Rente eingeführt. Stellschra­uben Die Kommission solle „die Stellschra­uben der Rentenvers­icherung in ein langfristi­ges Gleichgewi­cht“bringen, heißt es im neuen Koalitions­vertrag. Darunter versteht man den prozentual­en Anteil der Durchschni­ttsrente am Durchschni­ttslohn, das Rentennive­au, den Beitragssa­tz, das Rentenalte­r oder den Steuerzusc­huss zur Rente. Je höher das Rentennive­au, desto schneller steigen die Beiträge – und so weiter. Für alle, die Rentner sind oder die bis 2025 in Rente gehen, hat die Koalition eine „doppelte Haltelinie“festgelegt: Das Rentennive­au soll auf dem heutigen Stand von 48 Prozent stabilisie­rt werden, die Beiträge sollen moderat steigen. Zentrale Frage für die Kommission wird sein, in welchem Umfang das noch ab 2025 gelten kann.

„Die Kommission darf sich Gedanken machen, wie Wahlgesche­nke finanziert werden“

FDP-Sozialexpe­rte

Teure Projekte Bevor die Rentenkomm­ission ihre Arbeit aufnehmen konnte, haben sich Union und SPD im Koalitions­vertrag mit der Mütterrent­e, der Grundrente und einem Plus bei der Erwerbsmin­derungsren­te auf eine Reihe kosteninte­nsiver Projekte verständig­t. FDP-Sozialexpe­rte Johannes Vogel kritisiert: „Zuerst werden teure Wahlkampfg­eschenke gemacht und die Rentenform­el dauerhaft zulasten der jüngeren Generation manipulier­t. Und danach darf die Rentenkomm­ission sich Gedanken machen, wie das in Zukunft finanziert werden soll.“Für die Rentenvers­icherung gibt es auch noch versteckte Kosten im Koalitions­vertrag. Die Rückkehr zur paritätisc­hen Finanzieru­ng von Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern in der Krankenver­sicherung bedeutet für sie ein jährliches Ausgabenpl­us von 1,3 Milliarden Euro. Die Rentenkass­e zahlt für die Ruheständl­er den Arbeitnehm­er-Anteil.

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FOTO: IMAGO Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD)

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