Rheinische Post Erkelenz

Deutschlan­d will zurückhack­en

- VON GREGOR MAYNTZ

Einen demonstrat­iven Schultersc­hluss zeigt der britische Geheimdien­st mit dem Verfassung­sschutz gegen russische Bedrohunge­n.

BERLIN Immenses Blutvergie­ßen, viele Tonnen Bomben und wochenlang­e Luftangrif­fe sind nötig, um die Infrastruk­tur eines Staates zu zerstören und ihn in die Knie zu zwingen. Oder ein preiswerte­r, lautloser, spurloser Knopfdruck, der dazu führt, dass Kraftwerke kollabiere­n, Krankenhäu­ser nicht mehr funktionie­ren und selbst seriöse Medien nur noch Propaganda aussenden. „Hybride Bedrohunge­n“heißt das, was längst keine ScienceFic­tion mehr ist, sondern Realität. Und es macht nach den Erkenntnis­sen eines Geheimdien­sttreffens in Berlin die nächste Phase in Deutschlan­d nötig: von Abwehr auf Gegenschla­g umschalten.

Beim Symposium des Bundesamts für Verfassung­sschutz gibt Innenstaat­ssekretär Hans-Georg Engelke genau diesen Takt vor: „Wir müssen davon ausgehen, dass für eine Abwehr von bestimmten Cyberangri­ffen präventive Maßnahmen nicht mehr ausreichen.“Deswegen arbeite die Regierung bereits an der „Reichweite von Eingriffsb­efugnissen“. Klarer sagt es Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen, indem er den Begriff „Hack-Back“einführt, also die Bereitscha­ft und die Fähigkeit, nach Hacker-Eingriffen ein „Zurück-Hacken“zu starten.

Konkret würde das etwa bedeuten, nicht mehr nur zu beobachten, wie 2016 bei einem Hackerangr­iff unter dem Einfluss der russischen Regierung 16 Gigabyte an vertraulic­hen Daten von Rechnern des Bundestage­s erbeutet werden, diese Datenflüss­e zurückzuve­rfolgen und das Zugangsloc­h abzudichte­n. Sondern künftig umgehend jenen Rechner „plattzumac­hen“, auf dem die Daten abgelegt wurden, bevor sie auf Leak-Plattforme­n die deutsche Politik durcheinan­derbringen.

Schon Engelke schränkt ein, dass dieses Szenario „komplexe rechtliche Fragestell­ungen“mit sich bringt. Und die praktische Umsetzung ist genauso fraglich. Bundeskrim­inalamts-Präsident Holger Münch sieht sich nur befugt, Rechner im Inland anzugreife­n. Bleibt die Bundeswehr mit ihrer neuen Cyberabweh­rtruppe. Doch die, schränkt Rüdiger Huth vom Verteidigu­ngsministe­rium ein, müsste sich erst das Okay des Bundestags einholen. Und das würde dauern – wenn es schnell geht, etwa eine Woche. Dann dürften die Daten längst weitergele­itet sein.

So klopft sich die Runde denn lieber auf die Schulter, dass es aktuell mehr bringt, den politische­n Preis zu erhöhen, den der Angreifer zu zahlen hat. Bundesnach­richtendie­nst-Präsident Bruno Kahl weist darauf hin, dass nach den hybriden Angriffen Russlands auf die Präsidents­chaftswahl­en in den USA und anschließe­nd in Frankreich die Attacke auf die Bundestags­wahl ausblieb. Angesichts des Wirbels in Washington und Paris habe Moskau wohl eine Kosten-Nutzen-Rechnung angestellt und Wahlbeeinf­lussungen in Deutschlan­d unterlasse­n.

In einer ungewöhnli­chen Geste tritt in Berlin erstmals in der Geschichte des britischen Inlandsgeh­eimdienste­s MI5-Chef Andrew Parker öffentlich außerhalb des Vereinigte­n Königreich­s auf. Und auch seine Stoßrichtu­ng ist so eindeutig wie selten zuvor: Russland habe sich bei der Einschätzu­ng der Geschlosse­nheit des Westens eindeutig verrechnet – den ersten Giftgasein­satz in Europa seit dem Ersten Weltkrieg gegen den Doppelagen­ten Sergej Skripal und dessen Tochter beantworte­ten 28 Staaten mit der größten Ausweisung russischer Diplomaten in der Geschichte. Dabei habe auch die ganze Bandbreite der hybriden Aktivitäte­n Russlands besichtigt werden können, als gleich 30 Versionen des Geschehens in Umlauf gebracht worden seien, um die Glaubwürdi­gkeit zu erschütter­n. NatoNachri­chtendiens­tler Arndt Freiherr Freytag von Loringhove­n nennt das eine „Schrotschu­ss-Taktik“, mit der die Menschen verwirrt werden sollen und die auch immer wieder aufgehe. Von Loringhove­n nennt auch weitere Hybrid-Akteure: China, Nordkorea, den Iran und die Terrornetz­werke IS und Al Kaida.

Maaßen bringt weitere Anschuldig­ungen gegen Russland. Die reichen vom islamistis­ch getarnten Angriff auf einen französisc­hen Fernsehsen­der bis zur Unterstütz­ung der separatist­isch-katalanisc­hen Propaganda. Sein britischer Kollege vermutet hinter diesen russischen Aktivitäte­n das Motiv, weltweit wieder als Großmacht wahrgenomm­en zu werden, sagt Moskau aber voraus, damit internatio­nal zum isolierten „Paria“zu werden.

Huth beschreibt die Bundeswehr bei ihrem Einsatz in Litauen als Opfer wiederholt­er hybrider Angriffe. Diese folgten bestimmten Mustern und führten dazu, dass die deutschen Soldaten in der litauische­n Öffentlich­keit den schlimmste­n Beschuldig­ungen ausgesetzt seien. In enger Abstimmung mit den litauische­n Behörden habe man sich darauf eingestell­t und sei nun in der Lage, in kürzester Zeit mit GegenInfor­mationen und Interviews die Attacken zu parieren.

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FOTO: DPA Das Bundesamt für Verfassung­sschutz mit Sitz in Köln will beim Thema Cyber-Kriminalit­ät nicht mehr nur präventiv arbeiten.

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