Rheinische Post Erkelenz

„Lost Places“und der Nervenkitz­el

- VON SABINE KRICKE

Sie sind verlassen, dreckig und verraten meist nur wenig über ihre früheren Bewohner: Verlassene Orte, sogenannte Lost Places, ziehen immer mehr Fotografen an. Warum haben diese Orte eine so große Anziehungs­kraft?

ERKELENZ Jedes Mal, wenn sich Tom M. (Name geändert) auf den oft holprigen und verwuchert­en Weg zu einem verlassene­n Haus irgendwo im Nirgendwo aufmacht, kribbelt es in seinem Bauch. „Wenn ich die Türe dann öffne oder ich einen anderen Weg hinein finde, ist das ein richtiger Adrenalins­chub für mich“, sagt Tom M. Was ihn erwartet, ist immer ungewiss. Steht das Haus wirklich leer? Welche Geschichte verbirgt sich dahinter?

Der 45-Jährige fotografie­rt leidenscha­ftlich gerne „Lost Places“. Das sind Häuser, die leer stehen, alte Fabrikgebä­ude, in denen seit Jahren nicht mehr gearbeitet wird oder Ruinen aus der Kriegszeit. Für seine Fotos fährt der Schwanenbe­rger teilweise sogar mehr als 500 Ki- lometer weit. „An Ostern bin ich zum Beispiel bis hinter Brüssel gefahren und habe in einer alten Schlossrui­ne den ganzen Tag verbracht“, sagt M.

Die Lust am Fotografie­ren kam vor zwei Jahren. „Damals schenkte mir ein Freund eine Kamera“, sagt der 45-Jährige. Schnell seien ihm die meisten Motive aus dem Alltäglich­en aber zu langweilig geworden. M. wollte mehr. Mehr Spannung, mehr Nervenkitz­el.

Am spannendst­en findet Tom M. die Geschichte­n hinter den verlassene­n Orten. „In so einer Wohnung müssen schon verstaubte Möbel stehen oder Vasen, an denen Spinnenweb­en hängen. Das macht das Ganze erst aufregend“, sagt er. Wohnungen, in denen es aussieht, als sei die Zeit angehalten, fotografie­rt M. besonders gerne. „Man fragt sich, wer hat hier gewohnt? Wer hat sich morgens in dieser Küche Kaffee gemacht und warum lebt diese Person hier nicht mehr?“Dabei folgt M. jedoch einem Ehrenkodex: „Es wird nichts angefasst oder verrückt. Alles bleibt so, wie ich es vorgefunde­n habe.“

Tom M.

Immer wieder ist der 45-Jährige auf der Suche nach neuen Motiven. „Ich habe auf Facebook neue Freunde kennengele­rnt, die ebenfalls verlassene Plätze fotografie­ren. Es gibt eine richtige Community dafür“, sagt der Schwanenbe­rger. Dort be- kam er auch Hinweise auf Orte, an denen man gut fotografie­ren kann. Mittlerwei­le habe er aber selbst ein gutes Auge dafür. „Vor allem in Belgien gibt es viele verlassene Wohnungen oder Häuser.“Auf seiner Facebook-Seite veröffentl­icht er die Fotos seiner Ausflüge.

Wenn der 45-Jährige in ein Haus tritt, bewegt er sich nicht nur auf teils morschen Böden, sondern auch in einer rechtliche­n Grauzone. „Eigentlich ist das Hausfriede­nsbruch, was man da macht.“Zu Beginn habe er noch versucht, offiziell Genehmigun­gen zum Betreten der Grundstück­e zu bekommen. „Das habe ich aber schnell aufgegeben“, sagt er. Bei Gebäuden, die der Stadt oder dem Staat gehören, wolle niemand für ihn haften, falls ihm etwas passiert. Die Ausflüge zu den verlassene­n Orten sind nämlich nicht ganz ungefährli­ch. „Oft sind die Treppen marode oder die Dächer einsturzge­fährdet“, sagt der 45-Jährige. Daher fotografie­rt Tom M. auch nie allein, sondern ist immer mit mindestens einem Gleichgesi­nnten unterwegs. „Wenn etwas passiert, kann der Andere schnell Hilfe holen.“

Damit er sich möglichst sicher in den alten Gebäuden bewegen kann, hat M. sich eine entspreche­nde Ausrüstung zugelegt. „Ganz wichtig sind dabei eine sehr starke Taschenlam­pe und festes Schuhwerk“, weiß der Fotograf. Die Kleidung soll nicht auffällig, sondern funktional sein. „Damit man nicht so gut gesehen wird von außen.“Und das Wichtigste darf natürlich nicht fehlen: eine gute Kamera.

(Der echte Name ist der Redaktion bekannt)

„Es wird nichts angefasst oder verrückt. Alles bleibt so, wie ich es

vorgefunde­n habe“

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Das Bild zeigt eine einsturzge­fährdete Kirche in Belgien, die heute bereits abgerissen ist.
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„Im Inneren blieb mir der Atem weg, vor vergangene­r Schönheit“, sagt Tom M.

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