Menschlichkeit im Supermarkt
„In den Gängen“ist eine feine Milieustudie mit viel Herzenswärme.
Ein Blick durchs Regal. Da steht die Marion im Gang, blauer Kittel über dem Flauschpulli, glitzerndes Gummiband im Haar, und räumt Süßigkeiten ein. Und weil Sandra Hüller immer etwas Schroffes an sich hat, etwas Abweisendes, das überwunden werden will, und weil sie zugleich diesen sanften Blick hat, verliebt sich Christian in sie.
Franz Rogowski spielt das wortlos, er muss nur durch das Regal starren und später am Kaffeeautomaten immer noch nicht wissen, was er sagen soll. Er ahnt nämlich, dass Marion eine Traurigkeit mit sich herumträgt. Und damit kennt er sich aus.
Von einer zögerlichen Annäherung in den neonöden Gängen eines Supermarkts erzählt Thomas Stuber in seiner feinen Milieustudie „In den Gängen“und vom Zusammenhalt unter Kollegen, die in einer prestigearmen Branche arbeiten und dennoch stolz sind auf das, was sie tun. Clemens Meyer hat sich die Figuren für eine Kurzgeschichte ausgedacht und auch am Drehbuch mitgeschrieben. Entstanden ist ein Film, der in eine Arbeitswirklichkeit blickt, die eigentlich nicht fürs Kino taugt. Weil Angestellte im Großmarkt in grauen Kitteln herumrennen und ständig die gleichen Dinge tun müssen, einräumen, auffüllen, nachbestellen.
Doch in diesem Film werden das Tätigkeiten auf einer unsichtbaren Bühne, nur die Mitarbeiter des Großmarkts kennen all die Abläufe, die den Kunden verborgen bleiben sollen. Und sie kennen einander, wissen um die Marotten, die kleinen Fluchten in den Zigarettenpausen, die Brüche in den Biografien. Und bei aller Derbheit im Umgang besitzen sie den Takt und das Mitgefühl, von diesen Brüchen zu schweigen.
„In den Gängen“ist nicht frei von Klischees, und manche Wendung gegen Ende des Films dient dann doch dazu, einer Milieustudie im Reich der Paletten Kinoformat zu verpassen. Doch das wiegt nicht schwer, weil der Film so menschlich und auf eigenwillige Art zart erzählt ist.
Wie Rogowskis Christian als Neuling in den Supermarkt-Kosmos eintaucht, von Peter Kurth als Chef der Getränkeabteilung ins Gabelstaplerfahren eingewiesen wird und irgendwann ankommt im Kreis der Mitarbeiter, die einander Ersatzfamilie sind. Das wird ohne Schnör- kel, aber mit aufrichtiger Anteilnahme erzählt.
Die deutsche Produktion „In den Gängen“verklärt den Alltag von Angestellten in einem ostdeutschen Supermarkt nicht. Er entwirft auch keine heimlichen Helden der Arbeit. Der Film beharrt allerdings darauf, dass eigentliche jeder Job gut sein kann, wenn der Einzelne darin als Mensch vorkommen darf. Mit all seinen Stärken und Schwächen. Und Raum für den Blick durchs Regal. In den Gängen, Deutschland 2017 – Regie: Thomas Stuber, mit Sandra Hüller, Franz Rogowski, Peter Kurth, 109 MIn.