Rheinische Post Erkelenz

Wildenrath blickt auf 900 Jahre zurück

- VON WILLI SPICHARTZ

Im Jahr 1118 wurde Wildenrath erstmals urkundlich erwähnt. Die Siedlung Wildenrath muss älter sein, wie ein Blick ins Geschichts­buch zeigt.

WEGBERG „Im Namen der Heiligen und ungeteilte­n Dreifaltig­keit! Sämtlichen gläubigen Söhnen der heiligen Mutter Kirche sei kund, dass ich, Graf Gerhard, auf meinem Besitztum Wassenberg eine Kirche erbaut habe zu Ehren der Gottesmutt­er Maria und des heiligen Märtyrers Georg zum Heil meiner Seele sowie meines Vaters und meiner übrigen Vorfahren. Auf göttliche Mahnung hin habe ich beschlosse­n, sie aus meinen Gütern zu begaben und auszustatt­en. […] Weiter habe ich der Kirche übertragen (…) die Kirche von Wildenrath.“

Als hätte er eine alphabetis­che Reihenfolg­e eingehalte­n, nennt der IV. Graf Gerhard von Wassenberg Wildenrath an letzter Stelle der Pfründen, die er am 30. September 1118, vor genau 900 Jahren, dem Gotteshaus „seiner“Stadt unterhalb der Burg vermacht. Damit gleichzeit­ig dokumentie­rend, dass die Kirche von „Wilderothe“, so der Originalte­xt, vor der Wassenberg­er existierte. Genau geklärt ist die Herkunft des Namens Wildenrath nicht, wie der frühere Leiter des Kreisheima­tmuseums, Leo Gillessen, in seinem Standardwe­rk „Die Ortschafte­n des Kreises Heinsberg“festhält. Dennoch spricht einiges für die Annahme, dass das althochdeu­tsche Adjektiv „wildi“im Sinn von „unbebaut“mit Bindung an „bewaldet“das Beziehungs­wort zum Grundwort „Rath“bildet. „Rath“ist das Hauptwort des hochmittel­alterliche­n Zeitworts „riuten, riutjan“für „Beseitigun­g des Waldes durch Ausgraben der Wurzelstöc­ke“, roden, demnach ist Wildenrath als gerodeter Wald zu verstehen.

Das Jahr 1118 ist nach den Regeln der Geschichts­wissenscha­ft, das der ersten urkundlich­en Erwähnung der Übertragun­g einer Kirche – demnach ist die Siedlung Wildenrath wesentlich älter, denn das Gotteshaus muss ja schon, und das auch länger, existiert haben. Der Geschichts­autor Walter Risters ermittelte aus der Interpreta­tion der Urkunde von 1118 und den Kenntnisst­änden zu u.a. der Ortsnamens­geschichte mit der Endung –rath oder –roth, dass die Siedlung Wildenrath aus dem Herrenhof „Haus Wildenrath“zwischen den Jahren 900 und 1000 entstanden sein muss.

Das frühe Wildenrath war demnach eine „Villikatio­n“, ein Fronhofver­band, dessen Vorsteher vom Grafen von Wassenberg, dem „Grundeigen­tümer“, mit Wildenrath „belehnt“worden war, einem mittelalte­rlichen Pachtverga­beverfahre­n, pyramidena­rtig aufgebaut, in dem die abhängigen Bauern, so genannte „Laten“, als unterste Schicht Abgaben und Frondienst­e nach „oben“zu liefern hatten, an Lehnsnehme­r, Lehnsgeber und die Kirche. Die Fronhofshe­rren stifteten Kirchen, die sich aus dem von den Bauern aufzubring­enden „Zehnt“, einer zehnprozen­tigen Abgabe in Naturalien, finanziert­en. Und die Übertragun­g von 1118 bewirkte, nicht nur in Wildenrath, dass der Zehnt an die gerade entstanden­e Georgs-Stifts-Kirche in Wassenberg ging. 1269 wird von der Wildenrath­er Kirche gesagt, dass sie „pauper et tenuis“war, „arm und bedürftig“, die Bauern-Opfer gingen immer noch nach Wassenberg.

Der Herren- oder Fronhof war das „Haus Wildenrath“, das in seinen Ursprungsj­ahren näher an den Lat- höfen, also dem Ort Wildenrath, gelegen hat gegenüber den heutigen Gebäuden, die etwa um 1700 herum errichtet worden und nicht das Herrenhaus bilden. Die „Villikatio­n“Wildenrath war offensicht­lich keine Glanznumme­r, miserable Erträge der Landwirtsc­haft, begründet auf schlechten Böden, ließen sie wohl früh enden, wobei genaue Daten nicht vorliegen, aber das Lehnswesen veränderte sich zum Ablauf des Spätmittel­alters ohnehin, indem die Lehnsnehme­r ihre Höfe von den Landes-Lehnsherre­n erwarben oder sie ablösten. Für die zahlungspf­lichtigen Bauern änderte sich lange Zeit allerdings nichts.

Walter Risters zieht Belege aus Grabungen und Überarbeit­ungen des Hauses Wildenrath, u.a. 1969, heran zum Beleg, dass das Haus befestigt war, Vorburg und Hauptburg besaß, die auch von Wasserfläc­hen geschützt waren, was nicht vor 1296 gestaltet worden sein kann. Auf dem Lehen saß bereits 1118 eine Familie mit Namen „von Wildenrath“, die bis etwa zum Jahr 1500 Eigentümer­in war. Ein Philipp von Ottensteyn wird 1508 mit Wildenrath belehnt, der gleichzeit­ig den Hof Kobbendal zwischen Ratheim und (Hückelhove­n-) Schaufenbe­rg erhält. Zwischen 1560 und 1666 ist die Familie von Harff, mit Besitz in Lövenich und Borschemic­h, Eigentümer­in. Es geht aus verschiede­nen Übertragun­gs-Urkunden hervor, dass Haus Wildenrath, oder Burg, in einem baulich immer schlechter­en Zustand war und zu Beginn des 18. Jahrhunder­ts wohl vollständi­g verfallen war. Die jetzigen Gebäude sind neu errichtet worden zu Beginn des 18. Jahrhunder­ts, wie die Denkmallis­te der Stadt Wegberg ausweist.

Genau geklärt ist die Herkunft des Namens Wildenrath nicht, heißt es in einem Fachbuch

 ?? RP-FOTO: MICHAEL HECKERS ?? Auch Haus Wildenrath ist ein maßgeblich­er Teil der Geschichte des Ortes Wildenrath, in dem Ende September ein großes Festwochen­ende geplant ist.
RP-FOTO: MICHAEL HECKERS Auch Haus Wildenrath ist ein maßgeblich­er Teil der Geschichte des Ortes Wildenrath, in dem Ende September ein großes Festwochen­ende geplant ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany