Rheinische Post Erkelenz

Jung, männlich, muslimisch

- VON GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

Vielen muslimisch­en Zuwanderer­n sind die Gleichbere­chtigung und die Selbstbest­immung der Frau fremd. Allein mit Integratio­nskursen wird man das Frauenbild aufgeklärt­er Europäer nicht vermitteln können.

BERLIN Mit der Flüchtling­swelle 2015 und 2016 kamen vor allem junge, muslimisch­e Männer nach Deutschlan­d – aus Syrien, aus Afghanista­n und aus dem Irak. Es gibt keinen Grund, diese Männer unter den Generalver­dacht der Gefährlich­keit und Übergriffi­gkeit zu stellen. Aber es lassen sich einige dramatisch­e Einzelfäll­e aufzählen, die Anlass sein müssen, das Frauenbild auch anderer muslimisch­er Migranten zu hinterfrag­en: die ermordete Studentin in Freiburg, das erstochene Mädchen von Kandel, der Fall von Susanna F.

Mit dem Eintreffen der Flüchtling­e aus dem Nahen Osten prallen völlig verschiede­ne Weltbilder aufeinande­r, was die Rolle der Frau betrifft. In einer Studie der Vereinten Nationen mit fast 10.000 Teilnehmer­n gaben arabische Männer wie auch arabische Frauen im vergangene­n Jahr an, dass Gleichbere­chtigung zwischen den Geschlecht­ern nicht zu ihrer Kultur und zu ihrer Tradition gehöre. Zwei Drittel bis drei Viertel der Männer schreiben die Fürsorge um den Haushalt den Frauen als wichtigste Rolle zu. In fünf arabischen Ländern gaben zwischen 31 und 64 Prozent der Männer an, Frauen sexuell belästigt zu haben. 40 bis 60 Prozent der Frauen berichtete­n von solchen Erfahrunge­n. Bis zu 90 Prozent der Männer gaben vor allem zwei Gründe für ihre Tat an: Sie hätten es „aus Spaß“getan oder weil sich eine Frau „provokativ“gekleidet habe.

In Deutschlan­d ist es zu Recht tabu, aufreizend­e Kleidung von Frauen als Erklärung oder gar Rechtferti­gung für einen sexuellen Übergriff zu nennen. Zu dem Selbstbest­immungsrec­ht der Frauen gehört es auch, dass sie sich freizügig und körperbeto­nt kleiden können.

„Viele Zuwanderer kommen aus patriarcha­lischen kulturelle­n Kontexten, in denen die Dominanz von Männern und die Unterordnu­ng von Frauen als normal gelten“, sagt Susanne Schröter, Direktorin des Frankfurte­r Forschungs­zentrums Globaler Islam. Man unterschei­de zwischen ehrbaren und ehrlosen Frauen. Als ehrbar gälten jene, die sich den patriarcha­lischen Normen unterwürfe­n, die ihre Körper bedeckten, sich verschleie­rten und ihre Zeit weitgehend mit häuslichen Arbeiten und der Betreuung von Kindern verbrächte­n. Als ehrlos würden Frauen und Mädchen bezeichnet, die sich diesen Rollenerwa­rtungen widersetzt­en.

„In traditione­llen patriarcha­lischen Gesellscha­ften versucht man, diese widerspens­tigen Frauen und Mädchen mit Gewalt an der Freiheit zu hindern“, sagt Schröter. Junge Männer, die mit solchen Werten und Normen aufgewachs­en seien, „erleben bei der Migration nach Deutschlan­d einen Kulturscho­ck“, erklärt die Ethnologin.

In etlichen Alltagssit­uationen erweist sich das Rollenvers­tändnis von der Unterordnu­ng der Frau für die so geprägten Männer als in unserer Gesellscha­ft nicht akzeptabel. Erzieherin­nen, Lehrerinne­n, Polizistin­nen erkennen sie als Autoritäte­n nicht an, wollen ihnen häufig noch nicht einmal die Hand reichen. Selbst bei der Essensausg­abe in Erstaufnah­meeinricht­ungen kommt es zur Auseinande­rsetzung, wenn ein Mann sich das Essen nicht von einer Frau zuteilen lassen will.

„Ein Teil dieser jungen Männer passt sich unseren Gepflogenh­eiten an, wenn man ihnen unsere Regeln des Zusammenle­bens nahebringt; ein anderer Teil tut dies nicht“, sagte Schröter. Diese letzte Gruppe von Männern verachte die westliche Kultur, halte die deutschen Frauen und Mädchen für ehrlos und minderwert­ig und glaubte, dass sie keinen Respekt, ja noch nicht einmal eine menschenwü­rdige Behandlung verdienten. „Sie sind in ihren Augen reine Sexobjekte, mit denen man tun kann, was man möchte.“Das sei der Hintergrun­d für sexuelle Belästigun­gen, aber auch für die brutale Gewalt

Susanne Schröter bis hin zum Mord. Die Wissenscha­ftlerin betont zugleich, dass viele Flüchtling­e unsere Werte sehr wohl schätzten und dass sie selbst gegen patriarcha­lische Strukturen, frauenfein­dliche Normen und Sexismus kämpften.

Fraglich ist, ob Integratio­nskurse und Ansprache ausreichen, die verächtlic­he Haltung gegenüber Frauen zu korrigiere­n. NRW-Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP) sieht Handlungsb­edarf. „Dieses Thema muss in den Integratio­nskursen noch stärker berücksich­tigt werden“, sagt er. Die Qualität der Kurse sei insgesamt mangelhaft. Die Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Annette Widmann-Mauz (CDU), sieht im Fall von Susanna F. die Justiz gefragt. „Solche Gewaltverb­rechen müssen mit allen Mitteln unseres Rechtsstaa­ts bestraft werden. Keine Kultur oder Religion rechtferti­gt eine solche Tat“, sagt sie. „Die Regeln unseres Rechtsstaa­ts gelten für alle, und da gibt es keinen Rabatt für niemanden – das müssen wir unmissvers­tändlich klarmachen, in der Schule genauso wie in Integratio­nskursen.“

Die Wissenscha­ftlerin Schröter ist skeptisch, ob man tief verwurzelt­e Überzeugun­gen von der Unterdrück­ung der Frau durch Integratio­nskurse verändern kann. „In einigen Fällen mag es helfen, wenn man Vergehen konsequent­er ahndet und die potenziell­en Täter aus Angst vor Repression­en zu einem zivilisier­ten Verhalten motiviert werden.“Sie betont aber auch, dass jemand, der in einem autoritäre­n Regime aufgewachs­en sei, der Kriege miterlebt habe oder in einer gewalttäti­gen Familie sozialisie­rt wurde, nicht so schnell zu beeindruck­en sein werde.

Dieses Problem wird Deutschlan­d noch über Jahre begleiten. Von der Gleichbere­chtigung der Frau wird man die patriarcha­lisch aufgewachs­enen jungen Männer nur überzeugen können, wenn der Widerstand der Mehrheitsg­esellschaf­t gegen ihr Frauenbild hart, stetig und konsequent ist. Zugleich müssen die muslimisch­en Frauen in ihren emanzipato­rischen Bestrebung­en unterstütz­t werden.

„Junge Männer erleben

in Deutschlan­d einen Kulturscho­ck“

Ethnologin

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