Rheinische Post Erkelenz

Es war einmal der Westen

- VON BIRGIT MARSCHALL UND GREGOR MAYNTZ

Statt das politische Vorgehen miteinande­r abzustimme­n wurden beim G 7-Gipfel in Kanada vor allem tiefgreife­nde Differenze­n zwischen Europa und den USA deutlich. Kanzlerin Angela Merkel will dem mit einer Doppelstra­tegie entgegentr­eten.

BERLIN Der Rückzug des US-Präsidente­n von der gemeinsame­n G7Abschlus­serklärung war ein beispiello­ser Eklat im Zusammensp­iel der westlichen Welt – und auch für Bundeskanz­lerin Angela Merkel „ernüchtern­d und auch ein Stück deprimiere­nd“. Gleich nach ihrem Rückflug vom Gipfel in Kanada eilte sie in die „Anne Will“-Sendung, um zu retten, was noch an Gemeinsamk­eiten da ist. Donald Trump legte umgehend nach und nahm nach Kanada nun Deutschlan­d ins Visier, stellte einen Zusammenha­ng mit höheren Zollschran­ken und niedrigen deutschen Verteidigu­ngsausgabe­n her. War’s das mit dem Westen?

Zumindest die zum Mammutform­at ausgewachs­enen Treffen der sieben wichtigste­n (westlichen) Industries­taaten wirken wie ein totgeritte­ner Gaul. Statt angesichts nervöser Märkte das politische Vorgehen miteinande­r abzustimme­n und weltweit Verantwort­ung zu übernehmen, so die ursprüngli­che G7Idee, wurden vor allem die tiefgreife­nden Differenze­n deutlich.

Merkels Strategie besteht aus zwei Komponente­n. Sie versucht, Trumps Unberechen­barkeit einzuhegen, und legte ihm nahe, jeweils vor neu- en Zollschran­ken erst einmal eine gemeinsame Bestandsau­fnahme zu absolviere­n. Grund zur Selbstkrit­ik der Europäer sieht dabei SPD-Wirtschaft­sexperte Bernd Westphal: Auch die Europäer müssten „schauen, wo wir zu hohe Einfuhrzöl­le erheben, die nicht mehr ins 21. Jahrhunder­t passen“. Und Clemens Fuest, der Chef des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaft­sforschung, erinnert daran, dass beim Güterhande­l das Defizit für die USA durch Überschüss­e bei Dienstleis­tungen und durch Gewinne von US-Unternehme­n in der EU „mehr als ausgeglich­en“werde. Sein Vorschlag: „Die EU sollte anbieten, diesen beidseitig schädliche­n Handelskri­eg zu beenden und ein Abkommen zu schließen, das alle Zölle im transatlan­tischen Handel auf null setzt.“

Wie sehr Trump die über Jahrzehnte bewährten Abstimmung­en einer westlichen Linie noch beherzigen will, wird sich beim Nato-Gipfel im Juli zeigen. Dass die USA die Hauptlast im Bündnis tragen, ist ihm schon lange zuwider. Einmal schon hat er die Ankündigun­g widerrufen, die Beistandsp­licht innerhalb des Bündnisses zu hinterfrag­en. Aber es scheint in seinem Hinterkopf weiter eine Rolle zu spielen.

Die zweite strategisc­he Antwort Merkels besteht aus einer intensive- ren EU-Einigkeit als Bollwerk gegen das Trump-Amerika. Sie will bilaterale Sondervere­inbarungen vermeiden und eine starke EU formen. „Die erste Loyalität gilt immer dem eigenen Land, aber die zweite, auch wenn es um außenpolit­ische Entscheidu­ngen geht, sollte dann schon der Europäisch­en Union gelten“, lautet Merkels Credo.

Dieses Vorgehen hat allerdings das Potenzial, zu einem Kampf gegen Windmühlen zu werden. Denn „der Westen“wird nicht nur von Washington infrage gestellt. Auch Moskau ist sehr erfolgreic­h dabei, die EU auseinande­rzubringen. Wie intensiv die russische Unterstüt- zung des Brexit-Lagers auch gewesen sein mag, das Herausbrec­hen der Briten aus der EU gefällt Russlands Präsident Wladimir Putin über alle Maßen.

Und bei den Loyalitäte­n steht Merkel vor den Prioritäte­n osteuropäi­scher Länder. Ungarn wird kaum für einen gemeinsame­n Asylkurs zu gewinnen sein, wovon nach Merkels Überzeugun­g die Zukunft der EU abhängt. Und in Ländern wie Polen ist die Präsenz von US-Truppen im eigenen Land als Abschrecku­ng gegenüber Russland allemal wichtiger als eine gemeinsame Haltung der Europäer etwa zu Trumps Iran-Politik. „Der“Westen war einmal.

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