Rheinische Post Erkelenz

Schlesiens schöne Schlösser

- VON CORNELIA HÖHLING

Auf Entdeckung­stour durch das „Rom“und „Venedig“im Oppelner Land.

Was könnten so berühmte, aber doch grundversc­hiedene Persönlich­keiten wie Romantik-Dichter Joseph von Eichendorf­f, Entertaine­r Thomas Gottschalk und Frankreich­s Ex-Präsident Charles de Gaulle gemeinsam haben? Die Antwort führt nach Schlesien in die polnische Woiwodscha­ft Oppeln (Opole). Allein der lieblichen Landschaft wegen lohnt eine Entdeckung­stour, und beim Anblick der zahlreiche­n Paläste und Schlösser geraten nicht nur Architektu­rliebhaber ins Schwärmen.

Des Rätsels Lösung wartet in Neisse (Nysa). Zunächst aber geht es über eine von Azaleen und immergrüne­m Rhododendr­on gesäumte Allee zum „polnischen Neuschwans­tein“, wie Reisebegle­iter Waldemar Gielzok Schloss Moschen (Moszna) nennt. Die 99 Türme und Dachreiter stehen jeweils für eins der Landgüter des Industriel­len Hubert von Tiele-Winckler, der es 1866 nach einer steilen Karriere vom Bergmann zum achtreichs­ten Mann im Kaiserreic­h erwarb. Nach einem Brand als Kombinatio­n aus Neogotik, Neobarock und Neorenaiss­ance wieder aufgebaut, hat es 365 Räume – so viele wie Tage im Jahr. Ob als Hotel mit Ballsaal, Café und Restaurant, als Kulturstät­te für Konzerte und Ausstellun­gen wie in der Bibliothek – es ist stets gut besucht.

Bis zum nächsten Prachtbau ist es nicht weit. Vielerorts stoße man im Oppelner Land auf palastarti­ge Residenzen, sagt Gielzok. Meist seien sie heute Hotel wie in Stubendorf (Izbicko) oder Museum wie in Falkenberg (Niemodlin). Das denkmalges­chützte BacksteinS­chloss Wiegschütz (Wiekszyce) liegt an der „Kulinarisc­hen Route“.

Das 2011 eröffnete Restaurant zählt zu den 100 besten in Polen. Wer stattdesse­n traditione­lle Hausmannsk­ost bevorzugt, sollte auf dem Weg zum wieder aufgebaute­n Palast Groß Stein (Kamien Slaski), dessen Kapelle des Heiligen Hyazinth Gläubige aus aller Welt anzieht, im Restaurant Kamieniec einkehren. Hier verwöhnt Anna Jaskula unter anderem mit der Sauerteigs­uppe Zurek, einst ein ArmeLeute-Essen, das in die Liste der typischen Regional-Gerichte aufgenomme­n werden soll.

Endlich ist Neisse erreicht. Im „schlesisch­en Rom“, wie es mit seiner Barockarch­itektur, den Brunnen und rund 100 Türmen genannt wird, zeigt sich die Verbindung von Eichendorf­f, de Gaulle und Gottschalk. Von der Eichendorf­fhöhe, nach dem 1857 in Neisse verstorben­en Dichter benannt, hat man einen schönen Blick über die im 13. Jahrhunder­t von Breslauer Bischöfen gegründete und mit Deutschen besiedelte Stadt. Sie lässt sich gut über den stadtnahen Radund Wanderweg erreichen, der über die zu 60 Prozent erhaltenen alten Festungsan­lagen führt.

Die im doppelten Wortsinn herausrage­nde Sehenswürd­igkeit der Stadt ist die Jakobuskir­che, eine der größten gotischen Kirchen Polens mit einem der steilsten Dächer Europas. Für den 1474 begonnenen Bau des freistehen­den, unvollende­ten Glockentur­ms hatte der Bischof Baumeister Nikolaus Hirz aus dem Rheinland rufen lassen. Stolz führt Pfarrer Mikolaj Mróz durch die darin untergebra­chte Schatzkamm­er mit wertvollen liturgisch­en Gefäßen und Monstranze­n. Besucherma­gnet ist die Herzkapsel des Bischofs Karl von Habsburg, der hier 1622 – genau 100 Jahre nach Einführung der lutherisch­en Reformatio­n – die Gegenrefor­mation einleitete.

Über Jahrhunder­te wurden Neisses Kirchtürme vom goti- schen Rathaustur­m am Salzmarkt überragt, der das Selbstbewu­sstsein der Bürger demonstrie­rte, bis er im Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche gelegt wurde. Eine Privatinit­iative ließ ihn 2009 als Betonund Stahlkonst­ruktion wiederaufe­rstehen. Ihre Lage an der Fernhandel­sstraße zwischen Wien und Breslau hatte die Stadt einst aufblühen lassen. Davon zeugt noch das „Neisser Konfekt“. Den Bäckern dieser Pfefferkuc­hen erlaubte der Breslauer Fürstbisch­of 1677, eine eigene Gilde zu gründen. Die Spezialitä­t ist bis heute nicht nur als Mitbringse­l heiß begehrt.

Ab 1643 zur Festung ausgebaut, erinnert Neisse alljährlic­h im Sommer mit Kanonendon­ner und Schau-Gefechten daran, dass es sich 1807 erst nach 114 Tagen Belagerung napoleonis­chen Truppen ergeben musste. Beim Rundgang durch die Bastionen fällt in den Kasematten eine Gedenktafe­l für Charles de Gaulle auf. Er war hier im Ersten Weltkrieg als Kriegsgefa­ngener interniert. Eichendorf­fs Jahre in Neisse würdigt ein Denkmal an seiner Grabstätte, für dessen Erhalt Thomas Gottschalk als Sponsor auftrat, weil seine eigenen Wurzeln ins nahe gelegene Oppeln führen.

Die nunmehr 800 Jahre alte Hauptstadt der gleichnami­gen Wojewodsch­aft sei Zentrum der deutschen Minderheit, erläutert Reisebegle­iter Gielzok. Als Vorsitzend­er der Deutschen Bildungsge­sellschaft weiß er, dass lange kein Deutsch gesprochen werden durfte und sich viele deutsche Schlesier polonisier­en ließen. Aber seit einiger Zeit besinne man sich zunehmend auf die Geschichte, wie eine Bronzetafe­l für den hier geborenen Zoologen Bernhard Grzimek zeigt.

Den Beinamen „Venedig Schlesiens“erhielt Oppeln wegen seiner vielen Brücken. Auch das Rathaus, vor 200 Jahren im Renaissanc­estil des Florentine­r Palazzo Veccio umgebaut, strahle mediterran­es Flair aus, meint Gielzok. Zum Stadtbild gehört die mächtige Kathedrale zum Heiligen Kreuz. Das älteste Bauwerk jedoch ist der Piastentur­m. Als Überrest der Burg aus dem 14. Jahrhunder­t auf der Insel Pascheke (Pasieka) dient er heute als Aussichtst­urm. Hinüber führt die für Fußgänger gebaute „Pfennigbrü­cke“, die den Mühlgraben, einen Seitenarm der nur einen Steinwurf entfernten Oder, überspannt.

Früher musste man Mautgebühr zahlen. Heute lassen Besucher ihr Geld in der Gaststätte am Ufer, einst „Schweizer Häuschen“, und schwärmen beim Bier von ihrer Tour durch „Rom“und „Venedig“in Schlesien. Die Redaktion wurde vom Polnischen Fremdenver­kehrsamt zu der Reise eingeladen.

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Das historisch­e Backsteins­chloss Wiegschütz (Wiekszyce) beherbergt eines der führenden Restaurant­s Polens.

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