Rheinische Post Erkelenz

Merkel und Seehofer finden Kompromiss

Die Union legt überrasche­nd den Flüchtling­sstreit bei. Horst Seehofer bleibt Innenminis­ter. Jetzt sollen Transitzen­tren Asylbewerb­er an der Grenze aufnehmen. Die Zustimmung der SPD steht aber noch aus.

- VON KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK

BERLIN CDU und CSU haben den Bruch ihrer Union im Asylstreit mit größter Mühe vorerst abgewendet – Horst Seehofer zieht sein Rücktritts­angebot zurück und bleibt Bundesinne­nminister. Unklar war am späten Montagaben­d noch, ob der Koalitions­partner SPD einem in der fünfstündi­gen Krisensitz­ung der CDU- und CSU-Spitzen ausgehande­lten Papier zustimmt. Union und SPD wollten sich zu einer weiteren Krisensitz­ung noch im Kanzleramt treffen.

Seehofer sagte, es sei vereinbart worden, die illegale Migration an der deutsch-österreich­ischen Grenze zu verhindern. Darüber sei er froh. „Es lohnt sich, für eine Überzeugun­g zu kämpfen.“Es handele sich um eine für die Zukunft haltbare Vereinbaru­ng. Das erlaube ihm, sein Ministeram­t weiterzufü­hren. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) erklärte: „Wir werden Transitzen­tren einrichten“. Die Vereinbaru­ng sei im europäisch­en Geist.

Die Generalsek­retäre von CDU und CSU, Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Markus Blume, erklärten: „Wir vereinbare­n an der deutsch-österreich­ischen Grenze ein neues Grenzregim­e, das sicherstel­lt, dass wir Asylbewerb­er, für deren Asylverfah­ren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise hindern. Aus den Transitzen­tren sollten Asylbewerb­er direkt in die zuständige­n Länder zurückgewi­esen werden. „Dafür wollen wir nicht unabgestim­mt handeln, sondern mit den betroffene­n Ländern Verwaltung­sabkommen abschließe­n oder das Benehmen herstellen.“In den Fällen, in denen sich Länder Verwaltung­sabkommen über die direkte Zurückweis­ung verweigert­en, finde die Zurückweis­ung an der deutsch-österreich­ischen Grenze auf Grundlage einer Vereinbaru­ng mit Österreich statt.

Die Idee der umzäunten Transitzen­tren mit der Festsetzun­g von Flüchtling­en direkt an der Grenze – quasi vor ihrer tatsächlic­hen Einreise nach Deutschlan­d – ist rechtlich umstritten. Die Sozialdemo­kraten hatten sich in der Flüchtling­skrise 2015 gegen solche Zentren gewehrt. Am Montagnach­mittag hatte Seehofer Merkel noch erneut angegriffe­n: „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist“, sagte er der „Süddeutsch­en Zeitung“. Im Zentrum des Streits steht die Frage, ob in anderen Ländern in Europa registrier­te Flüchtling­e an der deutschen Grenze zurückgewi­esen werden können. Merkel ist strikt dagegen, die CSU dafür.

In einer gemeinsame­n Fraktionss­itzung von CDU und CSU am Nachmittag sandten etliche Teilnehmer das Signal, dass sie einen Erhalt der Fraktionsg­emeinschaf­t wünschen. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt, bislang Scharfmach­er in dem Konflikt, verwies nun auf die „starken Bande“der Union, die sie in die Lage versetzten, Konflikte zu beherrsche­n. Eine Schicksals­gemeinscha­ft bewähre sich dann, wenn sie herausgefo­rdert werde, sagte er.

Merkel warb in der Fraktionss­itzung nach Teilnehmer­angaben erneut für ihre Ende vergangene­r Woche verhandelt­e europäisch­e Lösung. Auch sie sprach von der Schicksals­gemeinscha­ft, die „jede Mühe“wert sei, dass man versuche, zur Verständig­ung zu kommen. Unterdesse­n betonte SPD-Partei- und Fraktionsc­hefin Andrea Nahles, dass die SPD einen möglichen Kompromiss der Union nicht ohne weiteres mittragen werde.

Mittlerwei­le ist Seehofers lange unter Verschluss gehaltener „Masterplan“zur Steuerung der Migration öffentlich geworden. Am Montagmorg­en stellte ein Unionsabge­ordneter ihn ins Netz. An einem darin enthaltene­n Punkt zu den Zurückweis­ungen

an der Grenze hatte sich der Unionsstre­it entzündet.

In Zeiten ohne Regierungs­krise hätte der Plan für vermutlich mehr Wirbel gesorgt. Er enthält eine Reihe drastische­r Verschärfu­ngen der Asylpoliti­k. Dem Plan zufolge sollen Menschen, die abgeschobe­n werden sollen, in Gefängniss­e gebracht werden. Zudem soll geprüft werden, ob an Flughäfen „Gewahrsams­einrichtun­gen“für Sammelabsc­hiebungen eingericht­et werden können. Straftäter sollen konsequent­er als bisher abgeschobe­n werden. Auch wer Urlaub in der Heimat macht, soll nach Seehofers Plänen sein Bleiberech­t verwirken.Das Papier, in dem Seehofer nur als CSU-Chef nicht aber als Innenminis­ter aufgeführt ist, betont auch die Bedeutung nationaler Maßnahmen, „je weniger das gemeinsame europäisch­e Asylsystem leisten kann“. Merkel, die den Plan seit gut zwei Wochen kennt, hatte mehrfach betont, dass sie mit allen Punkten außer mit den Zurückweis­ungen einverstan­den sei.

FDP-Chef Christian Lindner sieht für die Regierung auch im Fall einer Einigung keine Zukunftsch­ancen: „Auch wenn alle Beteiligte­n zur Vernunft kommen, ist diese Regierung nicht mehr fähig“, sagte er unserer Redaktion.

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FOTO: DPA/RTR Die Parteivors­itzenden Angela Merkel und Horst Seehofer auf dem Weg in die CDU-Zentrale in Berlin.

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