Tsipras bangt um seine Mehrheit
Die Einigung im Namensstreit mit Mazedonien könnte die griechische Regierung zu Fall bringen.
ATHEN Für die Einigung im Namensstreit mit Mazedonien bekam der griechische Premier Alexis Tsipras international viel Beifall. Aber jetzt entwickelt sich der Deal zu einer Zeitbombe, die Tsipras‘ Regierungsbündnis sprengen könnte.
Der Athener Regierungssprecher Dimitris Tzanakopoulos wiederholt das bei jeder Gelegenheit: Die Regierung ist stabil und wird die Legislaturperiode bis zu ihrem regulären Ende im September 2019 voll ausschöpfen. Aber daran gibt es wachsende Zweifel. Denn die Mehrheit, auf die sich Premierminister Alexis Tsipras im Parlament stützen kann, bröckelt. Mit 155 der 300 Mandate traten Tsipras und sein Koalitionspartner Panos Kammenos, Chef der rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (Anel), im September 2015 an. Doch bei der Abstimmung über den Misstrauensantrag der Opposition Mitte Juni hielten nur noch 153 Abgeordnete Tsipras die Treue. Und seit vergangener Woche ist die Mehrheit auf 152 geschrumpft, nachdem ein weiterer Abgeordneter die Anel-Fraktion verlassen und sich für unabhängig erklärt hatte. Er könne den von Tsipras ausgehandelten Kompromiss im Namensstreit mit Mazedonien nicht mittragen, sagte der Politiker zur Begründung.
Tsipras hatte sich vor zwei Wochen mit dem mazedonischen Regierungschef Zoran Zaev darauf geeinigt, dass sich das Nachbarland künftig „Republik Nord-Mazedonien“nennen soll. EU und Nato feierten die Beilegung des seit 27 Jahren schwelenden Namenstreits als „historischen Erfolg“. Aber viele Griechen sehen darin einen Verrat. Sie beanspruchen den Namen Mazedonien für sich. Laut einer Umfrage lehnen mehr als zwei Drittel der Befragten den Namenskompromiss ab. Auch Tsipras‘ Partner Kammenos, der als Verteidigungsminister im Kabinett sitzt, ist dagegen.
Für Tsipras schien das kein unmittelbares Problem zu sein. Der Namensdeal kommt möglicherweise erst im nächsten Jahr zur Ratifizierung ins Parlament – je nachdem, wie schnell Mazedonien die erforderliche Verfassungsänderung umsetzt. Aber jetzt bekommt das Thema eine gefährliche Eigendynamik. Kammenos muss sein patriotisches Profil schärfen, um die miserablen Umfragewerte seiner Partei aufzubessern. Die Namensfrage sei „nicht verhandelbar“, sagte Kammenos am Wochenende vor seinem obersten Parteigremium. Er werde eher die Regierung stürzen, als seine Wähler zu verraten.
Aber trotz markiger Worte beginnt Kammenos die Kontrolle über seine Mannschaft zu verlieren. Umfragen zufolge hat die Partei kaum Aussichten, bei der nächsten Wahl den Sprung ins Parlament zu schaffen. Die Versuchung ist deshalb groß, das sinkende Schiff rechtzeitig zu verlassen. In Athen gibt es Gerüchte über weitere Absetzbewegungen von Anel-Abgeordneten. „Mit 151 Stimmen regiere ich nicht weiter“, soll Tsipras bereits Vertrauten erklärt haben. Das klingt nach Neuwahl. Der Premier hätte aber kaum Chancen, sie zu gewinnen. Mit Steuererhöhungen und Rentenkürzungen hat er viele Wähler gegen sich aufgebracht. Noch ist unklar, welche Zusagen Tsipras beim EU-Gipfel Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Migrationspolitik gemacht hat. Aber sollte Griechenland gezwungen sein, noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen, könnte das Tsipras weitere Sympathien kosten.