Der Kriegsgott darf nach Hause
Der Streit zwischen der Bayer AG und Kunst-Experten ist entschieden: Die umstrittene Mars-Statue geht zurück nach Dresden.
DRESDEN/LEVERKUSEN Am Ende hat sich Bayer doch erweichen lassen. Nachdem Hüter der Kunst es lautstark als Frevel erachteten, dass der Leverkusener Konzern eine einst in Dresden beheimatete Mars-Statuette nach London zur Versteigerung geschickt hatte, ging Bayer gestern Abend auf die Forderung ein, das Werk den Dresdner Kunstsammlungen zu überlassen. Tags zuvor hatte das Unternehmen noch mitgeteilt, es den Aktionären schuldig zu sein, das plastische Bildnis des römischen Kriegsgottes zum höchstmöglichen Preis zu veräußern. In der zusehends auf Gegenwartskunst konzentrierten Sammlung der Bayer AG scheint es jedenfalls nicht mehr erforderlich zu sein. Der Schätzwert der knapp 40 Zentimeter hohen Statuette beträgt 3,4 bis 5,6 Millionen Euro.
Der Streit um Mars schaukelte sich langsam auf. Volker Krahn, Oberkustos der Skulpturensammlung und des Museums für Byzantinische Kunst innerhalb der Staatlichen Museen zu Berlin, hatte in der „Frankfurter Allgemeinen“nachgewiesen, warum das Werk nach Dresden gehöre, und vor einer Versteigerung gewarnt. Es gebe Beispiele dafür, dass sich marktgerechte Preise für national wertvolles Kulturgut auch ohne Kosten für Auktionshäuser erzielen ließen. Marion Ackermann, ehemals Leiterin der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW und heute Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, verlangte dann von Bayer statt des Verkaufs gar eine mäzenatische Tat: „Ich appelliere in aller Eindringlichkeit an das Unternehmen, das sich einen Namen im Kultursponsoring machen will, und das Gewissen seines Vorstandes“, sagte sie.
Gestern reagierte Bayer: Die Skulptur „Dresdner Mars“sei von der geplanten Auktion am Mittwoch bei Sotheby‘s zurückgezogen worden, hieß es. Die Bayer AG habe sich entschlossen, das Kunstwerk stattdessen direkt an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) zu verkaufen, war einer Mitteilung des Londoner Auktionshauses zu entnehmen. Sotheby‘s betonte, das Interesse an der Skulptur sei sehr hoch gewesen und weiter gestiegen, sowohl von Seiten privater Sammler als auch von Seiten verschiedener Museen. Wie viel die SKD für die Skulptur bezahlen wird, teilte das Auktionshaus nicht mit.
Der Fall der Mars-Statuette von Giambologna ist ein guter Anlass, darüber nachzudenken, was „nationales Kulturgut“bedeutet, wenn auch gerade dieses Werk nicht ausdrücklich als solches deklariert wurde. Giambologna (1529-1608), geboren als Jean Boulogne, war ein Flame, der sich von Italien aus als Bildhauer des Manierismus einen Namen machte. Er schenkte seine Mars-Skulptur dem sächsischen Kurfürsten Christian I. Mehr als 300 Jahre befand sie sich in Dresden und wurde zum Bestandteil der später so genannten Staatlichen Kunstsammlungen.
1924 gab die Dresdner Skulpturensammlung ihren kraftvoll bewegten bronzenen Mars im Zuge der „Fürstenabfindung“an den Familienverein Haus Wettin ab, also an Sachsens einstige Herrscherfamilie. Kurz danach gelangte er auf den Kunstmarkt und von dort in den Besitz des Generaldirektors der Chemischen Werke Griesheim-Elekron, Theodor Plieninger. Die Firma gehörte damals bereits zur I.G. Farben. Sie schenkte die Skulptur ihrem Vorstandsmitglied Constantin Jacobi zu einem Jubiläum, dessen ältester Sohn Walter erbte sie und überließ sie 1988 der Bayer AG, die ebenfalls zur I.G. Farben zählte. Der Sohn verband die Schenkung mit der Auflage, den Mars „in einem repräsentativen Bereich des Unternehmens“ zu zeigen.
Die Entscheidung Bayers wurde sicher auch unter dem Eindruck der Einlassungen von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) getroffen: „Die Bayer AG sollte sich wirklich schämen, dass sie ein solch national wichtiges Kunstwerk zum Höchstpreis versteigern wollte, statt es den Dresdnern zu überlassen – zumal sie es selbst einst geschenkt bekommen hat“, so Grütters Und weiter: „Für einen so erfolgreichen und prosperierenden Konzern wären das Peanuts. Er sollte sich seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für Deutschland klarwerden.“ Grütters sagte außerdem, der Fall zeige erneut ein „echtes Behördenversagen“in Nordrhein-Westfalen. Schon nach den früheren Regeln zur Ausfuhr von Kulturgütern hätten 2015 bei den Verantwortlichen der damaligen Regierung von Hannelore Kraft (SPD) alle Alarmglocken schrillen müssen.
Finanziell unterstützt wurde der Kauf nun durch den Freistaat Sachsen, die Ernst von Siemens Kunststiftung, die Kulturstiftung der Länder und die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, die eine Millionen Euro bereitstellte.
Mars kehrt heim. Die Kunstsammlungen bemühen sich bereits seit Jahren, Giambolognas Kriegsgott zurückzugewinnen, eines der bedeutendsten kleinplastischen Werke des Künstlers. Dresden ist der ideale Platz für Mars. Denn er wird dort mit drei anderen bronzenen Kleinplastiken eine Gruppe in der Kunstkammer bilden, die zu den wichtigsten Schätzen der Skulpturensammlung zählt.