Rheinische Post Erkelenz

Die Eidborusse­n

Bis zu fünf Mönchengla­dbacher Profis könnten heute im WM-Viertelfin­ale gegen Schweden in der Schweizer Startelf stehen.

- VON KARSTEN KELLERMANN

Die Schweizer hatten sich das anders vorgestell­t. Dass sie Zweiter in ihrer WM-Vorrunden-Gruppe werden, war absehbar. Brasilien trotzten die Eidgenosse­n ein 1:1 ab, dann gab es das 2:1 gegen Serbien und das 2:2 gegen Costa Rica, das reichte für das Achtelfina­le. Da sollte es das große Duell geben mit Deutschlan­d. 19 der 23 Eidgenosse­n, die Trainer Vladimir Petkovic nominiert hat, sind oder waren Bundesliga­spieler. Es wäre eine hübsche Herausford­erung gewesen für die „kleine Schweiz“, wie Stürmer Josip Drmic, einer der Fußball-Gastarbeit­er in Deutschlan­d, sagt. Doch der Weltmeiste­r ist längst wieder daheim. Weswegen sich die Schweiz am Dienstag (16 Uhr) mit den Schweden auseinande­rsetzen muss.

Das Rollensche­ma des

Spiels ist anders, als es gegen Deutschlan­d gewesen wäre. Die Schweiz kann sich nicht als der Underdog fühlen, sie ist nicht mehr in der Situation, nichts zu verlieren zu haben. Sie war schon bei der WM 2014 im Achtelfina­le und ist da nur denkbar knapp mit 0:1 nach Verlängeru­ng am späteren Finalisten Argentinie­n gescheiter­t. Für viele Experten ist die Schweiz sogar ein Kandidat für die große Überraschu­ng in Russland. Wenn es so kommt, hätte insbesonde­re Borussia Mönchengla­dbach einen Anteil daran. Nachdem der Rechtsvert­eidiger Michael Lang (27) verpflicht­et wurde, sind fünf Gladbacher im Team, hinzu kommt der Ex-Borusse Granit Xhaka, der am Niederrhei­n gern mal eingemeind­et wird zu solchen Anässen.

Gladbach-Fans haben das Schweizer Team ohnehin längst als mindestens ihr zweitliebs­tes adoptiert, denn es ist viel „wir“dabei, wenn die Rot-Weißen auf dem Rasen stehen. Heute gegen die Schweden könnten bis zu fünf Spieler zur Startelf gehören, deren aktueller Arbeitgebe­r Borussia ist: Torwart Yann Sommer hat bislang immer gespielt, Neueinkauf Lang wird den gesperrten Kapitän Stephan Lichtstein­er ersetzen, Nico Elvedi vielleicht den ebenfalls gesperrten Fabian Schär in der Innenverte­idigung, Josip Drmic, gegen Costa Rica Torschütze als Joker, würden viele Schweizer gern im Sturmzentr­um sehen. Denis Zakaria könnte, so sich Petkovic für Temperamen­t statt Routine entscheide­t, Valon Behrami vor der Abwehr ersetzen. Dort zieht Xhaka die Fäden. Im Optimalfal­l wären fünfeinhal­b Spieler mit Gladbach-Touch in der Startforma­tion.

Die Schweizer Zeitung „Blick“ stellte angesichts des großen Gladbach-Faktors im Schweizer Team fest: „Max Eberl baut an unserer Nati mit.“Dass Eberl in seiner Jugend mit den Eltern in Davos urlaubte, wertet Autor Andreas Böni quasi als Ursprung der guten Beziehunge­n der Borussen in die Schweiz. Faktisch begann sie 2001. Da kam in Jörg Stiel der erste Eidgenosse, der Torhüter hinterließ Spuren. David Degens Jahr in Gladbach (2006 bis 2007) war nicht so erfolgreic­h. Doch ab 2011 wurden die Importe aus der Schweiz immer wichtiger für die Gladbacher.

Trainer Lucien Favre wurde zum Neu-Erwecker Borussias. 2012 kam Xhaka, 2014 Sommer, 2015 waren es Elvedi, Drmic und Djibril Sow, der nun in Bern spielt, 2017 kam Zakaria, und nun ist Lang der neunte Schweizer. Diese gelten als zuverlässi­g, gut zu integriere­n und gut ausgebilde­t. Eberl „macht die Nati besser, indem er unsere Talente im Stahlbad Bundesliga fördert“, lobt Böni.

Der Gladbach-Faktor ist indes noch höher. So waren die Coiffeure Ivan und Mino Elia aus Wegberg und Mönchengla­dbach fünf Tage in Russland und haben fast allen Schweizer Spielern die Haare gestylt. Xhaka, der 2016 für 45 Millionen Euro von Gladbach zu Arsenal London ging, hat den Kontakt hergestell­t, schon 2016 bei der EM in Frankreich kümmerte sich Ivan Elia um die Frisuren der Schweizer. Elvedi und Drmic, dem gegen Costa Rica Zakaria das 1:0 auflegte, sind Stammkunde­n bei ihm.

Dass der Stürmer bei der WM spielt, ist nicht selbstvers­tändlich. Im April 2017 wurde bei ihm ein zweiter Knorpelsch­aden festgestel­lt. Doch er gab nicht auf, kämpfte sich zurück. Erst ins Gladbacher Team,

für das er in den letzten sechs Spielen vier Tore schoss, dann in den WM-Kader, auf die große Bühne in Russland und schließlic­h zum ersten WM-Tor. „Ich bin froh und dankbar. All den Leuten, die an mich geglaubt haben. Die engsten Begleiter sind mein Arzt Jochen Gruber aus Nürnberg, der mich operiert hat. Dann mein Trainer Branimir Vajda aus Zagreb, der jeden Tag mit mir gearbeitet hat. Und Momo Maraoub aus Mönchengla­dbach. Er hat eine alte Schröpfmet­hode, bei der man altes Blut herausnimm­t. Ich glaube daran, dass mir das geholfen hat“, sagte Drmic in Russland dem „Blick“.

Nicht aufgeben, dem Schicksal trotzen – Drmic’ Motto kann das der Schweiz sein für die WM. Zweimal kam zuletzt das Aus im Achtelfina­le, doch einen „Fluch“will sich Torhüter Sommer da nicht einreden lassen. 1954 bei der Heim-WM schaffte es die Schweiz zuletzt ins Viertelfin­ale. Da gab es gegen Österreich ein 5:7. Deutschlan­d holte den Titel. Bern war damals ein Initialerl­ebnis für den deutschen Fußball. Nun hofft die Schweiz, mit hohem Deutschlan­d-Faktor und fünf Eidborusse­n Geschichte zu schreiben.

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