Abpfiff für Brych
Der deutsche Unparteiische hat bisher nur eine Partie geleitet. Vieles spricht dafür, dass es dabei bleibt.
MOSKAU Pierluigi Collina ist mit sich und seinen Untergebenen sehr zufrieden. Der Chef der Schiedsrichterkommission des Fußball-Weltverbands Fifa ist besonders stolz auf den Einsatz des Video Assistent Referees (VAR). „Wir sind nicht überrascht, dass die Dinge ziemlich gut gelaufen sind“, erklärt der Italiener.
„Einen der besten Schiedsrichter – den lässt man nicht nach einem Fehler gleich fallen“
Alex Feuerherdt
Schiedsrichter-Experte
Genau 95 Prozent der insgesamt 335 von den VARs überprüften Entscheidungen während der Gruppenphase seien spontan von den Schiedsrichtern auf dem Rasen richtig beurteilt worden. Nur 14 mal wurde berichtigend eingegriffen, womit sich die Quote der korrekten Entscheidungen auf 99,3 Prozent erhöht. „Das ist nahe an der Perfektion“, sagt Collina.
Aus Sicht der Fifa wurden nur in zwei Partien fehlerhaft bewertete Szenen trotz Überprüfung nicht korrigiert. Collina schweigt sich darüber aus, um welche es sich gehandelt haben. Ganz offensichtlich war indes ein Deutscher an einer der betroffenen Situationen beteiligt. In der politisch hoch brisanten Partie zwischen Serbien und Schweiz hatte Brych einen Elfmeter für die Serben nicht gegeben – die Eidgenossen gewannen das Vorrundenspiel 2:1. Hernach wurde der 42-jährige Brych von der serbischen Delegation massiv angegriffen. „Ich würde ihn nach Den Haag schicken“, sagte der frühere Bundesligaprofi Mladen Krstajic über den Münchener Brych. Den Haag in den Niederlanden ist der Sitz des UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien. Die Serben geben Brych die Schuld an der Niederlage, weil er ihnen in der 66. Minute einen Strafstoß verweigerte. Für diese Entgleisung wurde der 44-jährige Krstajic nur zu einer mickrigen Geldstrafe von 5000 Schweizer Franken (rund 4300 Euro) verurteilt.
Für Brych hatte seine Entscheidung deutlich weitreichendere Folgen. Einer der besten Schiedsrichter, unter anderem schon im Finale der Champions League eingesetzt, bekam bei dieser WM kein weiteres Spiel mehr. Und nach Informationen dieser Redaktion wird dies wohl auch so bleiben. Brych und sein Team stehen zwar weiter auf Abruf, doch hinter den Kulissen ist die Entscheidung gegen das Gespann gefallen. Möglicherweise werden sie nach den Achtelfinal-Begegnungen auch komplett aussortiert. Mark Borsch, einer seiner beiden Assistenten, wurde bereits acht Mal als sogenannter VAR 2 eingesetzt, ein Unterstützer für den Videoassistenten.
Die Top-Schiedsrichter dieses Turniers haben allesamt mindestens drei Einsätze. Darunter auch der Niederländer Björn Kuipers, dem aufgrund seiner bisherigen Leistungen zugetraut wird, ein Kandidat für einen Einsatz im Endspiel zu sein. Weitere Aspiranten sind der Iraner Alireza Faghani und der Argentinier Nestor Pitana. Allesamt bringen auch den Vorteil mit, dass ihre Heimatländer überhaupt nicht für die WM qualifiziert (Kuipers) oder bereits ausgeschieden sind.
Brych, der 2017 zum Weltschiedsrichter gekürt worden war, hat in Collina eigentlich einen mächtigen Fürsprecher. Doch der Italiener verweigerte dem Deutschen bei der WM bislang jede öffentliche Unterstützung. Das soll vor allem politische Gründe haben. Die Serben machten massiv Einfluss geltend und sollen darauf gepocht haben, dass Brych keine weiteren Einsätze mehr bekommt. Der DFB machte offenbar seinen Einfluss nur unzureichend geltend und hat seinen besten Unparteiischen bislang im Regen stehen gelassen. Wollte Collina Brych aus der Schusslinie nehmen? Was steckt hinter der Ausbootung? Die Fifa selbst will sich auf Anfrage zu einem möglichen Aus von Brych nicht äußern, da das Turnier noch läuft. Brych selbst darf zur Causa nichts sagen.
„Es kann für diese Entscheidung nicht nur den einen Grund gegeben haben. Keinen Elfmeter zu geben, war sicherlich eine streitbare Entscheidung“, sagt Alex Feuerherdt vom Schiedsrichter-Podcast „Collinas Erben“. „Sie war aber auch nicht so glasklar falsch, dass es eine rein sportliche Begründung dafür gibt, warum Brych nicht weiter eingesetzt werden sollte. Er ist ohne Zweifel einer der besten Schiedsrichter – den lässt man normalerweise nicht nach einem Fehler gleich fallen.“
In der Historie von WM-Turnieren gibt es immerhin einen Fall, der Brych Zuversicht geben könnte: 2002 wurde letztmals ein Schiedsrichter im Finale eingesetzt, nachdem er in der Vorrunde nur ein Spiel geleitet hatte: Es war Pierluigi Collina.