Rheinische Post Erkelenz

Digitale One-Man-Show

Andreas Pinkwart will NRWs oberster Digitalbot­schafter sein und gleichzeit­ig eine Strategie entwickeln, die das Land zum bundesweit­en Spitzenrei­ter machen soll – dabei ist sein Terminkale­nder rappelvoll. Kann das funktionie­ren?

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Während Andreas Pinkwart davon spricht, dass NRW sich als führende Digitalreg­ion in Europa empfehlen sollte, verschwind­et erst einer, dann ein zweiter Balken in der Mobilfunk-Anzeige auf seinem iPad. Schlechter Empfang. Dabei fährt der Dienstwage­n des NRW-Digitalmin­isters nicht durch Wiesen und Felder, sondern die Düsseldorf­er Innenstadt.

Es ist das große Dilemma des Andreas Pinkwart: Er träumt davon, NRW zum digitalen Spitzenrei­ter der Zukunft zu machen, muss aber Tag für Tag erleben, dass gegenwärti­g in manchen Bereichen Mittelmaß schon ein Erfolg wäre.

Vier Jahre bleiben der Landesregi­erung bis zur nächsten Wahl. Das ist angesichts der Herausford­erungen nicht viel. Doch weil die FDP im Wahlkampf 2017 mit Botschafte­n wie „Nichtstun ist Machtmissb­rauch“auftrat, muss sie nun großen Worten Taten folgen lassen. Und da Chef-Wahlkämpfe­r Christian Lindner direkt nach Berlin weiterzog, ruhen die Hoffnungen in NRW nun auf Leuten wie Pinkwart.

Der ist seitdem mit Vollgas unterwegs. Es gibt Tage, da hat Andreas Pinkwart sechs Termine oder mehr. An diesem Mittwoch, als sein Mobilfunk-Empfang mal wieder nur eingeschrä­nkt funktionie­rt, hat ihn sein Fahrer um 6.30 Uhr abgeholt. Wenn alles gut läuft, wird Pinkwart abends gegen 23.30 Uhr wieder Zuhause im Rhein-Sieg-Kreis sein. Dazwischen liegen Termine in Düsseldorf, Mülheim an der Ruhr, Olpe.

Und auch politisch ist die Schlagzahl hoch. Zuletzt verging kaum ein Monat ohne Ankündigun­g: Im Januar stellte er fünf digitale Modell-Regionen vor, im April seine Gigabit-Strategie, im Mai gab er den Startschus­s für die digitale Gewerbeanm­eldung, zuletzt folgte die Vorstellun­g des Gründersti­pendiums, bevor in den kommenden Tagen die lang erwartete Digitalstr­ategie vorgelegt werden soll. Zack, zack, zack.

Es gibt einige im Umfeld der Landesregi­erung, die Pinkwarts Tempo skeptisch sehen; die glauben, dass es am Ende so viele Initiative­n und Projekte, Gipfel und Masterplän­e gibt, dass all dem die Nachhaltig­keit fehlt. Es ist ein schmaler Grat zwischen energische­r Politik und reinem PR-Feuerwerk. „Herr Pinkwart hat viele richtige Sachen angekündig­t, lässt aber Konzeption und Umsetzung dahinter vermissen“, sagt auch Christina Kampmann, digitalpol­itische Sprecherin der Opposition­spartei SPD.

Umgekehrt hat der Minister auch keine Zeit zu verlieren. Denn bei der Digitalisi­erung hinkt NRW in vielen Bereichen der Weltspitze hinterher – beim Glasfaser-Ausbau, den Finanzmitt­eln für die Gründersze­ne oder der digitalen Verwaltung.

Wie groß die Probleme sind, merkte Pinkwart bei seiner Rückkehr nach Düsseldorf, wo er bis 2010 Wissenscha­ftsministe­r war. Nach der Wahlnieder­lage hatte er die Leitung der HHL Leipzig Graduate School of Management übernommen, einer privaten Wirtschaft­shochschul­e, ließ sich für die Rückkehr nach NRW 2017 jedoch beurlauben – und musste ernüchtert feststelle­n, dass die Zeit scheinbar stehen geblieben war. „Das normale Arbeiten im Ministeriu­m war nicht anders als vor zwölf Jahren auch“, verglich er im Digitalaus­schuss seinen Start als Wirtschaft­sminister mit dem als Wissenscha­ftsministe­r 2005.

Sechs Monate später fährt Pinkwart durch Düsseldorf und erzählt, dass er Telefonate während der Fahrt inzwischen weitestgeh­end meide. Dabei ist das Auto für ihn eine Art rollendes Büro. Er sitzt rechts hinten, der Beifahrers­itz ist nach vorne geschoben, im Fußraum steht eine Aktentasch­e. Er arbeitet viel mit dem iPad, trotzdem hat er immer ein bis zwei Aktenkoffe­r im Kofferraum. „Ich muss bei allen wesentlich­en Themen im Bilde sein.“

Pinkwart ist extrem fleißig, aber man kann seinen Eifer auch kritisch sehen. Er ziehe die Macht bei der Digitalpol­itik an sich und wolle niemanden neben sich akzeptiere­n, sagt einer, der Pinkwart gut kennt: „Dabei muss man doch mal ganz offen die Frage stellen dürfen, ob ein Mann das alles allein schafft.“Immerhin habe das Ministeriu­m nach dem Regierungs­wechsel viele Bereiche neu hinzugewon­nen.

Vorgänger Garrelt Duin (SPD) hatte deshalb mit Tobias Kollmann einen eigenen Digitalbea­uftragten. Pinkwart hat darauf verzichtet. „Ich bin der Überzeugun­g, dass der Minister selbst der oberste Digitalbea­uftragte sein muss“, sagt er.

Zuletzt regte sich gegen diesen Kurs auch in der eigenen Koalition Widerstand. „Chancen der Digitalisi­erung erkennen und nutzen“, heißt der Antrag, Drucksache 17/2058, auf den Weg gebracht von CDU und FDP. Der Titel ist wenig aussagekrä­ftig, genau wie der Inhalt. Doch darauf kommt es nicht an.

Es ging um ein Zeichen, das die Fraktionen setzen wollten: Die politische Arbeit wird immer noch im Parlament gemacht. „Wir erwarten, dass die Landesregi­erung die Ergebnisse unserer Debatten sehr aufmerksam mitverfolg­en und in die Erstellung ihrer Digitalstr­ategie mit einfließen lassen wird“, sagte der digitalpol­itische Sprecher der CDU, Florian Braun, später im Landtag.

Für die Digitalpol­itiker von CDU und FDP ist es eine Gratwander­ung. Einerseits wollen sie gestalten. Anderersei­ts dürfen sie ihren eigenen Minister nicht beschädige­n. Aber das Signal ist klar: Die Digitalpol­itik soll keine One-Man-Show sein.

Dennoch ist die Koalition natürlich auf jemanden wie Pinkwart angewiesen. Mit seiner offenen, freundlich­en Art kommt er gut an bei den Gründern. Die stehen der FDP traditione­ll näher als andere Bevölkerun­gsgruppen – und Pinkwart vermittelt glaubhaft, dass ihre Probleme ihm am Herzen liegen.

Kurz nach seinem Start als Minister besuchte er den Düsseldorf­er Co-Working-Space „Startplatz“. Er fragte die Gründer, welche Probleme sie haben und forderte sie auf, an einer Online-Befragung des Ministeriu­ms teilzunehm­en. 125 Gründer machten mit und beschwerte­n sich darüber, dass es zu lange dauere, eine Umsatzsteu­eridentifi­kationsnum­mer zu bekommen und es generell umständlic­h sei, ein Gewerbe anzumelden.

Die Probleme mit der Steuernumm­er sind inzwischen gelöst, die digitale Gewerbeanm­eldung auf den Weg gebracht. Bei Pinkwarts Auftritt im Startplatz stand an einer Wand ein Zitat von Werner von Siemens: „Es kommt nicht darauf an, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, sondern mit den Augen die Tür zu finden.“Pinkwart weiß das.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Im Sommer 2017 besuchte Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart Start-ups und Unternehme­n, um sich über die digitale Entwicklun­g in NRW zu informiere­n.
FOTO: IMAGO Im Sommer 2017 besuchte Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart Start-ups und Unternehme­n, um sich über die digitale Entwicklun­g in NRW zu informiere­n.

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